G-8-Treffen in Deauville:25 Stunden für die Rettung der Welt

Der arabische Frühling, die Lage in Libyen, Syrien und im Jemen, die Atomkatastrophe in Japan: Die Großen Acht haben so viele Themen auf dem Konferenztisch, dass manchem davon schon vorher ganz schwindelig ist. Doch Streitpunkte wird es bei dem Treffen im französischen Seebad Deauville genügend geben - zum Beispiel Deutschlands Zurückhaltung im Libyen-Konflikt.

Stefan Ulrich

US-Präsident Barack Obama soll wenig begeistert gewesen sein, als er vergangenes Jahr von den Gipfelplänen seines Kollegen Nicolas Sarkozy erfuhr. Zwei Mal über den Atlantik nach Frankreich fliegen, um dem Franzosen große Auftritte für dessen Vorwahlkampf zu bescheren? Erst im Frühling für den G-8-Gipfel, dann im Herbst für die G 20? Sollte man, fragte sich da manch einer, die beiden Gipfel nicht gleich zusammenlegen?

France's President Sarkozy and German Chancellor Merkel walk at a beach in Deauville

Die Archivaufnahme zeigt Frankreichs Präsidenten Sarkozy und Kanzlerin Merkel beim Spaziergang am Strand von Deauville im Herbst vergangenen Jahres. Von diesem Donnerstag an kommen die Großen Acht in Frankreich zusammen, um über eine stolze Anzahl an Themen zu beraten. 

(Foto: REUTERS)

Die Skepsis war berechtigt. Denn von der Rolle einer Weltregierung, die den G 8 in der Vergangenheit zeitweise zugefallen war, schien zuletzt nicht mehr viel übrig zu sein. Die Themen Weltwirtschaft und Weltfinanzen waren zu den G 20 abgewandert, denen außer den großen Industrienationen auch die wichtigsten Schwellenländer wie China und Brasilien angehören. Und für den G-8-Gipfel in Deauville hatten die Franzosen als Top-Thema das Internet vorgesehen. Musste man dafür alle Welt in ein normannisches Seebad einbestellen?

Aber dann hat die Weltgeschichte Planungen und Zweifel über den Haufen geworfen. Der arabische Frühling in Tunesien und Ägypten, der Herbst der Patriarchen in Libyen, Syrien und im Jemen, die japanische Atomkatastrophe sowie die verhängnisvolle Affäre um Dominique Strauss-Kahn, den Chef des Internationalen Währungsfonds - das alles beschert diesem G-8-Treffen nun doch viel Substanz. Aus dem Élysée heißt es: "Wir haben jetzt so viele wichtige Themen, dass 25 Stunden kaum ausreichen, um alle zu vertiefen."

Nicolas Sarkozy, Barack Obama, Angela Merkel, Dmitri Medwedjew und die anderen werden ihren Gipfel an diesem Donnerstag um 13 Uhr mit einem Arbeitsessen beginnen, am Freitag um 14 Uhr werden sie auseinandergehen. In der Zwischenzeit haben sie so viele Dossiers zu besprechen, dass ihnen in Deauville auch ohne normannischen Calvados schwindlig werden könnte. Da wären die G-8- Klassiker wie Iran, Nordkorea, Terrorismus, Klimaschutz und die Nichtverbreitung von Atomwaffen. Und dann ist da das komplexe Thema Arabien.

Sarkozy, der dieses Jahr die G 8 und die G 20 anführt, will es ins Zentrum des Treffens von Deauville stellen. Sein Außenminister Alain Juppé sagt: "Wir müssen uns für die Ideen der Demokratie und der Freiheit einsetzen, die in Tunesien und Ägypten triumphieren, damit sie die ganze arabische Welt anstecken, Syrien eingeschlossen." Den G-8-Teilnehmern ist bewusst, dass die arabische Welt darauf schaut, ob die Revolutionen in Kairo und Tunis nachhaltig gelingen. Dafür braucht es Geld, viel Geld. Tunesien fordert 25 Milliarden Dollar internationale Hilfe für die kommenden fünf Jahre. Ägypten soll zehn bis zwölf Milliarden benötigen, um wenigstens bis Mitte 2012 durchzukommen. Die Premiers beider Länder werden in Deauville persönlich ihre Wünsche erläutern.

Die G-8-Staaten haben sich vorab darauf geeinigt, dass sich die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in Nordafrika engagieren soll. Auch aus der Europäischen Union, deren Präsident und Kommissionspräsident in Deauville dabei sind, könnte Hilfe kommen. "Die EU hat im Rahmen ihrer Mittelmeerpolitik ganz schön viel Geld daliegen, das die nordafrikanischen Länder bisher mangels konkreter Projekte nicht abrufen konnten", heißt es unter Pariser Diplomaten.

Doch Geld allein schafft keine stabilen Demokratien. So dürfte es in Deauville auch um Marktöffnung, Wissenstransfer und den Aufbau demokratischer Strukturen gehen. Sarkozy schwebt eine dauerhafte Partnerschaft mit den arabischen Reformstaaten vor. "Es ist unsere Pflicht, ihnen zu helfen", sagt ein Berater des Präsidenten. Darüber seien sich alle G-8-Länder einig. "Deauville muss der Gründungsort dieser Partnerschaft werden."

Sarkozy bittet Niger und Guinea an den Tisch

Im Einzelnen bestehen zwischen den acht aber Gegensätze. Russland fürchtet, der Westen wolle seinen Einfluss auf die arabische Welt vergrößern. Deutschland beteiligt sich nicht am Militäreinsatz gegen Libyen. Obama fordert mehr Engagement im Krieg gegen Muammar al-Gaddafi. Schwierig wird zudem der Fall Syrien. Das Assad-Regime ist ein Verbündeter Russlands. Der Westen möchte es mit Sanktionen zum Einlenken zwingen. Und dann wartet noch das Dossier Nahost. Die G8 werden sich gewiss nicht darauf einigen, dass die Vereinten Nationen einen eigenen Palästinenserstaat anerkennen sollen.

Etwas einfacher könnte womöglich das Thema "Afrika südlich der Sahara" werden, auch wenn dort wieder Kriege und Krisen lauern. Die G 8 sehen sich seit langem in der Pflicht, sich für die Entwicklung des Kontinents zu engagieren. Am zweiten Gipfeltag werden daher die sechs Staaten der Nepad teilnehmen, der "Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung". Außerdem bittet Sarkozy die frisch gewählten Präsidenten der Elfenbeinküste, des Niger und Guineas an den Tisch, um die demokratische Entwicklung in diesen Staaten zu preisen.

Die Liebe zur Außenwelt geht jedoch nicht so weit, dass die Europäer einen außereuropäischen Ökonomen an der Spitze des Weltwährungsfonds sehen wollten. Sie möchten vielmehr die französische Finanzministerin Christine Lagarde zur Nachfolgerin Strauss-Kahns machen. Das Thema steht offiziell gar nicht auf der Tagesordnung in Deauville. Dafür werden es die Europäer inoffiziell umso intensiver mit den Kollegen aus Russland, China und Japan diskutieren.

Dann ist da noch die Atomkatastrophe von Japan, welche die G 8 gleich beim Auftaktessen umtreiben dürfte. Sie müssen sich über die Lehren aus Fukushima verständigen. Frankreich fordert international einheitliche, enge Sicherheitsnormen. Der Élysée-Palast räumt aber ein, es gebe "Meinungsunterschiede" über die künftige Nutzung der Kernenergie. Angela Merkel wird ihren Kollegen den neuen deutschen Anti-Atomkraft-Kurs erläutern müssen. Der Japaner Naoto Kan wird erklären, sein Land wolle die Atompolitik überdenken. Sarkozy dagegen will nun erst recht die französische Nuklearindustrie stärken.

Die G 8 würden auch in G-20-Zeiten weiter gebraucht, sagen die Franzosen. Sie bildeten eine Wertegemeinschaft, hätten ähnliche Probleme und Lösungsvorschläge. Mancher westliche Diplomat fragt sich jedoch, ob man wirklich so viele Werte mit Russland teile. Auch hätten sich die G 8 untereinander offenbar nur noch so wenig zu sagen, dass sie in Deauville schon nach wenigen Stunden die Araber und Afrikaner hinzuzögen.

Trotz der riesigen, hoch aktuellen Agenda bleiben also Zweifel. Sogar der Élysée gibt sich ungewohnt bescheiden. Sarkozys Sonderberater Henri Guaino gesteht ein: "Wir werden beim G-8-Gipfel die Welt nicht neu erschaffen."

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