Gastbeitrag:Ein Rest von Integrität

Nach dem Korruptionsverdacht beim internationalen Fußballverband Fifa ist es an der Zeit, Katar die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 zu entziehen - trotz der neuen Ankündigung vom Golf, dass die Arbeitsbedingungen nun besser werden.

Von Markus Löning

Im Jahr 2010 hat die Fifa die WM 2022 an Katar vergeben. Dass die Vergabe nach den ethischen Regeln der Fifa erfolgt ist, erscheint heute mehr als zweifelhaft. Von den menschenverachtenden Zuständen auf den Baustellen ganz zu schweigen. Wenn die Fifa sich einen Rest von Integrität erhalten will, muss sie jetzt handeln.

Bereits 2014 veröffentlichten britische Medien eine umfangreiche Recherche über Zahlungen des ehemaligen katarischen Mitglieds des Fifa-Exekutivkomitees, Mohamed Bin Hammam, an andere Mitglieder. Bei einer Diskussion zur Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 in Kuala Lumpur soll er 25 afrikanischen Delegierten jeweils 215 000 Dollar in bar gegeben haben. Dem damaligen Präsidenten des karibischen Fußballverbandes, Jack Warner, soll er im Vorfeld der Entscheidung 485 000 Dollar überwiesen haben. Bin Hammam wurde 2011 von der Fifa-Ethikkommission wegen Bestechung im Zusammenhang mit der Fifa-Präsidentenwahl lebenslang für Tätigkeiten im Fußball gesperrt.

Ende 2015 wurden auf Betreiben der US Justiz 16 Fifa-Mitglieder wegen des Verdachts der Korruption verhaftet. In den Anklageschriften ist die Rede von einem korrupten und kriminellen System. Am 6. November beginnt das erste Verfahren und es ist mit weitgehenden Aussagen zu rechnen. Acht der Beschuldigten haben als Kronzeugen umfänglich ausgesagt.

Erst 2017, als eine Veröffentlichung durch ein Leak drohte, hat die Fifa den von ihr selbst in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht des ehemaligen amerikanischen Staatsanwalts Michael Garcia zur WM-Vergabe an Russland und Katar veröffentlicht, wenn auch ohne Anhänge. Der Bericht enthält schwere Korruptionsvorwürfe. Auch wenn er den letzten kausalen Beweis des Stimmenkaufs nicht führt, war er seit 2014 unter Verschluss gehalten worden.

Gegen den ehemaligen Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke wird seit März 2017 von der schweizerischen Bundesanwaltschaft wegen Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der Vergabe der fünf Fifa-Turniere von 2018 bis 2030 ermittelt. Auch die Fifa hat jetzt ein Verfahren gegen ihn und den Präsidenten von Paris Saint-Germain, Nasser Al-Khelaifi, gleichzeitig Geschäftsführer der katarischen Sportrechtefirma BeIN Media, vor ihrer Ethikkommission eingeleitet.

Dass die Vergabe an Katar aufgrund von Stimmenkäufen zustande kam, ist noch nicht gerichtlich festgestellt worden. Aber die Hinweise sind massiv und die anstehenden Gerichtsverfahren werden noch einiges an die Öffentlichkeit bringen. Falls die Fifa sich vom Geruch der Korruption befreien möchte, muss sie handeln, bevor sie zur Getriebenen wird.

Seit in Katar an den Bauten für die WM gearbeitet wird, gibt es harsche Kritik an den Arbeitsbedingungen dort. Allein 2013 sind 520 Menschen auf den Baustellen gestorben. Schon damals warnte der Internationale Gewerkschaftsbund, dass ohne Schutzmaßnahmen bis zum Ende der Bauarbeiten 4000 Arbeiter ihr Leben auf den Baustellen verlieren könnten. Nach einer aktuellen Untersuchung hat Human Rights Watch erneut kritisiert, dass die Behörden weder Zahlen von Todesfällen vorlegen, noch die Todesursachen untersuchen. Gleichzeitig sind die Arbeiter ohne ausreichenden Schutz oder Pausen in der extremen Hitze weiter schweren Gefahren für Gesundheit und Leben ausgesetzt.

Die meisten Arbeiter kommen - oft mit falschen Versprechungen über die Lohnhöhe angeworben - aus Asien. Für die Vermittlung werden laut Amnesty Gebühren zwischen 500 und 4300 Dollar verlangt. Bei der Ankunft müssen sie ihre Pässe abgeben, in teilweise erbärmlichen Unterkünften wohnen, können sich in Katar nicht frei bewegen und ohne Zustimmung des Arbeitgebers weder den Arbeitgeber wechseln noch das Land verlassen. Nun hat Arbeitsminister Issa Saad Al-Jafali Al-Nuaimi angekündigt, dieses System abzuschaffen. Es soll einen Mindestlohn geben, besseren Rechtsschutz und auch die Möglichkeit, Gewerkschaften zu bilden. Es ist nicht die erste Ankündigung der Regierung in den vergangenen Jahren. Was davon umgesetzt wird, bleibt fraglich.

Die Bundesregierung, der internationale Gewerkschaftsbund ITUC und internationale NGOs haben die Verantwortlichen in Katar und bei der Fifa wiederholt aufgerufen, die Rechte der Arbeiter zu schützen. 2015 hat die Fifa daraufhin den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, beauftragt, ihr eine Strategie zu entwickeln, wie sie die Menschenrechte auch bei der Ausrichtung der Weltmeisterschaften achten kann. Bei der Vorlage des Berichts hat Ruggie 2016 die Fifa explizit aufgefordert, Katar die Spiele zu entziehen, falls die Regierung die Rechte der Arbeiter nicht schützt.

Trotz aller Mahnungen und Versprechungen der Fifa ist die Situation immer noch unerträglich. Eine WM in einem Land durchzuführen, das es bisher trotz seines Reichtums nicht schafft, Gesundheit und Leben der Arbeiter zu schützen, die die Stadien errichten, ist untragbar.

Über den Austragungsort einer Fußball-Weltmeisterschaft entscheidet der Fifa-Kongress mit einfacher Mehrheit. Ein Fünftel der Mitgliedsverbände kann eine Tagung erzwingen. Dazu müssen sie dem Fifa-Rat, dem zweithöchsten Gremium der Fifa, ein entsprechendes Verlangen mit Angabe der zu behandelnden Themen vorlegen. Innerhalb von drei Monaten kann dann ein außerordentlicher Fifa-Kongress mit einfacher Mehrheit den Austragungsort der WM 2022 neu festlegen. Das Exekutivkomitee ist offensichtlich nicht bereit aus den vorliegenden Berichten Schlüsse zu ziehen. Insofern sollten die Mitgliedsverbände jetzt die Notbremse ziehen und der Fifa wieder ein Stück Integrität zurückgeben.

Markus Löning, 57, war von 2010 bis 2014 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik. Heute berät er Unternehmen in Menschenrechtsfragen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: