Furcht vor israelischer Offensive:Tausende verlassen Flüchtlingslager im Gaza-Streifen

Hunderte Menschen luden ihre Habseligkeiten auf Lastwagen oder Eselskarren, Frauen balancierten Matratzen auf dem Kopf und Kinder trugen Decken. Der Oberste Gerichtshof Israels hatte am Sonntag den Abriss von palästinensischen Häusern für rechtmäßig erklärt, wenn damit das Leben israelischer Soldaten geschützt werden könne.

Rafah/Schuneh (AP/AFP) - Eine befürchtete Offensive der israelischen Streitkräfte hat am Montag eine Massenflucht aus dem palästinensischen Flüchtlingslager Rafah im Gaza-Streifen ausgelöst. Die einzige Zufahrtsstraße nach Rafah war in der Nacht von Panzern abgesperrt worden.

Dies wurde von vielen der 90000 Einwohner des Flüchtlingslagers als Zeichen für eine bevorstehende israelische Offensive gewertet.

Der Oberste Gerichtshof Israels hatte am Sonntag den Abriss von palästinensischen Häusern für rechtmäßig erklärt, wenn damit das Leben israelischer Soldaten geschützt werden könne. Seitdem sind nach Angaben palästinensischer Kommunalbeamter 2000 Einwohner des Flüchtlingslagers geflohen.

Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon hat der Aktion der Armee zugestimmt, zugleich aber bekräftigt, dass er weiter einen vollständigen Abzug aus dem Gaza-Streifen anstrebe.

Weitere Häuser gefährdet

Die Armee will eine neun Kilometer lange Militärstraße an der ägyptischen Grenze auf bis zu 250 Meter verbreitern, um Waffenschmuggel zu verhindern. Zur Zeit ist die Patrouillenstraße nur stellenweise bis zu 200 Meter breit.

Bei Rafah war vergangene Woche ein israelischer Schützenpanzer von einer palästinensischen Rakete getroffen worden; fünf Soldaten waren umgekommen.

Für die Erweiterung der Straße müssten Hunderte weitere palästinensische Häuser abgerissen werden. Seit Beginn des Konflikts vor vier Jahren wurden in Rafah fast 2000 Häuser zerstört, wodurch fast 11000 Einwohner obdachlos wurden.

Ein Sprecher der UN-Hilfsorganisation UNRWA, Paul McCann, sagte, dass Notunterkünfte in Zelten und Schulen für etwa 2000 Menschen vorbereitet würden. Am Wochenende wurden 400 Zelte von Menschen bezogen, die durch Abrissaktionen obdachlos geworden waren.

Am Sonntagabend waren im Gaza-Streifen drei Palästinenser erschossen worden, die nach Angaben des israelischen Militärs bei einem Kibbuz Bomben legen wollten. Die Soldaten stießen einem Militärsprecher zufolge auf Verdächtige und eröffneten das Feuer. Daraufhin sei es zu einer gewaltigen Explosion gekommen. Diese sei offensichtlich auf Sprengstoff zurückzuführen, den die Palästinenser mit sich geführt hätten.

Palästinensische Sicherheitsbeamte erklärten, sie hätten in der Gegend die Detonation von Panzergranaten gehört.

"Wir kommen wieder"

Nach gewaltsamen Zusammenstößen mit jüdischen Siedlern löste die israelische Armee am Montag einen illegalen Siedlungsvorposten im nördlichen Westjordanland auf. Ein Bulldozer riss am Nachmittag das einzige massive Gebäude von Mitzpeh Jitzhar nieder.

Etwa fünfzig junge Frauen versuchten, den Bulldozer zu stoppen. "Wir werden wiederkommen und Mitzpeh Jitzhar neu aufbauen", sagte Bensi Lieberman, der Vorsitzende des Siedlerrats von Judäa-Samaria (Westjordanland) und des Gaza-Streifens. Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon hatte sich im Juni beim Gipfeltreffen in Akaba dazu verpflichtet, die seit seinem Amtsantritt entstandenen illegalen Außenposten jüdischer Siedlungen aufzulösen und den Bau neuer Siedlungen zu stoppen.

Beim Weltwirtschaftsforum im jordanischen Schuneh erzielten die israelischen und die palästinensischen Vertreter keine Fortschritte auf dem Weg zu einem Frieden im nahen Osten. Solche Treffen hätten keine Chance, solange Israel seine Politik der Zerstörung und Unterdrückung fortsetze, sagte der Berater des palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat, Abed Rabbo, am Montag. Das Vorgehen der israelischen Armee im Flüchtlingslager Rafah stelle die größte Zerstörungsaktion seit 1967 dar.

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