Gabriel und die große Koalition:Durch dick und dünn

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Auf der Suche nach Menschen mit seiner Kragenweite: Vizekanzler und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel kurz vor einer Fraktionssitzung seiner Partei. (Foto: Hannibal Hanschke/dpa)

SPD-Chef Gabriel will in der Koalition ein verlässlicher Partner sein, in der Europapolitik der Kanzlerin die Stirn bieten - und zugleich das eigene Profil schärfen. Doch steckt dahinter wirklich ein Plan?

Von Christoph Hickmann, Berlin

Sigmar Gabriel kommt erst gar nicht dazu, sich hinzusetzen. Kurz vor elf ist es am Dienstagmorgen, als der Vizekanzler im Plenum des Bundestags erscheint und sich auf seinen Platz in der Regierungsreihe zubewegt - doch die Kanzlerin hat ihn gesehen. Angela Merkel steht von ihrem Platz auf, geht Gabriel entgegen, die beiden verlassen das Plenum. Sie ziehen sich in das Kanzlerbüro im Reichstagsgebäude zurück, allerdings nur gut zehn Minuten lang, dann nehmen sie ihre Plätze in der Regierungsreihe ein. Sie reden, schauen nebenbei auf ihre Mobiltelefone, diskutieren. Am Ende lachen sie.

Gabriel ist derzeit mal wieder überall

Was es da zu diskutieren gab? Aller Wahrscheinlichkeit nach den neuesten Versuch aus Brüssel, die Reform des Ökostromgesetzes zu torpedieren - bereits am Abend zuvor haben Merkel und Gabriel sowie weitere Spitzenleute der großen Koalition aus diesem Anlass im Kanzleramt zusammengesessen. Für Gabriel ist das Projekt von zentraler Bedeutung, es ist das Herzstück seines bisherigen Wirkens als Wirtschafts- und Energieminister. Und doch ist es nicht der einzige Schauplatz, auf dem er dieser Tage aktiv ist. Gabriel, so hat man den Eindruck, ist derzeit mal wieder überall - und zwar ständig in einer anderen Rolle: als Minister, als SPD-Chef oder als wichtiger europäischer Sozialdemokrat.

Als Minister muss er die Ökostrom- Reform durchbringen. Als SPD-Chef hat er Ende vergangener Woche den Koalitionsfrieden gerettet und seine Partei sowie sich selbst vor einer Blamage bewahrt, indem er das aussichtslose Bemühen des Martin Schulz um einen Posten in der Europäischen Kommission beendete. Ohnehin gibt er sich, was die Koalitionsdisziplin angeht, keine Blöße, sondern unterstreicht gern, dass auch Projekte der Union nun Projekte der Regierung seien. In der vergangenen Woche aber stellte er mit seinem sozialistischen Parteifreund François Hollande die von der Kanzlerin durchgesetzte europäische Sparpolitik in Frage. Und als SPD-Chef setzte er sich, wie jetzt herauskam, kürzlich zum Sechs-Augen-Gespräch mit den Chefs der Linkspartei zusammen - allerdings, wie Spiegel Online berichtet, nicht ohne die Kanzlerin zu informieren.

Mit Attacken gegen den Sparkurs kann man hierzulande nicht gewinnen

Emsiger Fachminister, bedächtiger Parteichef, loyaler Koalitionspartner, rebellischer Sozialistenführer, strategischer Sondierer: Die Frage ist, ob das alles zusammengeht - und wenn ja, wie. Vor allem ist die Frage, ob es dahinter einen Plan gibt.

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Zu laut, zu unstet, zu sehr auf das eigene Fortkommen fixiert - das war lange das Image von Sigmar Gabriel. Doch dann konnte sich der SPD-Chef profilieren.

Gabriel hat mehrmals erklärt, dass er eine Idee habe, wie die SPD aus dieser großen Koalition besser herauskommen könne als aus dem ersten Bündnis mit Merkel. Das war für die SPD mit einem Ergebnis von 23 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 geendet, entsprechend ängstlich waren viele Genossen , als es um die Neuauflage ging. Gabriel versuchte, sie mit seinem Geraune über einen Plan zu beruhigen. Will man von ihm aber wissen, wie dieser Plan aussieht, grinst er nur. Bleibt die Frage, ob sein Plan nach einem halben Jahr in der Regierung allmählich erkennbar wird?

Der Reihe nach: Im Fall Martin Schulz hatte Gabriel lediglich noch die Wahl zwischen der Kapitulation oder einer Niederlage nach offenem Streit in der Koalition. Er wählte die Kapitulation. Was das Bündnis mit Hollande und anderen Gegnern des Merkelschen Sparkurses angeht, ist die Sache schon komplizierter - und zwar nicht nur, weil Gabriel nach einem Treffen mit Merkel in der vergangenen Woche behauptete, man habe gar keinen Dissens. In Deutschland gilt die Grundregel, dass man mit Attacken gegen den Sparkurs nicht viel gewinnen kann - schon gar nicht bei jenem Publikum, auf das die SPD zielt. Wer deutschen Facharbeitern erklären will, dass sie im Zweifel für die Reformbemühungen von Franzosen und Italienern haften sollen, dürfte einen schweren Stand haben. Was also will Gabriel hier erreichen?

Fragt man seine Leute, bekommt man erklärt, dass die Sache doch gar nicht so kompliziert sei - und die vermeintlich verschiedenen Rollen letztlich immer auf dasselbe Ziel hinausliefen: Als Parteivorsitzender sei es Gabriels Job, dafür zu sorgen, dass die SPD mal wieder den Kanzler stelle (was sie nicht sagen: Gabriel selbst) - und um das zu erreichen, müsse er darauf achten, dass die SPD wieder als wirtschaftskompetent wahrgenommen werde. Auf europäischer Ebene wiederum sei es sein Job, dafür zu sorgen, dass Frankreich nicht "den Bach runter" gehe - auch hier gehe es also letztlich um die stabile Wirtschaft. Und als Wirtschaftsminister sei das auf nationaler Ebene ohnehin seine Aufgabe.

Alles klar also? Ist das jetzt schon ein Plan? Und wie passt das Treffen mit den Linken-Chefs in diese Reihe? Höchstens an jener Stelle, an der es darum geht, mal wieder den Kanzler zu stellen. Man sollte solch ein Treffen derzeit ohnehin nicht überbewerten. Was den Bund angeht, sind die Hürden vor einem rot-rot-grünen Bündnis weiterhin hoch. Allerdings könnte es nach der Thüringer Landtagswahl im September zu einer solchen Konstellation kommen - unter Führung der Linken.

Der Mann hat zu viele Rollen

Die Wahrheit sieht dann wohl doch ein wenig anders aus, als Gabriels Leute glauben machen wollen: Der Mann hat derzeit einfach zu viele Rollen, um jede adäquat auszufüllen und gleichzeitig nicht mit einer anderen Rolle in Konflikt zu geraten.

Geradezu klassisch für dieses Problem ist sein Wirken in Sachen Rüstungsexporte: Die allermeisten Genossen erwarten von ihm, dass er die Ausfuhr drosselt und vor allem Lieferungen an Staaten unterbindet, die es mit den Menschenrechten nicht allzu genau nehmen. Das ist die Erwartung, die er als Parteichef erfüllen soll.

Die Rüstungsindustrie wiederum argumentiert, dass sie angesichts geschrumpfter europäischer Verteidigungsetats nur überleben könne, wenn sie auch Länder außerhalb von Nato und EU beliefern dürfe. Und in der Rüstungsindustrie arbeiten auch jene Facharbeiter, von denen die SPD gewählt werden möchte. Falls der Wirtschaftsminister Gabriel, rein hypothetisch, mal eine U-Boot-Lieferung verhindert, könnten sie sich zur Demonstration vor seinem Ministerium formieren.

Da ist die Sache mit der Ökostrom-Reform vergleichsweise trivial - zumindest gibt es ein klares Ziel und einen klar auszumachenden Gegner in Brüssel. Für Sigmar Gabriel dürfte das dieser Tage trotz aller Brisanz eigentlich ganz angenehm sein.

© SZ vom 25.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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