Kinderbetreuung:Eltern reiben sich zwischen Beruf und Familie auf

Ganztagsschule

Das Deutsche Jugendinstitut hat neue Zahlen zum Betreuungsbedarf in der Grundschule vorgelegt. Drei Viertel der Eltern wünschen sich demnach eine Ganztagsbetreuung.

(Foto: dpa)

Bis 2025 soll es einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Grundschüler geben. Doch statt über Pädagogik und personelle Ausstattung zu sprechen, streitet die Politik erst einmal ums Geld.

Kommentar von Edeltraud Rattenhuber

Spätestens um halb acht aus dem Haus, erst nach 17 Uhr wieder in den eigenen vier Wänden, ein voller Arbeitstag. Dazwischen Stress in der Schule. Und auch nachmittags keine echte Pause. Keine selbständigen Entdeckungen außer Haus, kein ungestörtes Treffen mit den Freunden, kein selbstbestimmtes Essen.

Und immer die gleichen Menschen. Schon viele Ein- bis Fünfjährige wachsen heutzutage quasi in der Kita auf. Das hat ja auch manch Gutes: Kinder lernen voneinander, brauchen Kontakt zu Gleichaltrigen, wollen gemeinsam toben, gemeinsam spielen, müssen lernen, sich in eine Gruppe einzufügen. Doch sie brauchen auch Freiraum. Und nicht nur Dreijährige, sondern auch Acht- und Zehnjährige sind im täglichen Leben auf positive Kontakte zu festen Bezugspersonen angewiesen. Die meisten Erzieherinnen und Erzieher wissen das und geben jeden Tag in Kita und Hort ihr Bestes, um den Kindern ein zweites Zuhause zu schaffen. Personalmangel und hohe Fluktuation beim Betreuungspersonal erschweren das jedoch.

Das Deutsche Jugendinstitut hat nun neue Zahlen zum Betreuungsbedarf in der Grundschule vorgelegt. Drei Viertel der Eltern wünschen sich demnach eine Ganztagsbetreuung. Kontinuierlich sind die Zahlen in den vergangenen Jahren gestiegen. Und es werden noch mehr werden. Allerdings bleiben Ressourcen knapp: Nur etwa 50 Prozent haben einen Platz ergattert, der ihren Bedürfnissen entspricht.

Würde man Deutschlands Familien Wunschzettel schreiben lassen ans Christkind, dann stünde allerdings ganz oben nicht das Verlangen nach einem Ganztagsplatz, sondern eher: mehr Geld am Ende des Monats, niedrigere Mieten und mehr Zeit füreinander. Doch Erwachsene wissen ja, dass es das Christkind nicht gibt. Und Wunschzettel an den Staat schreiben? Kann man machen, bringt aber nichts. Ganz im Gegenteil, Geld für Soziales, für die Besserstellung von Familien rückt diese Regierung nur dann heraus, wenn es gar nicht anders geht.

Der Bund gibt zwei Milliarden Euro Anschubfinanzierung

So gleicht das Leben in Familien - in den ganz normalen, nicht den privilegierten - dem in einem Hamsterrad. Der finanzielle Druck vor allem in den teuren Städten erfordert zwei Verdiener. Alleinerziehende müssen viel arbeiten, wollen sie und ihre Kinder nicht in Hartz IV enden. Vor allem die Frauen rackern sich ab, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten. Früher verzichteten sie ganz auf eine Erwerbstätigkeit. Und auch heute noch landen sie oft genug in der Teilzeit- und später in der Armutsfalle. Dass es ihnen am Ende nicht geht wie vielen heutigen Rentnerinnen, die - nach entwürdigenden Diskussionen - endlich eine Grundrente erhalten sollen, ist das erklärte Ziel der Politik.

Dann aber ist der Staat es den Familien auch schuldig, dass sie wenigstens im Hort für ihre Kinder eine gute Betreuung vorfinden. Doch wo bleiben die Konzepte? Bis 2025 soll es einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Grundschüler geben - im EU-Vergleich spät genug, aber man hat sich ja daran gewöhnt, da nicht vorne zu liegen. Doch statt öffentlich über Pädagogik und personelle Ausstattung zu sprechen, streiten die staatlichen Ebenen erst einmal ums Geld. Der Bund gibt zwei Milliarden Euro Anschubfinanzierung. Zu wenig, schreien die Länder, die im Bildungsbereich zwar anschaffen, aber die Kosten für den Ganztagsbedarf nur sehr zögerlich übernehmen wollen. Allen voran beschweren sich die reichen Länder, Baden-Württemberg und Bayern. Die Reaktion der bayerischen Familienministerin Kerstin Schreyer (CSU), die meinte, wer bestellt, müsse auch zahlen, ist eine Frechheit.

Um das klarzustellen: "Bestellt" hat die Betreuung nicht der Bund, sondern die Eltern. Sie erwarten zu Recht endlich Konzepte, wie es gehen kann. Zumal in Bayern, wo immer noch die rigideste Trennung zwischen den Schultypen besteht. Dort fühlen sich viele Familien in der unbarmherzigsten Mühle. Bayerns Eltern wissen: Wenn ihr Kind das "Grundschulabitur" schaffen will, muss einer mit ihm Hausaufgaben machen. Aber im Hort werden die oft gar nicht erledigt. Es fehlt meist schlichtweg das Personal. Man lässt die Kinder lieber Fußball spielen. Sport ist ja auch sinnvoll, keine Frage. Aber dahinter steht auch: Sie im Pulk zu beaufsichtigen, ist billiger, als in Kleingruppen Bildungsarbeit zu betreiben.

Verlässliche Rahmenbedingungen, wie Nachmittagsbetreuung zeitlich, räumlich und personell ausgestaltet sein muss, das wollen Eltern und Kinder von der Politik: musische Angebote, differenzierter Sport, Kunstprojekte, Improvisationstheater, auch die Möglichkeit, ein Musikinstrument zu erlernen, Leseförderung, Schreibprojekte. In manchen Horten gibt es das, in den meisten nicht. Was Eltern noch dringender benötigen: Endlich nicht mehr jedes Jahr bangen müssen, ob das Kind überhaupt einen Platz bekommt. Von einer Familienpolitikerin als reiner Kostenfaktor hingestellt zu werden - das haben sie nicht verdient.

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