G-8-Gipfel:"Nahrungsmittel werden für den Tank produziert"

Die Nahrungskrise in den armen Ländern der Welt wird durch die Produktion von Agrarkraftstoffen verschärft. Nur ein beherzter Aktionsplan der Industriestaaten kann die Hungerkatastrophe verhindern, sagt die deutsche Entwicklungsministerin. Heidemarie Wieczorek-Zeul erwartet ein hartes Ringen um feste Zusagen.

Marcel Burkhardt

sueddeutsche.de: Angesichts der ausufernden Nahrungskrise erwarten die Entwicklungsländer konkrete Hilfe von den reichen Industrienationen. Welche Maßnahmen muss der angestrebte Aktionsplan der G-8-Staaten beinhalten, um diese Krise zu bewältigen?

G-8-Gipfel: Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): "Wenn wir all diese Dinge anpacken, kann die Hungerkatastrophe, die durch steigende Lebensmittelpreise droht, verhindert werden."

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): "Wenn wir all diese Dinge anpacken, kann die Hungerkatastrophe, die durch steigende Lebensmittelpreise droht, verhindert werden."

(Foto: Foto: AP)

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Es geht zum einen um die unmittelbare Hilfe für die Armen, die einfach nicht das Geld haben, um sich für höhere Preise Lebensmittel kaufen zu können. Zudem brauchen die Landwirte in den Entwicklungsländern Soforthilfen, um ihre Ernten sichern zu können.

sueddeutsche.de: Kanzlerin Angela Merkel hat eine halbe Milliarde Euro für die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern zugesagt. Welche mittel- und langfristigen Strategien verfolgt die Bundesregierung?

Wieczorek-Zeul: Wir setzen uns dafür ein, dass die Industrieländer endlich Schluss machen mit der Methode der Agrarexport-Subventionen, die über Jahrzehnte hinweg den Entwicklungsländern unfaire Konkurrenz gemacht haben - und diese Länder im Grunde aus der Agrarproduktion rausgeworfen haben. Genauso gehört dazu, dass die Entwicklungsländer wieder die Versorgung ihrer eigenen Bevölkerung durch landwirtschaftliche Produktion in den Mittelpunkt stellen.

Und dazu gehört außerdem, dass die Agrarkraftstoffe auf den Prüfstand gestellt werden - auch von Seiten der USA. Denn die bisherige Praxis wirkt in den Entwicklungsländern wie ein Staubsauger - Nahrungsmittel werden für den Tank produziert und nicht für den Teller. Wenn wir all diese Dinge anpacken, kann die Hungerkatastrophe, die durch steigende Lebensmittelpreise droht, verhindert werden.

sueddeutsche.de: Takumo Yamada, Sprecher der Hilfsorganisation Oxfam, griff die G-8-Staaten in diesem Punkt energisch an. Er sagte, statt zu helfen, würden sie Hilfe kürzen und "Nahrung als Treibstoff in Autos verbrennen". Um den Tank eines großen Geländewagens mit Ethanol zu füllen, bräuchte es so viel Getreide, wie ein Mensch in einem Jahr benötigt.

Wieczorek-Zeul: Unser Ministerium hat frühzeitig auf diese Gefahr hingewiesen. Es ist gut, dass die gefährlichen Zusammenhänge jetzt im Bewusstsein der Verantwortlichen angekommen sind. Lange Zeit wurden die Probleme geleugnet oder verharmlost. Aber es zeigt sich eben - und das deckt sich mit Erkenntnissen der Weltbank -, dass in den Entwicklungsländern die Preise bei Grundnahrungsmitteln zum Teil bis 75 Prozent steigen und das hat eine zentrale Quelle: Die Produktion von Agrarkraftstoffen.

sueddeutsche.de: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy verfolgt einen anderen Ansatz. Er unterstützt den Vorstoß, den bedürftigsten Ländern den Zugang zu den Nahrungsmittelüberschüssen der reichen Staaten zu gewähren. Was halten Sie davon?

Wieczorek-Zeul: Es ist völlig ungeeignet, Überschüsse zu produzieren, die dann in die Entwicklungsländer geliefert werden. Diese Rezepte sind schon in der Vergangenheit gescheitert. In den Entwicklungsländern müssen die Strukturen geschaffen werden, um mit der Nahrungsmittelproduktion voranzukommen. Wir dürfen nicht wieder zurückkehren zur subventionierten Überschussproduktion in der Europäischen Union, die dankenswerterweise durch die Reform der Agrarpolitik unterbrochen wurde.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Wieczorek-Zeul die Hilfspläne der Europäischen Union für Bauern in den Entwicklungsländern bewertet.

"Nahrungsmittel werden für den Tank produziert"

sueddeutsche.de: Die Kommission der Europäischen Union will mit ungenutzten EU-Hauhaltsmitteln in Höhe von einer Milliarde Euro Bauern in Afrika, Asien und Lateinamerika unterstützen. Dem Vorschlag müssen aber alle 27 EU-Länder zustimmen. Wie viel bleibt von der Summe am Ende übrig?

Wieczorek-Zeul: Ich unterstütze diesen Vorschlag, denn er hilft, die akute Krise zu bekämpfen. Die ungenutzten EU-Haushaltsmittel würden normalerweise in die nationalen Haushalte zurückfließen. Da haben die Finanzminister ein gewichtiges Wort mitzureden. Eine Prognose ist da schwierig.

sueddeutsche.de: Verschiedene Hilfsorganisationen und nun auch der Chefvolkswirt der UN-Agentur für Handel und Entwicklung, Heiner Flassbeck, werfen den reichen Industriestaaten vor, ihre Zusagen für Entwicklungshilfe generell nicht einzuhalten ...

Wieczorek-Zeul: ... Deutschland hat seine Zusagen eingehalten. Wir haben bei uns im Ministerium noch mal nachgerechnet: Unser Haushalt hat seit 1998 um 42 Prozent zugenommen. Das ist eine ganz ordentliche Zahl. Ich wünschte, das gäbe es bei anderen Entwicklungshaushalten auch. Zumindest die Briten sind da ähnlich beispielhaft.

sueddeutsche.de: Die globalisierungskritische Organisation Attac wirft den G-8-Staaten vor, dass sie maßgeblich für die derzeitige Hungerkrise in der Welt verantwortlich seien, da sie die Entwicklungsländer zur Öffnung ihrer Märkte gezwungen hätten. Produzenten aus den armen Ländern könnten mit den Exporten der Industrieländer nicht konkurrieren.

Wieczorek-Zeul: Es gibt viele Punkte, bei denen ich mit Attac einer Meinung bin, aber in dem Fall halte ich nichts davon, zu sagen, die Entwicklungsländer sollten ihre Märkte besonders schützen. Zu glauben, die Probleme durch Abschottung lösen zu können, halte ich für falsch. Ich denke, dass die Entwicklungsländer vor allem einen fairen Marktzugang zu den Märkten der Industrieländer brauchen.

sueddeutsche.de: Wird der G-8-Gipfel die erhoffte Hilfe für die Ärmsten der Armen bringen?

Wieczorek-Zeul: Ich hoffe sehr! Bezogen auf Afrika und die Entwicklungszusammenarbeit muss man jeden äußeren Anlass nutzen, um die globalen Lösungen voranzubringen. Deshalb bin ich auch dafür, die G-8-Gipfel dafür zu nutzen. Ich glaube aber auch, es wird noch ein Ringen geben um feste Zusagen, zu welchem Zeitpunkt welche Summen aufgebracht werden müssen.

Immerhin: Ich bin mir sicher, dass die G 8 beschließen werden, den neuen Klimafonds der Weltbank zu unterstützen. Mit ihm werden in der Zukunft erneuerbare Energien, Investitionen in umweltfreundliche Technologien und Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in Entwicklungsländern finanziert. Das ist eine gute Nachricht für das Klima. Und das ist eine gute Nachricht für die Menschen in den Entwicklungsländern.

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