Friedensnobelpreis 2014:Zwei Leben für die Freiheit der Kinder

Friedensnobelpreis 2014: Malala Yousafzai

Malala Yousafzai

(Foto: AFP)

Die junge Pakistanerin Malala Yousafzai verfügt über einen rebellischen Geist im besten Sinne. Die 17-Jährige ist eine rastlose Vorkämpferin für die globalen Kinderrechte, seit die Taliban versuchten, sie zu töten. Den Friedensnobelpreis teilt sie sich mit dem sehr erfahrenen indischen Kinderaktivisten Kailash Satyarthi.

Von Arne Perras, Singapur

Hat ein Mädchen noch die Chance, Mädchen zu sein, wenn sie schon so jung mit so vielen wichtigen Preisen überschüttet wird wie Malala Yousafzai? Die Frage tauchte immer wieder mal auf in den Debatten um dieses außergewöhnliche Kind. Da hatte sie den Friedensnobelpreis 2014 noch gar nicht erhalten. Aber man könnte auch sagen, dass sich diese Frage in jenem Moment beantwortet hatte, als Malala in ihrer Heimat im pakistanischen Swat-Tal von einem Auftragskiller der Taliban in den Kopf geschossen wurde. Damals war sie gerade 15 Jahre alt. Spätestens an jenem Tag im Oktober 2012, den sie wie ein Wunder überleben sollte, hat Malala vermutlich aufgehört, ein Mädchen wie jedes andere zu sein.

Der brutale Anschlag hat sie mit aller Wucht in die Welt der Erwachsenen katapultiert, und die ist in den Bergen Pakistans noch etwas rauer und unbarmherziger als anderswo. Aber vielleicht hat sie gerade das auch zu dem gemacht, was sie heute, im Alter von 17 Jahren, ist: eine rastlose Vorkämpferin für die globalen Kinderrechte, besonders für die Mädchen, die so häufig von jeder Bildung ausgeschlossen bleiben.

Friedfertige Hartnäckigkeit

Malala teilt sich diesen Preis aus Oslo mit einem sehr erfahrenen Aktivisten aus dem Nachbarland Indien, dem 60 Jahre alten Kailash Satyarthi. Dieser Mann ist so etwas wie ein Marathonläufer unter den Kämpfern für die Kinderrechte. Und dabei hat ihn wohl auch der weltweit verehrte indische Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi immer wieder inspiriert.

Jedenfalls ist Satyarthi bekannt für seine friedfertige Hartnäckigkeit, mit der er gegen die Ausbeutung von Kindern als Arbeitssklaven protestiert. Für diese Mission hat er schon als junger Mann seine Karriere als Elektroingenieur aufgegeben. Er ist seinem wagemutigen Einsatz bis heute treu geblieben.

Der Kampf ist mühsam und benötigt einen langen Atem

Gerade in Indien müssen Millionen Kinder immer noch unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften, sie werden in Bergwerken, Steinbrüchen und Fabriken ausgebeutet. Oftmals können sie diesem Schicksal gar nicht entfliehen, weil die Eltern sie als Pfand an Wucherer und Geldverleiher gegeben haben. Die Kinder werden geprügelt, sie können nicht zur Schule gehen, sie haben keinerlei sozialen Halt, erleben tägliche Gewalt auch gegen andere und sind verloren, wenn sie einmal krank werden.

Die Qualen dieser Jungen und Mädchen wurden oftmals beschrieben, doch der Kampf gegen diese Missstände ist mühsam, weil er auf vielen Ebenen gleichzeitig ansetzen muss. Und er benötigt einen langen Atem, wie ihn Satyarthi hat. Diesem Mann ist es nicht nur gelungen, Zehntausende Kinder aus grausamen Arbeitsbedingungen zu befreien. Er hat oftmals auch die nötigen Wege gefunden, sie auf die Schule zu schicken und damit auf ein besseres Leben vorzubereiten.

Satyarthi setzt sich nicht nur für leidende Kinder in Indien ein, er steuert eine weltweite Kampagne, und dabei kommt ihm zugute, dass er im Laufe der Jahre ein sehr dichtes Netz in Menschenrechtskreisen gespannt hat. Er ist dort ein alter Bekannter.

Hat Malalas Vater sie in ihre Rolle getrieben?

Menschen, die sich konsequent für Kinderrechte einsetzen, haben naturgemäß viele Feinde. Denn sie rütteln entweder, wie Malala, an der Macht radikaler Unterdrücker. In ihrer Heimat sind das die radikalen Islamisten, die Mädchen nicht in der Schule sehen wollen. Oder die Aktivisten kommen der Profitgier von Ausbeutern in die Quere, wie es dem Inder Satyarthi immer wieder bei seiner Arbeit geschehen ist. Er wurde einmal mit Eisenstangen und Messern attackiert, als er nach gequälten Kindern fahndete. Die Aktivisten leben gefährlich, und sie wissen es.

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Malala hat den Angriff im Schulbus nur knapp nach einer Notoperation überlebt, danach ging sie mit ihrer Familie nach England ins Exil, weil sie in Pakistan nirgendwo mehr sicher war. Einst war sie eine lokale Bloggerin, die trotz der Herrschaft der Taliban über das Swat-Tal auf ihre Rechte pochte. Sie schrieb ein Online-Tagebuch über den Terror, als die Extremisten die Kontrolle über das Tal gewonnen hatten. Nach dem Anschlag, der sie für immer verstummen lassen sollte, wurde ihre Stimme dann lauter denn je zuvor. Malala wurden neue Türen geöffnet, weil sie überall auf der Welt so viel Bewunderung auf sich zog. Sie sprach fortan auf den großen Bühnen dieser Welt, vor den Vereinten Nationen und auf internationalen Konferenzen. Ihr Buch "Ich bin Malala" ist längst ein Bestseller geworden.

Malala steckt ihre Ziele hoch

Ihr Schicksal war sicher entscheidend dafür, dass sie derart in die Öffentlichkeit geraten ist, aber ohne den Ehrgeiz ihres Vaters wäre das vermutlich nicht möglich gewesen. Er hat Malala schon sehr früh auf ihre Rolle als Aktivistin vorbereitet, sie hatte als Schülerin Spaß am Schreiben und war ein aufgewecktes Mädchen, mit einem starken Sinn für Gerechtigkeit. Das hat der Vater schon früh gefördert, vielleicht zu früh, wie manche Skeptiker anmerken. In ihrer Heimat konnte man im vergangenen Jahr Bekannte der Familie treffen, die sagten, der Vater habe die Tochter in diese Richtung gedrängt und sie deshalb großer Gefahr ausgesetzt. Die Familie bestreitet das vehement.

Wie immer es gewesen sein mochte - ohne ihren rebellischen Geist im besten Sinne hätte Malala Yousafzai vielleicht schon längst aufgegeben. Inzwischen ist sichtbar, wie hoch sie ihre Ziele steckt: Premierministerin von Pakistan möchte sie werden, da könne sie noch mehr Menschen helfen als im Beruf der Ärztin, sagt sie.

In ihrer Heimat wird Malala verehrt, aber nicht verklärt

Vor allem im Westen hat man ihr so viel Verehrung entgegengebracht, dass sie manchmal schon wie eine Ikone wirkt. In ihrer Heimat im pakistanischen Swat-Tal, ist das noch etwas anderes, dort wird sie von vielen gemocht, aber auch weniger verklärt. Ein Schulmädchen drückte das vergangenes Jahr so aus: "Ich bin nicht hier, weil Malala Schule gut findet. Ich bin hier, weil ich es so will. Und weil sich meine Eltern dafür abmühen." Sie haben Selbstbewusstsein, diese Mädchen, und deshalb leben sie gefährlich. Die Taliban sind aus dem Swat-Tal erst einmal verschwunden, aber geschlagen sind sie im Krisenstaat Pakistan noch lange nicht.

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