Fulminanter Sieg der SPD:Berlin, so nah

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Sie ist die klare Gewinnerin: Die Leute mögen sie eben, diese Hannelore Kraft. Kann sie da nicht auch Kanzlerin? Kraft will nicht nach Berlin, aber ihr Wahlkampf könnte für die Bundestagswahl zum Modell werden.

Ralf Wiegand, Düsseldorf

Als Norbert Röttgen an diesem Sonntagabend vor die Kameras trat, da wurde es plötzlich ganz still auf der bereits dampfenden Tanzfläche der Disco 3000 in Düsseldorf. In dem zum Partei-Party-Areal umgebauten Club hatten seit Punkt sechs, seit der ersten Prognose, die Sozialdemokraten gar nicht aufhören wollen zu grölen und zu johlen. Sie lieferten den Kamerateams, die sich erwartungsvoll und in sehr großer Zahl um die Gäste der SPD-Feier herum aufgebaut hatten, bereitwillig die Bilder, auf die sie schon den ganzen Nachmittag gehofft hatten. Es hatte sich ja abgezeichnet, dass Hannelore Kraft, 50, diese Wahl gewinnen würde - aber gleich so? Also flogen Arme in die Höhe, fielen Menschen einander um den Hals, hüpfte und tanzte der ganze Saal. Ja, er brodelte.

Aber dann, als sie das Gesicht von Norbert Röttgen auf den Monitoren sahen und seine tonlose Stimme aus den Lautsprechern tröpfelte, wurden sie plötzlich ganz leise. Man könnte diesen ersten Moment der Stille durchaus als Respekt deuten für einen Verlierer, der - das ist nicht alltäglich im politischen Geschäft - den allerersten Moment nutzte, der Gegnerin zu gratulieren und alle Schuld auf sich zu laden und schließlich den Rücktritt anzukündigen. Der Applaus der SPD dafür fiel anständig höflich aus - Häme kam erst später dazu: "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin" sangen sie Röttgen hinterher, der nun wieder in die Hauptstadt abreist, in sein Umweltministerium.

Was blieb, war der Jubel um Hannelore Kraft. Von Montag an wird die Landesmutter erleben, wie längst abgeräumte Diskussionen wieder angefacht werden, die nämlich, ob sie nicht zu Höherem berufen sein könnte. Im Prinzip gibt es ja keine rationale politische Erklärung dafür, warum die vor dem Verfassungsgericht mit ihrem Landeshaushalt und schließlich im Parlament mit einer gewagten Minderheitsregierung gescheiterte Frau mit einem solchen Kantersieg belohnt wurde. Wenn es zutrifft, was Demoskopen schon die ganze Zeit über ermittelt haben, dann ist es wohl ganz einfach so: Die Leute mögen sie eben, diese Hannelore Kraft - und das ist ein hohes Gut für eine Politikerin. Könnte sie da nicht auch Kanzlerin? Sie sei nach diesem Ergebnis "natürlich eine denkbare Kandidatin", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel schon am Wahlabend.

Sie wird aber nicht plötzlich wollen. NRW ist ihr Revier, das hat sie oft genug gesagt, und da kann sie sich jetzt auch endlich ganz sicher sein. Hannelore Kraft ist nach 20 Monaten an der Spitze einer wackligen, meist von den Linken tolerierten Koalition mit den Grünen nun unumstrittene Herrscherin zwischen Rhein und Ruhr. "Wir haben alle unsere Ziele erreicht: eine starke SPD, und es geht weiter mit Rot-Grün in NRW", sagte Kraft, die schon kurz vor halb sieben aus der Parteizentrale zur ausgelassenen Siegesfeier herübergekommen war.

Kraft kommt gut an: sympathischer, bürgernäher, glaubwürdiger

Knapp zehn Minuten sprach sie, eingerahmt von ihrem Mann Udo und ihrem Sohn Jan, zur Partei, mit großer Herzlichkeit. Es ist diese Art, die Hannelore Kraft den Wahlsieg gebracht hat. In jenen Analysen der Demoskopen, die Wahlergebnisse ergründen sollen, dominiert die alte und künftige Ministerpräsidentin alle Kategorien, in denen die Person bewertet wird. Sympathischer, bürgernäher, glaubwürdiger ist sie den Leuten vorgekommen - so grenzte sie sich von ihrem im Umgang mit dem Wähler unbeholfenen Konkurrenten Röttgen ab. "Wir haben den Menschen in den Mittelpunkt gestellt", sagte Kraft selbst.

Diese Kümmerer-SPD könnte zum Modell für das Bundestagswahljahr 2013 werden. Düsseldorf sende "ein deutliches Signal" nach Berlin, sagte Kraft; sie meinte damit einerseits die rot-grüne Option und andererseits ein bisschen auch ihre Partei. Wie etwa Olaf Scholz 2011 in Hamburg seinen Sieg errungen hat, indem er den Leuten aufmerksam zuhörte, wenn die darüber klagten, dass jede zweite Laterne im Stadtpark nicht brenne, so hat auch Kraft in Nordrhein-Westfalen mit den Menschen auf der Straße über die Themen geredet, die in deren Lebenswirklichkeit eine Rolle spielen. Dabei ist sie ihnen auf angenehme Weise so nahe gekommen, dass ihr das Scheitern der Regierung, das Image als "Schuldenkönigin" oder der Ruf als "Frau, die sich nicht traut" nichts anhaben konnten. Während sich Norbert Röttgen emsig an der Staatsverschuldung abarbeitete, an Zahlen, die der Frau und dem Mann auf der Straße längst nichts mehr sagen, nahm Hannelore Kraft auf den Marktplätzen die Leute in den Arm, als trüge sie tatsächlich ihrem Wahlkampfslogan entsprechend "NRW im Herzen".

"Lasst uns so nah beieinander bleiben", rief Hannelore Kraft ihrer Partei zu, ehe sie "total kaputt" den Interviewmarathon durch die Fernsehstudios antrat. Der Jubel der SPD hallte ihr noch lange nach.

© SZ vom 14.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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