G-20-Krawalle:Wer ist schuld am Desaster in Hamburg?

Budni-Filiale im Schulterblatt

Der Drogerie-Markt der Kette Budnikowsky war während der G-20-Ausschreitungen geplündert und verwüstet worden.

(Foto: Georg Wendt/dpa)

Polizisten, die den Einsatz verweigern, Linke, die Gewalt gutheißen, Politiker, die die Gefahr unterschätzen: Nach dem G-20-Gipfel gibt es Schuldzuweisungen allerorten. Die Positionen im Überblick.

Von Hannah Beitzer

Kriminelle, gewalttätige Extremisten, Plünderer, Chaoten, auch nicht besser als Neonazis: So etwa lässt sich die Kritik an jenen zusammenfassen, die während des G-20-Gipfels im Hamburger Schanzenviertel Polizisten angriffen, Geschäfte zerstörten, Feuer legten. Doch wer trägt die Verantwortung dafür, dass die Proteste um den G-20-Gipfel so eskalieren konnten?

Die Polizei

Vorwürfe gegen die Polizei kommen aus vielen Richtungen. Zum Beispiel: Die Beamten sollen von Anfang an bewusst auf Konfrontation gesetzt haben, als sie etwa die "Welcome to Hell"-Demo früh wegen vermummter Teilnehmer gestoppt hatten. Besser wäre es gewesen, so Kritiker, zu deeskalieren und über kleinere Verstöße hinwegzusehen, wie es etwa auf linken Demos in Berlin üblich sei. Diese harte "Hamburger Linie" kritisieren viele als ein Vorgehen, das sich in der Vergangenheit längst als wenig vorteilhaft erwiesen habe.

Anwohner werfen der Polizei vor, das Schanzenviertel über Stunden den Randalierern überlassen zu haben. Die Polizei entgegnet, dass für die Beamten dort Lebensgefahr geherrscht habe. So mussten sie von Dächern Angriffe mit Molotowcocktails und Gehsteigplatten befürchten. Deshalb sei es notwendig gewesen, Spezialkräfte zusammenziehen. Einige Einheiten hätten aus Angst den Einsatz verweigert.

Die Hamburger Einsatzleitung weist die Kritik auch in anderen Punkten weit von sich. "Es gibt keine kompromisslose Hamburger Linie", sagt Behördenchef Ralf Martin Meyer im Interview mit dem Spiegel. Vielmehr hätte die Polizei schon vorher Hinweise auf geplante Blockaden und Gewalt erhalten, die sich hinterher bestätigt hätten. Kritiker in den eigenen Reihen, die etwa eine chaotische Kommunikation und eine fehlgeschlagene Einsatzplanung beklagen, bezeichnet er als "Besserwisser ohne Verantwortung".

Auch wird die Polizei nicht müde zu betonen, wie außergewöhnlich schwer der Einsatz gewesen sei, wie massiv die Gewalt war, auch gegen Polizisten. Die Zahl der verletzten Beamten bewerten mehrere Medien im Nachhinein allerdings als übertrieben. Die Einsatzleitung hatte von 476 Verletzten Polizisten gesprochen, allerdings ohne zu erwähnen, dass sich die Zahl nicht nur auf die Krawallnacht, sondern auf einen Zeitraum von zwei Wochen bezieht. Direkt um das Gipfelwochenende herum seien es 231 Verletzte gewesen, darunter auch solche, die unter Kreislaufproblemen oder Dehydrierung gelitten haben.

Die linke Szene

Die Polizei hat nach Ansicht vieler unterschiedlicher Beobachter einiges falsch gemacht. Aber wie sieht es mit der Gegenseite aus? Hier tragen auch diejenigen eine Schuld, die nicht selbst Steine in die Hand genommen haben, sagen viele Politiker. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz etwa gibt jenen eine Mitschuld, die Gewalt verharmlosten und "sie als politisches Handeln rechtfertigen". Das zielt auf die linke Szene, insbesondere die Organisatoren der "Welcome to Hell"-Demo, die den gewalttätigen Ausschreitungen vorangegangen war. Politiker der CDU und der AfD forderten sogar die Schließung der Roten Flora, dem autonomen Zentrum im Hamburger Schanzenviertel. Deren Betreiber allerdings haben sich von den Ausschreitungen distanziert und verweisen darauf, dass viele Plünderer extra nach Hamburg angereist seien.

Unterstützung bekommen sie ausgerechnet von einigen ihrer Nachbarn, also jenen Menschen, die von den Ausschreitungen betroffen waren. "Hier von linken AktivistInnen zu sprechen wäre verkürzt und falsch", schreiben etwa die Betreiber einiger Lokale im Schanzenviertel auf Facebook. Sie schildern die Situation aus ihrer Sicht: Für den Großteil der Zerstörungen seien Krawalltouristen, Partyvolk und betrunkene junge Männer verantwortlich, "denen wir eher auf dem Schlagermove, beim Fußballspiel oder Bushido-Konzert über den Weg laufen würden als auf einer linksradikalen Demo." Im Interview mit der taz spricht einer der Unterzeichner von "migrantischen Kids", die ihrer Wut auf den deutschen Staat freien Lauf gelassen hätten. Einige schwarz vermummte Autonomen hätten hingegen versucht, die Krawalltouristen von Plünderungen und Zerstörung abzuhalten.

Allerdings sagt er auch: "Am Anfang war es so, dass ein sehr gut organisierter schwarzer Block von etwa 200 Personen die Polizei angegriffen hat, in einer Massivität, wie ich sie in Hamburg bisher nicht erlebt habe." Diese Gruppe habe sich jedoch schnell aufgelöst, nachdem die Polizei sich zurückgezogen habe. Danach habe keine Lebensgefahr für die Beamten bestanden.

Neutrale Beobachter seien diese Lokalbetreiber jedoch nicht, kritisiert zum Beispiel der Stern. So befinde sich unter ihnen auch ein ehemaliger RAF-Terrorist. Ergo: Es handele sich eher um Sympathisanten der linken Szene als um unbeteiligte Nachbarn.

Wie aber sollen Szenen wie in Hamburg in Zukunft verhindert werden? Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordert nun, potenzielle Gewalttäter mittels strenger Meldeauflagen oder elektronischer Fußfesseln in Schach zu halten. "Die Krawallmacher sollten die Demonstrationsorte gar nicht erst erreichen dürfen", sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Ein Problem: Wer tatsächlich Steine geworfen, Polizisten angegriffen und Feuer gelegt hat, wird schwer herauszufinden sein. 186 Festnahmen hat es während der Ausschreitungen gegeben, die meisten Tatverdächtigen sind längst wieder frei. Aus Mangel an Beweisen.

Die Politik

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz muss sich vor allem zwei Vorwürfe gefallen lassen. Zum einen habe er die Auswirkungen des Gipfels unterschätzt. Er hatte sich zu dem Vergleich hinreißen lassen, der Gipfel werde in Bezug auf die verkehrstechnischen Einschränkungen "ein größerer Hafengeburtstag" werden - ein Satz, der sich schnell verselbstständigte.

Hinterher lobte er die Polizei nach Meinung vieler Kritiker allzu pauschal. Dabei könnte ihm vor allem ein Satz zum Verhängnis werden: "Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise." Dem stehen 35 Verfahren gegen G-20-Polizisten gegenüber. Der Vorwurf in den meisten Fällen: Körperverletzung im Amt.

Ein weiterer Vorwurf an die Politik lautet: Sie habe dem Schutz der Staatsgäste eine höhere Priorität eingeräumt als dem der Bürger in den Stadtvierteln. Nur so habe es zu dem massiven Chaos im Schanzenviertel überhaupt kommen können. Das legt auch ein internes Polizeidokument nahe, das der Spiegel öffentlich machte. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hingegen bestreitet ebenso wie die Polizei, dass die Vernachlässigung der Sicherheit der eigenen Bürger zugunsten der G-20-Teilnehmer der Grund für die Ausschreitungen war.

Vor allem Politiker von CDU, CSU und AfD beklagen: Linker Extremismus sei vom Staat bisher zu wenig beachtet worden, man sei "auf dem linken Auge blind". Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen wies den Vorwurf zurück: "Wir schauen mit beiden Augen. Und zwar in alle Richtungen, nach links, nach rechts, in Richtung Islamismus, in Richtung Ausländerextremismus, aber auch in Richtung 'Reichsbürger' und anderer Gruppen, die diesen Staat infrage stellen."

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