G-20-Treffen in Cannes:Gipfel der Getriebenen

Erst drohten sie Griechenland mit dem Ausschluss aus der Euro-Zone, dann bestellten sie Italiens Regierungschef zum Rapport: Regieren Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy nun ganz Europa? Werden die G20 zu einer Weltregierung? Der Gipfel in Cannes zeigt den Mächtigsten der Welt ihre Grenzen auf.

Stefan Ulrich, Cannes

Eigentlich ist es eine dankbare Rolle, den Gastgeber eines G-20-Gipfeltreffens zu geben. Der Hausherr kann vor der Welt glänzen und so auch innenpolitisch punkten. Nicolas Sarkozy erhoffte sich aus Cannes viel Rückenwind für den französischen Präsidentschaftswahlkampf. Doch alles kam anders.

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Sie wollen die Richtung vorgeben für die Reform des europäischen Finanzsystems: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (links), die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama.

(Foto: AFP)

Gehetzt und fahl im Gesicht musste der Präsident von offiziellen Sitzungen zu vertraulichen Krisenrunden hetzen. Erst galt es, sich die Griechen vorzuknöpfen, und dann tauchte das nächste Problemland auf: Italien. Die Krisen Europas überrollten den Gipfel und dessen Gastgeber.

Nun ist der französische Präsident weder am Chaos in Athen noch am bizarren Versagen Silvio Berlusconis in Italien schuld. Sarkozy muss sich jedoch vorhalten lassen, oft zu hohe Erwartungen zu wecken. Was hat er nicht alles für dieses Treffen der Industrie- und Schwellenländer angekündigt. Eine Neuordnung des Weltwährungssystems. Die Zähmung der Finanzmärkte. Eine globale Transaktionssteuer. Wer so hoch zielt, schießt leicht daneben. Die offiziellen Gipfelergebnisse mussten da eher enttäuschen.

Doch ist auf dieser Giga-Konferenz mit ihren Tausenden Delegierten und Journalisten durchaus Bemerkenswertes geschehen. Europas Krise rückte endgültig ins Zentrum des Weltinteresses und der G20. Die alte Großmacht USA und neue Mächte wie China schauten den Europäern genau auf die Finger, weil sie fürchten, dass die EU-Staaten mit ihren Schulden die Weltwirtschaft erdrücken. Dies setzt die Europäer unter Druck und treibt deren Anführer, Nicolas Sarkozy und Angela Merkel, zu hartem Handeln.

Griechenland taumelt, Berlusconi lächelt

Am Mittwochabend stellten Präsident und Kanzlerin den Griechen in beispielloser Klarheit die Gretchenfrage: Wie haltet ihr es mit Europa? Zugleich stellten sie Athen so kompromisslos Bedingungen, dass vom deutsch-französischen Diktat die Rede war. Die Griechen hat das beeindruckt. Am Donnerstag zog Premier Papandreou seinen Referendumsplan zurück.

Während Griechenland taumelte, tänzelte Silvio Berlusconi in Cannes an. Einen dunklen Tuchmantel lässig um die Schultern gehängt, ein kesses Siegerlächeln im Gesicht - so zog er ins Konferenzzentrum ein. Wer nur diese Szene sah, konnte nicht ahnen, dass Berlusconi in Rom die Gefolgsleute davonlaufen, während ihn in Cannes seine Kollegen voller Vorwürfe erwarteten.

Allen war bewusst: Falls Europa bei seiner Irrfahrt durch das Schuldenmeer heil an Griechenland vorbeikommt, warten die Klippen Italiens. Nur Berlusconi konnte da lachen. Er beruhigte seine Kollegen, Italien habe schon immer zu hohe Schulden gehabt. Er verschwieg dabei: Die Märkte trauen Rom nicht mehr.

Am späten Donnerstagabend nahmen Sarkozy, Merkel und US-Präsident Barack Obama daher den italienischen Ministerpräsidenten ins Gebet. Das Ergebnis: Nicht nur die Europäische Kommission, sondern auch der Internationale Währungsfonds (IWF) wird darüber wachen, dass sich Italien reformiert und seine Schulden abbaut. Es werde ein "striktes Monitoring" geben, hieß es in Cannes.

Diktatoren auf Zeit

So konnte der Eindruck entstehen, nun habe eine neue Weltregierung - die G 20 - den Ausnahmezustand über Europa verhängt. Sarkozy und Merkel würden in diesem Bild als Diktatoren auf Zeit erscheinen - wie im alten Rom, wenn der Republik größte Gefahren drohten.

Doch die eigenmächtige Ankündigung eines Referendums durch Papandreou und das Lavieren Berlusconis vor dem Gipfel zeigen: Die Autorität Sarkozys, Merkels und der G20 ist begrenzt. Papandreou und Berlusconi wurden in Cannes zur Ordnung gerufen, doch von Weltregierung kann nicht wirklich die Rede sein.

Schwammige Struktur, fragwürdige Autorität

Dabei ist es erst zwei Jahrzehnte her, dass ein neues Zeitalter des globalen guten Regierens anzubrechen schien. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion prophezeiten viele, nun werde eine stabile Weltordnung entstehen, auf der Basis des Völkerrechts und globaler Institutionen wie der Vereinten Nationen. Die Hoffnungen zerschellten an den unterschiedlichen Interessen der Großmächte, an deren Vetos im UN-Sicherheitsrat, am Krieg um Irak. Wer an die Vereinten Nationen als Ordnungsmacht glaubte, wurde ziemlich enttäuscht. Statt UN-Ordnung herrschte weiter Unordnung.

Doch dann kamen im November 2008 in Washington erstmals die Staats- und Regierungschefs der sogenannten G20 zusammen. Die G-20-Staaten, darunter die alten G8 und aufstrebende Regionalmächte wie Brasilien und Indien, repräsentieren zwei Drittel der Weltbevölkerung, 80 Prozent des globalen Handels und 90 Prozent des weltweit erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts. Zudem gibt es in ihrem Kreis keine Vetorechte. Würden diese G20 die neue Weltordnung tragen?

Wer regiert die Welt?

Heute ist die Euphorie, trotz einiger Fortschritte bei der Stabilisierung von Banken und Märkten, verflogen. Die Agenda der G-20-Treffen wirkt überfrachtet, die Struktur schwammig, Autorität, Legitimation und Effizienz des Clubs sind fragwürdig. Die G20 haben keine Charta, kein Sekretariat und kein Mandat, Mehrheitsentscheidungen zu fällen und in der Welt durchzusetzen.

Wer regiert die Welt und Europa? Diese Frage lässt sich schwerer denn je beantworten. Von EU-Präsidentschaft, EU-Kommission und Europaparlament war in den Tagen von Cannes wenig zu hören. Das Schicksal des Euro und der EU wird von Nicolas Sarkozy und Angela Merkel - einer Art G2 - bestimmt, sowie von ad hoc entstehenden Gruppen wie der neuen "Frankfurter Runde". Allein solche Direktorien scheinen noch in der Lage zu sein, auf die sich überschlagenden Krisen zu reagieren. In höchster Not mag es dazu keine Alternative geben. Danach aber müssen sich Regierende wie Bürger fragen, wie sich das alles mit dem Demokratieprinzip und den Rechten kleinerer Staaten verträgt.

In Cannes hat es solche Diskussionen allenfalls am Rande gegeben. Nicolas Sarkozy, Angela Merkel und die anderen Chefs waren dafür zu beschäftigt. Wer ein morsches Schiff durch den Sturm steuert, hat keine Zeit, ein neues, besseres Boot zu bauen.

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