G-20-Gipfel:Krisenrunde am geschützten Strand

Das Treffen ist ein großes Wirtschaftsforum, doch in Antalya ist das Treffen erstmals von politischen Themen dominiert. Im Zentrum so oder so: Gastgeber Türkei.

Von C. Gammelin und M. Szymanski, Berlin/Istanbul

Am Sonntagmorgen, im Regierungsflieger, hätten sie Zeit und Gelegenheit, miteinander zu reden, etwa über Willkommenskultur oder über Lawinen und wie diese losgetreten werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fliegen ins türkische Antalya, zum Gipfeltreffen der zwanzig weltweit mächtigsten Volkswirtschaften G 20. Ähnlich wie in Deutschland steht auf der Agenda in Antalya eine Frage im Vordergrund: Wie kann es gelingen, Fluchtursachen zu beseitigen und Migrationsströme einzudämmen? Es ist im Grunde genommen genau die Frage, in der Schäuble versucht, die Kanzlerin daheim zu bewegen, ihre Politik der Willkommenskultur zu relativieren.

Merkel und Schäuble werden gemeinsam anreisen, allerdings in parallelen Sitzungen verhandeln. Offizieller Höhepunkt des zweitägigen Gipfels soll das Abendessen der Staatenlenker am Sonntag sein, auf dem diese "ergebnisoffen" über Migranten und Fluchtursachen, vor allem Terrorismus reden werden, hieß es in der Bundesregierung. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, Gastgeber der G-20-Gipfel im laufenden Jahr, hat allerdings klare Vorstellungen, was verhandelt werden soll. Er will über den Bürgerkrieg in Syrien, den Anti-Terrorkampf und Flüchtlinge in der Türkei sprechen. Das Land hat eine 900 Kilometer lange Grenze zu Syrien und mittlerweile mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Geredet werden soll nicht nur beim Essen, sondern auch bilateral. Erdoğan habe diesbezüglich einige Verabredungen, sagte sein Sprecher. Ähnlich äußerten sich Regierungskreise in Berlin. Es wäre also eine große Überraschung, wenn Merkel und Erdoğan sich nicht unter vier Augen treffen würden. Ohne die Türkei, das ist ein offenes Geheimnis, werden die Flüchtlingsströme nicht einzudämmen sein.

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G-20 und seine Gegner: Mitglieder eines türkischen Jugendverbandes vor dem US-Konsulat in Istanbul.

(Foto: Ozan Kose/AFP)

Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise sind Deutschland und die Europäische Union auf die Mitarbeit ihres Beitrittskandidaten Türkei angewiesen. Nicht ohne Grund hatte sich Merkel noch während des türkischen Parlamentswahlkampfes auf den Weg nach Istanbul gemacht, um mit der Staatsspitze eine engere Zusammenarbeit zu vereinbaren. Ihr war regelrecht anzusehen, wie unwohl sie sich fühlte, als sie sich neben Erdoğan in einem throngleichen Sessel im Palast der Sterne sacken ließ.

Obama war schon da, Putin und andere Weltpolitiker. Aber jetzt kommen alle gleichzeitig

Drei Milliarden Euro jährlich fordert die Türkei, um die nationalen Grenzen besser zu bewachen und ausreisewilligen Flüchtlingen eine Perspektive zu geben, in der Türkei zu bleiben. Fehmi Koru, Kolumnist der konservativen Zeitung Habertürk, sieht die Türkei als zentrale Figur, um die Flüchtlingsströme einzudämmen: "Die Türkei war schon Gastgeber für Obama, für Putin und andere Weltpolitiker. Aber jetzt sind sie alle gleichzeitig da." Aus seiner Sicht eine Chance, um wieder Anerkennung zu bekommen. "Wir haben alle gesehen, wie die Länder der EU beunruhigt waren, als ein paar Tausend Flüchtlinge an ihren Toren standen. Die Türkei versucht mehr als zwei Millionen Flüchtlinge unter besten Umständen aufzunehmen." Das dürfte auch Erdoğan in Antalya betonen.

12 000 Polizisten

sind im Einsatz, um die ebenso große Gästezahl in den Anlagen am Strand von Belek zu schützen. Eine Zeitung schrieb, selbst Vögel kämen schwer durch.

Klar ist aber auch, dass die Türkei selbst an ihre Grenzen gerät. Und je länger der Syrien-Krieg dauert, desto mehr Menschen werden sich auf den Weg machen. "Niemand sollte erwarten, dass wir beim G-20-Gipfel das Syrien-Problem lösen", sagte Erdoğans Sprecher. Ganz sicher kommen die türkischen Positionen wieder auf den Tisch. Die Regierung wünscht sich jenseits der Grenze eine Schutzzone. Sie konnte sich mit dieser Forderung bisher nicht durchsetzen. Premierminister Ahmet Davutoğlu hat sich für einen internationalen Einsatz von Bodentruppen in Syrien ausgesprochen. "Wenn es eine Koalition und eine sehr gut konzipierte, integrierte Strategie gibt, ist die Türkei bereit, sich darin in jedem Sinne zu beteiligen", sagte Davutoğlu.

Es scheint auch kein Zufall zu sein, dass die Türken den lange vernachlässigten Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) just vor dem Gipfel verschärft haben. Landesweit gab es Razzien kurz vor dem Gipfel. Allein in Antalya haben die Sicherheitsbehörden Dutzende mutmaßliche Anhänger des IS festgesetzt. Die Angst sitzt tief, nachdem mutmaßliche Selbstmordattentäter der Dschihadisten im Oktober bis ins Herz von Ankara vordringen und sich inmitten einer Menschenmasse in die Luft jagen konnten. Mehr als 100 Menschen kamen ums Leben.

In Antalya werden 12 000 Sicherheitskräfte im Einsatz sein, um die fast ebenso große Zahl an Gästen in den Anlagen am Strand von Belek zu schützen. 350 Kameras mit Gesichts- oder Nummernschild-Erkennungsfunktion wurden installiert. Von den 46 Hotels in Belek stehen 30 unter besonderem Schutz, eine Hochsicherheitszone wurde eingerichtet. Die regierungsnahe Zeitung Yeni Şafak schreibt, da hätten es selbst Vögel schwer durchzukommen.

An dem G-20-Gipfeltreffen werden alle international bedeutenden Wirtschafts- und Finanzorganisationen teilnehmen. Die Organisation für Wirtschaft und Entwicklung (OECD) veröffentlichte kurz vor dem Treffen eine Studie, wonach die Programme zur Integration von Flüchtlingen kurzfristig die Binnenwirtschaft beleben. Zugleich sei der europäische Arbeitsmarkt robust genug, um die bestätigten Asylbewerber aufzunehmen. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) wird auf dem Treffen ein Gutachten vorlegen, in dem er zu dem Schluss kommt, dass der Andrang der Flüchtlinge, sofern er richtig angepackt wird, allen Beteiligten nutzen wird. Es ist das erste Mal, dass die als Wirtschaftsforum gegründeten G-20-Treffen von politischen Themen dominiert werden.

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