Gabriel zu Gorleben-Gutachten:"Handfester Skandal"

"Verlängerter Arm der Atomwirtschaft": Umweltminister Gabriel ist empört darüber, dass die Regierung Kohl Gutachten zu Gorleben schönte. Kanzlerin Merkel will die Akten überprüfen.

Nach dem Bericht der Süddeutschen Zeitung über politische Einflussnahme auf ein wichtiges Gorleben-Gutachten hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) von Kanzlerin Angela Merkel eine Distanzierung verlangt. Wörtlich sagte er zu den neuen Erkenntnissen: "Das ist ein Grund, dass sich Kanzlerin Angela Merkel zum zweiten Mal von ihrem Vorgänger Helmut Kohl distanziert." Er sei sich nicht sicher, was schlimmer sei: "Die Schwarzgeldaffäre von Helmut Kohl oder die Einflussnahme auf Gorleben."

Fordert von Merkel eine Distanzierung: Sigmar Gabriel; dpa

Fordert von Merkel eine Distanzierung: Sigmar Gabriel

(Foto: Foto: dpa)

Bei der Abfassung des Gutachtens im Jahr 1983 habe es zunächst "Warnungen der Wissenschaftler vor dem schwierigen Standort Gorleben gegeben und die Empfehlung, auch andere Standorte zu erkunden", sagte Gabriel an diesem Mittwoch in Hannover. Diese Warnungen seien jedoch durch politische Einflussnahme ignoriert worden.

Gabriel bestätigte die Echtheit des der Süddeutschen Zeitung vorliegenden Fernschreibens des Bundesforschungsministeriums aus dem Jahr 1983 an die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), die für das Gorleben-Gutachten verantwortlich war.

Gabriel nannte die Vorgänge um das Gutachten einen "handfesten Skandal". Man habe nun Belege dafür, dass es eine politische Einflussnahme auf den Standort gegeben habe. Die damalige Bundesregierung habe sich als "verlängerter Arm der Atomwirtschaft" verstanden.

Akten werden überprüft

Kanzlerin Merkel will die umstrittenen Gorleben-Akten überprüfen lassen. "Alle Akten kommen auf den Tisch", sagte Vize-Regierungssprecher Klaus Vater. "Sollte sich bei der Auswertung zeigen, dass da etwas nicht in Ordnung ist, dann wird man das mal bewerten." Das Umweltministerium habe die vom Kanzleramt angeforderten Akten am Vorabend übermittelt, sagte Vater. Es sei nicht möglich gewesen, 80 oder 90 Ordner bis jetzt durchzuarbeiten.

Kritisch merkte Vater an, dass die Akten der Regierung Helmut Kohl von 1983 ausgerechnet knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl auftauchten, nachdem sie ein Vierteljahrhundert in den Aktenschränken geschlummert hätten. "Und da frag ich mich schon: Hat da niemand draufgeguckt?"

"Gorleben ist politisch tot"

Gabriel erklärte außerdem eine offene Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle unter Ausschluss von Gorleben zur Bedingung der SPD für eine mögliche Neuauflage einer großen Koalition. "Das wird unverzichtbarer Bestandteil von Verhandlungen", sagte der SPD-Minister.

Für die Auswahl eines Standortes müssten nicht nur Salzformationen, sondern auch Ton und Granit als mögliche Wirtsgesteine untersucht werden.

"Gorleben ist politisch tot", sagte der Minister mit Blick auf die 2015 auslaufenden Erkundungsverträge mit den Grundeigentümern. Er warf Merkel vor, "mit dem Kopf durch die Wand" den Standort im Wendland weiter erkunden zu wollen.

Gabriel stellte einen detaillierten Zeitplan für die Endlagersuche nach der Bundestagswahl vor. Danach soll sich der neue Bundestag Anfang 2010 über das Verfahren einigen. Zwischen 2011 und 2013 könnten dann unter Beteiligung der Öffentlichkeit aussichtsreiche Standortregionen festgelegt werden. Diese könnten zwischen 2014 und 2018 über Tage und zwischen 2019 und 2025 unter Tage erkundet werden. 2026 sollte dann der Bundestag einen Standort endgültig bestimmen, etwa 2040 könnte dann das Endlager in Betrieb gehen.

Die Kosten für die Erforschung des endgültigen Standortes bezifferte der Minister auf zwei bis vier Milliarden Euro. Die Gesamtsumme für das Auswahlverfahren werde weit darüber liegen. "Das muss die Atomwirtschaft bezahlen und nicht der Steuerzahler", sagte der SPD-Politiker.

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