Gabriels Mission:Aufholen in Teheran

Deutschland ist spät dran. Die Iran-Reise des Wirtschaftsministers soll den Rückstand deutscher Investoren wettmachen. Über den Syrien-Krieg will er auch sprechen.

Von Stefan Braun, Cerstin Gammelin und Paul-Anton Krüger, Berlin

Die Herkunftsbezeichnung "Made in Germany" hat in Iran einen ungebrochen magischen Klang. Unternehmen wie Siemens und Daimler sind seit Jahrzehnten dort aktiv. Maschinen und Autos aus Deutschland werden wegen ihrer Qualität geschätzt; ein Drittel der Industrieanlagen stammt laut dem Auswärtigen Amt aus deutscher Produktion. Die Sanktionen im Atomstreit haben iranische Firmen lange gezwungen, auf chinesische Produkte auszuweichen, seit der Aufhebung Anfang des Jahres gibt es großes Interesse auf beiden Seiten, die guten Wirtschaftsbeziehungen wieder zu beleben. Deshalb reist Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Wochenende nach Teheran.

Beliefen sich die deutschen Ausfuhren nach Iran 2008 noch auf vier Milliarden Euro, waren es 2015 nur mehr zwei Milliarden. Das Handelsvolumen soll nun wieder auf zehn Milliarden steigen; die deutsche Wirtschaft hofft auf einen Markt mit 80 Millionen Kunden. Und die Regierung in Teheran hat große Pläne: Sie hat Hunderte neue Flugzeuge bestellt, will ihre Banken modernisieren, die Energieerzeugung umbauen. Sie braucht dazu internationales Know-how. Entsprechend große Bedeutung misst sie dem Besuch von Gabriel bei, der Sonntagabend, begleitet von Chefs deutscher Industrie-, Energie- und Dienstleistungsfirmen, in Teheran erwartet wird. Italien und Frankreich haben schon Großaufträge in Iran ergattert. Die Deutschen wollen nachziehen. Gabriels Besuch soll das Signal setzen. Er wird mit den Ministern für Finanzen, Wirtschaft und Energie über Möglichkeiten reden, und er will konkrete Verträge unterschreiben.

Gabriels Mission: Markt mit 80 Millionen Kunden: Die deutsche Wirtschaft sieht Chancen in Iran.

Markt mit 80 Millionen Kunden: Die deutsche Wirtschaft sieht Chancen in Iran.

(Foto: Vahid Salemi/AP)

Auf viele Deutsche übt das Land mit seiner jahrtausendealten Geschichte und Kultur, der beeindruckenden Architektur und seinen spektakulären Landschaften große Faszination aus; die Anbieter von Studienreisen können kaum die Nachfrage befriedigen. Für die Bundesregierung bleibt das Regime allerdings ein schwieriger Partner, auch nachdem der Atomstreit diplomatisch beigelegt worden ist.

Schwere Menschenrechtsverletzungen, die Ablehnung des Existenzrechts Israels und Irans massive Kriegsbeteiligung auf Seiten des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien lassen das Kanzleramt jedoch zögern, Präsident Hassan Rohani nach Berlin einzuladen. "Es gibt derzeit keine konkrete Planung eines Besuchs bei der Kanzlerin", sagte ein Regierungssprecher. Wobei sich "derzeit" nicht in Wochen, sondern eher in Monaten messen lasse. Er trat damit Gerüchten über ein angeblich bevorstehendes Treffen entgegen, die in Iran immer wieder lanciert werden.

Gabriel könnte den Präsidenten aber in Teheran treffen; dies war bereits bei einer geplanten Reise Anfang Mai vorgesehen, die der Wirtschaftsminister absagen musste, weil er krank wurde. "Wir würden uns freuen, wenn es zu einem Gespräch mit Präsident Rohani kommen könnte", sagte seine Sprecherin. Die Planungen dazu liefen noch. Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer hob hervor, Gabriels Reise sei mit Merkel abgestimmt und werde von ihr begrüßt. Sie verwies darauf, dass Gabriel strittige Themen ansprechen wolle. Der Vizekanzler hatte im Gespräch mit Spiegel online angekündigt, er werde deutlich machen, "wie groß die Empörung gegenüber den mit Assad verbündeten Kriegsparteien angesichts der schrecklichen Lage in Syrien in Deutschland inzwischen ist".

Gabriels Mission: SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt

SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt

In Berlin gilt die Reise Gabriels trotz aller zustimmenden Bekundungen als heikel: Der Vizekanzler hat als Handlungsreisender ein besonders unglückliches Gespür für den falschen Zeitpunkt entwickelt. Erst flog er im Juli 2015 nach Auffassung vieler in Koalition und Opposition viel zu früh nach Iran; das wirkte, als ob er nur Tage nach Abschluss des Atom-Abkommen wirtschaftlich besonders schnell Punkte machen wollte. Dann besuchte er vorige Woche Moskau und schüttelte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in dem Moment die Hand, als Assads Truppen und russische Flugzeuge einen besonders brutalen Angriff auf Aleppo starteten.

In der Kritik stehen dabei weniger die Besuche selbst, sondern Gabriels Art, damit umzugehen. Aus Moskau wurde vor allem das herzliche Foto mit Putin bekannt. In Berlin erklärte Gabriel anschließend, es müsse Friedensdemos geben, vor der russischen wie vor der amerikanischen Botschaft. Damit erweckte er mindestens den Eindruck, als wolle er in Moskau gut Wetter machen und gegen Amerikaner und Russen gleichermaßen protestieren. Aus der Spitze der Unionsfraktion hieß es, sein "Versuch der Äquidistanz" zu Russland und den USA stoße vielen schwer auf.

In der Opposition sieht man das nicht viel anders. Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen, sagte, es sei "unerträglich falsch", die Verantwortung für den Albtraum von Aleppo quasi gleichmäßig zu verteilen. Gabriels Reisen nach Moskau und Teheran seien im Grundsatz nicht zu kritisieren. Aber sich nach "einem Wohlfühltrip nach Moskau in Deutschland über die von Russland mit verursachte Katastrophe von Aleppo zu empören, ist schlicht Heuchelei'', kritisierte Nouripour.

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