Früherer NPD-Funktionär Ralf W. verhaftet:Netzwerker mit Hang zur Gewalt

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Der Generalbundesanwalt verdächtigt den früheren NPD-Funktionär Ralf W., die Terroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" mit einer Schusswaffe versorgt zu haben. Sollte sich dies bestätigen, wäre eine enge personelle Verbindung zwischen der Zwickauer Terrorzelle und der NPD bewiesen.

Kathrin Haimerl und Markus C. Schulte von Drach

Am vergangenen Donnerstag hatten die Ermittler Ralf W.s Wohnung in Jena durchsucht - da ging er noch davon aus, dass man ihn nicht verhaften würde. Die Ermittler dürften nicht genug Material gegen ihn in der Hand haben, sagte er damals.

Doch es kam anders: Die Bundesanwaltschaft hat ihn am Dienstag im Morgengrauen festnehmen lassen. Die Vorwürfe sind massiv: W steht im Verdacht, Beihilfe zu sechs vollendeten Morden und einem versuchten Mord der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) geleistet zu haben. Angeblich unterstützte W. das Trio beim Untertauchen, half mit Geld und Kontakten - und besorgte eine Schusswaffe.

Sollten sich die Vermutungen bestätigen, dass der 36-Jährige die NSU derart unterstützt hat, so wäre er ein Beispiel für eine enge personelle Verbindung zwischen der Zwickauer Terrorzelle und der NPD. Offiziell distanziert sich die rechtsextreme Partei von den Verbrechen des Trios - doch wie groß ist die Distanz, wenn ein über lange Jahre führender thüringischer NPD-Funktionär untergetauchten Bombenbastlern eine Schusswaffe zukommen ließ?

Der Fall Ralf W. liefert den Befürwortern eines NPD-Verbotsverfahrens schlagkräftige Argumente, denn der Neonazi machte in der Partei eine beachtliche Karriere: Bereits 1998 tritt er der NPD bei, er gehört zu den Gründern des NPD-Kreisverbandes Jena und hat dort bis 2010 das Amt des Vorsitzenden inne. Die Parteiführung fördert W.: 1999 nimmt ihn der Thüringer Landesvorstand als Mitglied auf, von 2002 bis 2008 übt er das Amt des stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden aus, zugleich fungiert er als Pressesprecher.

Mit wem man es zu tun hat, ist für die Partei von Beginn an kein Geheimnis: Ralf W. mischte in den neunziger Jahren in der "Kameradschaft Jena" mit. Die verschworene Truppe bestand nur aus sechs Leuten: Neben Ralf W. zählten auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe dazu - die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds.

Darüber hinaus gehörte W. zu den führenden Köpfen der "Anti-Antifa-Ostthüringen", die vor allem durch Gewalttaten gegen Migranten und Linke in Erscheinung trat. Aus der rechtsextremen Gruppe entstand später der "Thüringer Heimatschutz" (THS). Auch der als Unterstützer der NSU verdächtigte Holger G. und der bekannte Neonazi André K. gehörten zu der braunen Truppe. Aufsehen erregten W. und seine Kumpane 1996 mit Neonazi-Demonstrationen während des Prozesses gegen den Holocaust-Leugner Manfred Roeder. Doch solche Protestaktionen reichten dem jungen Mann nicht.

W. entwickelte sich zu einem wichtigen Strategen in der NPD: 2002 veranstaltete er den ersten "Thüringentag der nationalen Jugend" - ein Rechtsrock-Konzert, auf dem auch Redner der NPD und der sogenannten freien Kameradschaften auftraten. Seitdem findet die Veranstaltung jährlich in einer anderen Stadt Thüringens statt. Das Ziel lautet: Jugendliche für die rechtsextreme Ideologie zu gewinnen.

2005 folgte das "Fest der Völker", das sich in der Folgezeit als internationales Neonazi-Treffen in Jena etablierte und an dem auch Neonazis und Neofaschisten aus anderen europäischen Ländern teilnahmen.

W. griff dabei auf die bewährte Taktik zurück, ein Rechtsrock-Konzert als politische Veranstaltung zu tarnen. Die Bands und Redner stammten fast alle aus dem Umkreis des internationalen und in Deutschland verbotenen Musiknetzwerks Blood & Honour. "Fest der Völker" - so heißt auch der erste Teil von Leni Riefenstahls NS-Propagandafilm "Olympia".

Sein Ziel, Nachwuchs für die rechte Szene zu rekrutieren, verfolgte W. auch als Mitglied des Ortschaftsrats des Stadtteils Jena-Winzerla, in den er sich 2000 als offiziell parteiloser Kandidat hatte wählen lassen und wo er für den Bereich Jugend verantwortlich war. 2004 trat er bei der Landtagswahl in Thüringen für die NPD an - als Spitzenkandidat auf Listenplatz eins. Für die Bundestagswahl ein Jahr später stand sein Name auf der Landesliste an dritter Stelle.

Ralf W. (Mitte) wird auf dem Gelände des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe abgeführt. Der 36-Jährige ist dringend verdächtig, die Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) unterstützt zu haben. (Foto: dpa)

Als eifriger Netzwerker schuf W. einen Anlaufpunkt für junge und alte Neonazis. Gemeinsam mit André K. und dem rechten Liedermacher Maximilian L. pachtete er 2002 in Jena-Altlobeda die Gaststätte "Zum Löwen". Inoffiziell als "Braunes Haus" bezeichnet, nutzten die Rechtsextremen die Örtlichkeiten unter anderem für Veranstaltungen der NPD, für Auftritte von rechten Bands und Liedermachern und rechtsextreme Prominenz: So war dort auch der vom RAF-Mitbegründer zum Neonazi und Holocaust-Leugner mutierte Horst Mahler zu Gast.

Als Politiker distanzierte sich Ralf W. offiziell von Gewalt. So wollte zum Beispiel auf der Seite abgeordnetenwatch.de ein Bürger wissen, wie W. zur gewaltbereiten, freien Kameradschaftszene stehe. Ein anderer fragte nach, ob W. Kontakt zu Neonazis habe. W. beteuerte in seiner Antwort, dass Neonazis "keine kriegsliebenden Militaristen oder schlägernden Skinheads" seien.

Keinen Hehl machte er aus der engen Vernetzung der NPD mit der freien Kameradschaftszene: Demnach seien als Neonazis "alle nationalen und sozialistischen Aktivisten" zu verstehen, "die sich außerhalb der NPD (und zumeist auch Mitglieder der NPD) in politischen Zusammenhängen oder als Einzelpersonen einsetzen, um einen Wandel in unserem Land zu erreichen", erklärte W.

Geldstrafe für Körperverletzung und Nötigung

In der Vergangenheit wandte W. selbst Gewalt an. 1999 versuchte er gemeinsam mit André K., zwei Frauen dazu zu zwingen, die Adressen einiger Linker zu verraten. 2000 wurden beide wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu Geldstrafen verurteilt. Danach distanzierte sich der Thüringische Heimatschutz von den beiden. In der NPD hatte aber offenbar niemand ein Problem damit - in der Partei ging es weiter aufwärts. Noch einmal wurde eine Staftat W.s aktenkundig: 2007 erhielt er wegen übler Nachrede gegen einen NPD-Aussteiger eine weitere Geldstrafe.

2010 nahm W.s Karriere in der NPD ein abruptes Ende: Nach Angaben von NPD-Bundespressesprecher Frank Franz trat er Ende September "aus persönlichen Gründen" aus der Partei aus. Seines Wissens nach gebe es zwischen der NPD und W. keine Kontakte mehr, erklärte Franz auf Anfrage von sueddeutsche.de.

Einem Bericht der Berliner Zeitung zufolge belegen allerdings Einträge in einem nicht öffentlich zugänglichen Neonazi-Forum, dass W. nach wie vor enge Beziehungen zu der Partei pflegte. Stefan Heerdegen von der Mobilen Beratung für Demokratie gegen Rechtsextremismus in Thüringen (MOBIT) bestätigte sueddeutsche.de, dass die Verbindung zwischen der NPD und der Kameradschaftsszene in Thüringen traditionell sehr eng sei.

Auch in einem der Berichte des Verfassungsschutzes in Thüringen, die über ihn angelegt wurden, heißt es der Nachrichtenagentur dpa zufolge, seine Aktivität sei einer der Belege für die Vernetzung von NPD und Neonaziszene in dem Bundesland.

Der gut vernetzte Ralf W. weiß viel, seine Festnahme bringt die NPD mächtig in die Bredouille. Inzwischen ist er nach Karlsruhe gebracht worden. Dort wurde er einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der über den mutmaßlichen Terrorhelfer Untersuchungshaft verhängte.

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