G-20-Proteste:Endstation Hamburger Hafenstraße

German riot police use water cannons against protesters during the demonstrations during the G20 summit in Hamburg

Rauchbomben gegen Wasserwerfer - der G-20-Protestmarsch "Welcome to Hell" eskaliert.

(Foto: REUTERS)
  • Kurz vor dem Beginn des G-20-Gipfels in Hamburg ist es zu Zusammenstößen zwischen Aktivisten und Polizei gekommen.
  • Am Abend ist der Protestmarsch mit dem Titel "Welcome to Hell" eskaliert, weil einige Teilnehmer nicht bereit waren, ihre Vermummung abzunehmen.
  • Doch auch abseits der Proteste herrscht ein beklemmendes Gipfelgefühl.

Von Peter Burghardt und Thomas Hahn, Hamburg

Es begann als Happening mit Bands und Parolen, dann mündete die am meisten gefürchtete Demonstration dieses G-20-Gipfels in Gewalt. Für ein paar Stunden sah es am frühen Donnerstagabend noch danach aus, als würde es nicht so schlimm werden mit dieser Veranstaltung unter dem martialischen Motto "Welcome to Hell", Willkommen in der Hölle.

Tausende vor allem junge Leute hatten sich versammelt am Fischmarkt im Stadtteil St. Pauli. An der Bühne waren zwar solche Wörter zu lesen: "Blockieren. Sabotieren. Demontieren." Dennoch setzte sich der Protestmarsch ruhig in Bewegung, begleitet von Rave-Musik. Doch binnen Minuten geriet das Fest aus den Fugen.

Ins Stocken kam der Demonstrationszug, als sich an der Hafenstraße der sogenannte Schwarze Block formierte. Ein massives Aufgebot von Polizisten versperrte den Weg, der bis an den Rand des Messegeländes führen sollte, am Freitag und Samstag Tagungsort der mächtigsten Politiker der Welt. Beamte forderten vermummte Teilnehmer auf, ihre Vermummung abzulegen. "Haut ab", schallte es zurück. "Wir sind schon mehr als zehntausend Menschen."

12 000 sollen es gewesen sein, darunter laut Polizei etwa 1000 Vermummte. Flaschen flogen, Böller knallten. Die Polizei rückte mit Wasserwerfern und Reizgas vor, ein Hubschrauber kreiste. Die Lage eskalierte, die Behörden erklären Versammlung schon gegen 20 Uhr für beendet.

Demonstranten versuchten zu flüchten. Es gab Verletzte und Festnahmen. Während eines Interviews wurde auch Timo Zill attackiert, Pressesprecher der Hamburger Polizei. Er entkam in einem Einsatzwagen mit Blaulicht. Später gingen Autos in Flammen auf. Die Polizei meldete zudem, dass die Scheiben eines schwedischen Möbelhauses und einer Filiale der Sparkasse in Altona beschädigt worden seien.

Während protestiert wird, tagen die Staatsgäste

Abseits der Hafenstraße stand ein schmaler, junger, schwarz gekleideter Protestler mit weißem Kopfverband, er war mittendrin gewesen. Er wisse nicht genau, was passiert sei, sagte er. "Schwer zu erklären." Er floh in ein Parkhaus. Jedenfalls: "Ich hab' was abbekommen."

Das alles geschah, als US-Präsident Donald Trump und andere Staatsgäste gerade in der Hansestadt gelandet waren und Angela Merkel Trump und andere im Hotel Atlantic an der Außenalster traf. Als Coldplay, Shakira und weitere Popstars beim "Global Citizen Festival" in der Hamburger Arena auftraten.

Man hatte es befürchtet. Wegen all der Regierungschefs und möglicher Ausschreitungen durch militante Autonome sind gut 19 000 Polizisten bei diesem G 20-Treffen mit festen Uniformen und schwerem Gerät im Einsatz. Ob sie zu schnell und zu hart durchgriffen, darüber wird diskutiert werden. So oder so kann man sagen, dass in Hamburg Bilder produziert wurden, die man vermeiden wollte.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac verurteilte die Strategie der Polizei. "Die Auseinandersetzungen bei der Demonstration ,Welcome to Hell' waren eine Eskalation mit Ansage: Es ist offenkundig, dass diese Demonstration nach dem Willen von Polizei und Senat nie laufen sollte", sagte Roland Süß vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.

Die Hamburger - bange und schicksalsergeben

Angedeutet hatte sich der Ärger schon am Morgen im Hamburger Hauptbahnhof, als etwa 630 G-20-Gegner mit einem Zug aus Basel ankamen. 33 Personen hatte die Polizei aus dem Tross gezogen, ehe der Sonderzug am Mittwochabend in der Schweiz abfuhr - sie hatten Schutzbekleidung dabei, die auf gewaltsame Absichten schließen ließ. Ein Mann durfte nicht reisen, weil gegen ihn ein Haftbefehl wegen Körperverletzung vorliegt.

Vor den Ankömmlingen demonstrierte die Bundespolizei - ihre Stärke. Die Gipfel-Gegner bekamen so eine erste Gelegenheit, ihrer Anti-Haltung Luft zu machen. Viele trugen Sonnenbrillen und Kapuzen. Andere wirkten amüsiert vom uniformierten Empfangskomitee. Immerhin ging es da noch friedlich zu.

Viele Hamburger blickten bange und schicksalsergeben auf das, was da auf sie zukam. Bereits tagsüber herrschte eine angespannte Ruhe, wie vor einem Sturm. Schaufenster waren verrammelt, Läden geschlossen. Vor allem das Karolinenviertel erfasste ein beklemmendes Gefühl, das viele Anwohner aus der Stadt trieb.

So manche originelle Veranstaltung wird nun übertönt vom Krawall

Das Karolinenviertel liegt neben den Messehallen, dem G-20-Konferenzzentrum. Einzelne Wohnhäuser stehen im Sperrgebiet. Die Bewohner müssen an den Durchgangspunkten ihren Ausweis vorzeigen, Besucher werden von Polizisten begleitet.

Auch wer außerhalb der Sperrzone wohnt, ist genervt: von den Hubschraubern und Absperrungen, vom Eindruck, unter besonderer Bewachung zu stehen. Das Karolinenviertel wirkt wie ein großes Statement gegen G 20. An Fassaden, an Balkonen, in Schaufenstern, zwischen Bäumen - überall hängen Plakate mit Sprüchen. Es ist, als schreie das ganze Viertel: "G 20, geh heim!"

Auch gehen nachdenkliche Veranstaltungen unter. Dabei hatten sich zum Beispiel in der Kulturfabrik Kampnagel in Winterhude eine Menge interessierter Menschen versammelt. "Gipfel für globale Solidarität", hieß der Gegenentwurf zum abgeschirmten Treffen der Mächtigen.

Gespeist wurde in der Bar "Peacetanbul". Aktivisten wie die indische Bürgerrechtlerin und Ökologin Vandana Shiva traten auf, Hunderte Zuhörer füllten die Hallen. Es ging um die Demokratie, gegen die Privatisierungswelle einer neoliberal inspirierten Globalisierung, für Klimaschutz und eine offene Gesellschaft.

"Wir müssen nicht den Palast stürmen", riet am Donnerstag Alberto Acosta aus Ecuador, früher Energieminister und für eine indigene Partei Präsidentschaftskandidat. "Wir müssen den Gemeinsinn stärken." Die Organisation Oxfam rechnete öffentlich vor, dass acht Männer mittlerweile genauso viel besitzen wie eine Hälfte der Menschheit, also etwa 3,7 Milliarden Menschen.

Stiller Protest aber scheint überstimmt zu werden von Krawall und Polizeiaktionen. Als Linksintellektuelle in der Kulturfabrik Kampnagel tagten, waren wieder Helikopter unterwegs. Die Trumps wurden zu einer Alsterwiese geflogen und in einer Kolonne zum Gästehaus des Senats gefahren, wo das Präsidentenpaar nächtigt. Danach nahm "Welcome to Hell" seinen Lauf.

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