Gaddafi-Sohn Saif gefangen:Er lebt noch, weil er zu viel weiß

Die letzte bedeutende Figur aus dem gestürzten Diktatoren-Clan ist gefasst. Saif al-Islam al-Gaddafi nun an den Internationalen Strafgerichtshof auszuliefern, wäre in Libyen äußerst unpopulär. Warum er verhaftet, aber nicht wie sein Vater gelyncht wurde.

Rudolph Chimelli

Saif al-Islam al-Gaddafi ist in der südlichen Wüste Libyens verhaftet worden. Damit ist nun die letzte politisch bedeutsame Figur aus der Familie des gestürzten Diktators ausgeschaltet. Vergeblich hatte dessen einmal zum Nachfolger ausersehene zweite Sohn in den vergangenen Wochen Falschmeldungen streuen lassen, er sei bereits im Nachbarland Niger wie sein Bruder Saadi, um seine Verfolger zu entmutigen. DochSaif al-Islam befindet sich nicht in den Händen des Übergangsrates, sondern in der Gewalt der Revolutionsmilizen von Sintan, einer Rebellen-Hochburg in den Bergen südwestlich von Tripolis.

Woman walks past graffiti on wall of former Libyan leader Gaddafi, his son al-Islam Gaddafi and former head of Libyan Intelligence Service Al-Senussi in Tripoli

Ein Graffiti in Tripolis zeigt den früheren libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi, seinen Sohn Saif al-Islam und Abdallah al-Senussi, den ehemaligen Chef des libyschen Geheimdienstes.

(Foto: Reuters)

Damit dürfte sich das Tauziehen um Machtpositionen im künftigen Regime verstärken. Saif al-Islam ist für die Sintan-Milizen, die an der Eroberung der Hauptstadt entscheidenden Anteil hatten, ein Faustpfand, um sich und Gleichgesinnten Einfluss zu sichern. Der Forderung, ihre Waffen herauszugeben, widersetzen sich die Milizen, die in großen Teilen des Landes effektiv die Gewalt ausüben. Gelegentlich schießen rivalisierende Gruppen aufeinander. Ihren Gefangenen Gaddafi wollen sie erst an die politische Führung in Tripolis übergeben, wenn dort die neue Regierung gebildet ist.

Wissen über die Funktionsweise des alten Regimes

Dies soll in den nächsten Tagen geschehen. Der neue Premierminister des Übergangsrates, Abdul Rahim al-Kib, flog am Wochenende sofort nach Sintan, um mit den Einwohnern die Festnahme des Gaddafi-Sohnes zu feiern. Dabei ließ er die Milizenführer wissen, die Regierung habe keine Eile, Saif al-Islam in Gewahrsam zu nehmen. "Wir vertrauen darauf, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sind", sagte er über die Milizen. "Sie werden ihn anständig behandeln - anders als er mit unserem Volk umging." Der amtierende Justizminister Mohammed al-Allagui sagte, Gaddafi junior werde einen fairen Prozess erhalten.

Gaddafi senior hatte freilich dafür gesorgt, dass es in Libyen nicht einmal die Ansätze einer funktionierenden Justiz gibt. Aus Gerichten, die jahrzehntelang politische Instrumente waren, werden nicht binnen weniger Wochen sachlich und fair urteilende Jurys, die rechtsstaatliche Verfahren führen. Dass die Milizen Saif al-Islam davor bewahrten, wie sein Vater gelyncht zu werden, dürfte er nicht zuletzt seinem Wissen über das innere Funktionieren des alten Regimes verdanken.

Viele befürchten Enthüllungen

Den Häftling an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auszuliefern, der ihm wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit den Prozess machen will, wäre unter den Libyern äußerst unpopulär. Ferner dürfte niemand außer dem Ankläger Luis Moreno-Ocampo daran wirklich Interesse haben. Saif al-Islam ist ein geschickter Redner. Er hat in Wien und London studiert und ist mit westlichen Lebensformen vertraut. Vor Gericht würde er auspacken.

Nicht nur vielen der neuen Leute in Tripolis, die lange für Gaddafi gearbeitet haben, könnte sein Auftritt peinlich werden. Auch die europäischen Regierungschefs, die seinen Vater auf peinliche Weise hofierten, hätten Enthüllungen zu befürchten. "Wir Libyer haben nichts dagegen, dass das Haager Tribunal Beobachter entsendet", sagt al-Allagui.

Wo immer er auf die Anklagebank gerät, wird sich Saif al-Islam al-Gaddafi darauf berufen, er sei unter seinem Vater immer wieder für Reformen und Liberalisierung eingetreten. Noch Anfang vergangenen Jahres sollte er vom Volkskongress, der angeblichen Basisdemokratie Muammar al-Gaddafis, zum "Koordinator der Befehlsinstanzen von Volk und Gesellschaft" bestimmt werden. Er verzichtete auf diese, wie er es nannte, "Maskerade", weil nicht zuvor sein Projekt einer Verfassung, der Einführung des politischen Pluralismus und freier Wahlen gebilligt wurde. Als die Revolution ausbrach, schwenkte er zurück auf die Linie des Vaters und rief dazu auf, "die Ratten zu zertreten". Loyalität war auch bei ihm stärker als politischer Verstand.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: