Friedrichs Aufklärungsreise im NSA-Skandal:Sie kapieren nicht, um was es geht

German Interior Minister Hans-Peter Friedrich press conference in

Innenminister Friedrich bei seiner Pressekonferenz in Washington. Die  Reise hat die Erwartungen der Kanzlerin erfüllt. Mehr nicht. 

(Foto: dpa)

Bemüht, bemüht zu wirken: Die Washington-Reise von Innenminister Friedrich illustriert die gefährliche Haltung der Bundesregierung im NSA-Skandal. Weil sie die Tragweite der Snowden-Enthüllungen nicht begreift, lässt die Kanzlerin ihren Minister politische Aktivität simulieren. Das ist fatal - denn es geht nicht um eine kleine Krise, sondern um den Lehman-Moment der Bürgerrechte.

Ein Kommentar von Johannes Kuhn

Halten wir uns nur kurz mit dem Minister auf und formulieren es so: Hans-Peter Friedrich hat die niedrigen Erwartungen in seine Reise erfüllt. Er weiß nach seinem Besuch in Washington nun offenbar, was Prism ist, hat die Aufhebung eines ohnehin obsoleten Spionage-Status aus Zeiten des Kalten Krieges erreicht und sich versichern lassen, dass die NSA keine Industriespionage betreibt. Der BND wird womöglich einige bislang klassifizierte Dokumente einsehen dürfen.

Das ist wenig, und doch dürfte es genau das sein, was seine Kanzlerin von ihm wollte. Denn die Bundesregierung hat sich, mit Ausnahme der Justizministerin, bei ihrer Reaktion auf den NSA-Skandal dafür entschieden, einer fatalen Logik zu folgen: Staatsinteresse über Bürgerinteresse.

Die Entsendung eines Ministers, dessen Fokussierung auf sicherheitspolitische Überlegungen einen offensichtlichen Interessenskonflikt birgt, was sich auch in seiner Verteidigung der US-Haltung nach den Washingtoner Gesprächen zeigt. Die sanfte Teilabsolution, mit der Angela Merkel Washington bereits im Vorfeld bedachte. Das Schweigen zur Kooperation deutscher Geheimdienste mit der NSA. Das Fehlen von Initiativen, Regeln für die digitale Überwachung auf eine internationale Agenda zu setzen: All dies zeugt von einer Politik, die sich nur mäßig für ein Thema interessiert und allenfalls darum bemüht ist, bemüht zu wirken.

Das realpolitische Kalkül, das Verhältnis zu den schnüffelnden Verbündeten nicht zu schwächen und den Austausch zwischen den Geheimdiensten auch in der Post-Snowden-Ära zu gewährleisten, erscheint nachvollziehbar. Doch darin äußert sich auch blankes Unverständnis für das Ausmaß dessen, was sich mit Prism und Co offenbart hat.

Die Snowden-Enthüllungen sind nichts anderes als der Lehman-Moment der Bürgerrechte. 2008 ging das US-Investmenthaus Lehman Brothers pleite, das Bankensystem drohte zu kollabieren. Viereinhalb Jahre später bedeuten die aufgedeckten Spionageprogramme potenziell nicht nur den Kollaps der Privatsphäre, sondern auch den des Vertrauens in die Freiheitsversprechen der Demokratie. Denn was ist das für eine Freiheit, die im Privatesten stets kompromittiert werden kann?

Auch 2008 ging es um Vertrauen. Die Kanzlerin gab den Bundesbürgern deshalb mit ihrem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück ein Versprechen: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind."

Noch ist Zeit

Datensicherheit kann die Kanzlerin den Bürgern nicht garantieren, doch sie könnte Vertrauen schaffen, sie könnte deutlich machen, dass sie alles für den Schutz der kommunikativen Privatsphäre tun wird. Zum Beispiel mit einer klaren Haltung zu den Überwachungsskandalen. Doch diese ist bislang nicht zu erkennen.

Die deutlichste Kritik äußerte ihr Sprecher an den Spionage-Aktionen der NSA in EU-Institutionen; geht es um die potentiell milliardenfache Ausspähung von Bundesbürgern im Rahmen von Tempora oder Prism, redet Merkel selbst nur vom Spannungsfeld zwischen "größtmöglichem Freiraum und dem, was der Staat braucht, um seinen Bürgern größtmögliche Sicherheit zu geben". Wie sie dieses Spannungsfeld konkret austarieren möchten, verraten weder die Kanzlerin, noch ihr Innenminister.

Noch ist Zeit, sich klar zu positionieren, das Thema von der Ebene einer Handlungssimulation auf die Agenda der westlichen Wertegemeinschaft zu bringen. Doch das erfordert Courage und Haltung. Bislang ist davon nichts zu erkennen.

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