Gastbeitrag zur Vorratsdatenspeicherung:Die vermeintliche "Sicherheitspolitik" schafft Unsicherheit

Eine Sicherheitspolitik, die sich an Wünschen, Befürchtungen und Innenansichten von Sicherheitsbehörden orientiert, kann keinen besseren Schutz vor Kriminalität bewirken, sondern spült nur Steuergelder in die Taschen der Sicherheitsindustrie.

Malte Spitz, Ricardo Cristof Remmert-Fontes, Patrick Breyer

Die Achtung der Bürgerrechte und der Schutz unserer persönlichen Daten bilden Fundamente unseres Rechtsstaates. Doch in den letzten Jahren verstärkt sich ein Trend des Abbaus persönlicher Freiheitsrechte zugunsten der Staatsmacht. Oft in gefährlicher Eintracht bewegen sich dabei Justizministerin Brigitte Zypries und Innenminister Wolfgang Schäuble.

Der jüngste und folgenschwerste Beitrag der Bundesregierung zu dieser Entwicklung ist die zum 1. Januar 2008 eingeführte Vorratsspeicherung des Kommunikations- und Bewegungsverhaltens der gesamten Bevölkerung.

Als nächstes soll europaweit eine Datenbank entstehen mit den Fluggastdaten aller Passagiere, die für unglaubliche 13 Jahre Informationen zur genutzten Kreditkarte oder gebuchten Hotels und Mietfahrzeugen enthält.

Bei der Speicherung und "Rundum-Überwachung" jeglicher Lebensbereiche aller Bürgerinnen und Bürger bleibt es aber nicht. Auch extreme Maßnahmen wie der Einsatz von Soldaten im Landesinneren, der Abschuss von Passagierflugzeugen und die Verwendung von Foltererkenntnissen werden heutzutage offen gefordert. In diesen Debatten streiten sich SPD und CDU/CSU viel zu oft nur noch um das "Wie" und nicht mehr um das "Ob".

Ergebnis dieser Entwicklung ist aber kein "Mehr" an Sicherheit, sondern die Zunahme von Unsicherheit und Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber einem Staat, der sie immer maßloser ohne Anlass überwachen und kontrollieren will.

Verbale Kurswechsel helfen nicht

Diese Exzesse der Sicherheitsideologen von Union und auch SPD und der Raubbau an den Grundlagen unserer offenen Gesellschaft provozieren zunehmend Widerstand: Das Bundesverfassungsgericht muss immer öfter verfassungswidrige Gesetze aufheben und erstmals seit der Volkszählung in den achtziger Jahren demonstrieren Tausende gegen die ausufernde Überwachung. Akteure aus allen gesellschaftlichen Bereichen schalten sich ein, zuletzt der ADAC beim verdachtslosen Kfz-Scanning und die Kirchen bei den Plänen des Innenministers zum Abhören von Beichtstühlen.

Vor diesem Hintergrund gefallen sich Politiker wie Brigitte Zypries oder auch der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolff plötzlich darin, Bürgerrechtler und Datenschützer zu mimen, vergessen solche Positionen in der praktischen Politik allerdings schnell.

Sicherlich marschiert die SPD mit etwas mehr Zurückhaltung als die Union voran. Kleinere Schritte in Richtung präventiven Überwachungsstaat führen aber zum selben Ziel, nur etwas später. Der von der großen Koalition eingeschlagene Weg führt über die vollständige Protokollierung des Telekommunikationsverhaltens zur geplanten staatlichen Aufzeichnung aller Flugreisen und dem staatlichen Ausspionieren von Privatcomputern.

Die vermeintliche "Sicherheitspolitik" schafft Unsicherheit

Der Ausweg aus dieser verhängnisvollen Entwicklung wird nun ausgerechnet in einer Änderung unseres Grundgesetzes gesehen, dem letzten die Paragrafenflut aus Berlin noch mäßigenden Damm.

Frau Zypries beispielsweise spricht sich für ein neues Grundrecht aus, das Vorgaben "für die Abwägung zwischen der Vertraulichkeit der Daten und den Sicherheitsinteressen des Staates" machen soll. Eine solche Einschränkungsklausel würde aber die Gefahr in sich bergen, dass auch noch die letzten absolut geschützten Rückzugsräume einer politischen Abwägung zum Opfer fallen, bei der die eine der beiden Wagschalen aus Blei zu bestehen scheint.

Eine Sicherheitspolitik, die sich anstelle von empirisch gewonnenen Fakten an Wünschen, Befürchtungen und Innenansichten von Sicherheitsbehörden orientiert, kann keinen messbar verbesserten Schutz vor Kriminalität bewirken, sondern spült nur Steuergelder in Millionenhöhe in die Taschen der Sicherheitsindustrie und ebnet den Weg für weitere Personaleinsparungen bei der Polizei. Projekte zur Kriminalprävention, deren Wirksamkeit erwiesen ist, sind in den letzten Jahren kaputtgespart worden. Überhaupt nicht angegangen wird die Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bürger, denen von Politik und Medien eine überzogene Vorstellung der Kriminalitätswirklichkeit vermittelt wird.

Karlsruhe: Die letzte Bastion der Freiheitsrechte

Am 27. Februar wird voraussichtlich ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung von Privatcomputern die Karten neu mischen. Die große Koalition verabschiedet sich von ihrem politischen Gestaltungsanspruch, wenn sie sich erneut darauf beschränkt, die Grundrechte im maximal noch vom Bundesverfassungsgericht zugelassenen Maß einzuschränken.

Gegen die verdachtslose Vorratsspeicherung des Telekommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung liegt inzwischen eine Verfassungsbeschwerde mit über 30.000 Unterstützern vor.

Diese "Massen-Verfassungsbeschwerde" ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sich die Stimmung in unserer Gesellschaft allmählich ändert und sich mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger darüber Gedanken machen, in welcher Welt sie und ihre Kinder in zehn oder 20 Jahren leben möchten. Lebenswert ist nur eine Gesellschaft, die individuelle Freiheit und Verwirklichung frei von allumfassender Überwachung und permanentem Misstrauen des Staates weiter garantiert.

Malte Spitz ist Mitglied des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen; Ricardo Cristof Remmert-Fontes und Patrick Breyer sind Trainer bzw. Jurist im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: