Friedensnobelpreis: Sinologie in Deutschland:Das Schweigen der China-Kenner

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Der Dissident Liu Xiaobo bekommt als erster Chinese den Friedensnobelpreis. Dass Peking den Schriftsteller einsperrt und dessen Ehrung mit aller Macht zu boykottieren sucht, empört viele. Keine Kritik kommt von den deutschen Sinologen - unter anderem, weil China gewogene Akademiker mit Geld und Doktorwürden lockt.

Kai Strittmatter

Vielleicht, meint der Schriftsteller und Sinologe Tilman Spengler an einer Stelle, dürfe man für das Schweigen der Zunft ja auch dankbar sein. Schließlich habe das akademische Milieu einst für den damals noch quicklebendigen Maoismus eine Begeisterung von "exemplarischer Bescheuertheit" gezeigt. Und überhaupt bedeute Meinungsfreiheit immer auch "die Freiheit, das Maul zu halten".

Friedensnobelpreis
:Ehrung ohne Geehrten

Zur Verleihung des Friedensnobelpreises kamen Monarchen, Staatsoberhäupter und Hollywood-Stars in das Osloer Rathaus. Es war der Stuhl in der Mitte des Nobel-Komitees, der leer blieb - Liu Xiaobos Stuhl.

Also: Der Chinese Liu Xiaobo erhält heute den Friedensnobelpreis. Der erste chinesische Staatsbürger, dem jemals ein Friedensnobelpreis verliehen wurde. Er sitzt im Gefängnis, wegen seiner Schriften. Auf der ganzen Welt wollen Autoren Lesungen für ihn abhalten, Dissidenten innerhalb und außerhalb Chinas applaudieren dem Preisträger oder kriegen sich über ihn in die Haare, Chinas Regierung wütet.

Und die deutsche Chinawissenschaft? Schweigt. Warum? Nachfrage unter den Sinologen: Der eine hat mit dem modernen China nichts am Hut, der andere erklärt, die Universitätsbürokratie ersticke einen mittlerweile und lasse kaum Zeit, der dritte meint: "Uns fragt ja keiner", und der vierte sagt, er habe keine Lust, sich vor den Karren einer der aggressiv auftretenden exilchinesischen Gruppen spannen zu lassen.

Jede dieser Begründungen hat ihre Berechtigung. Aber erklären sie alle zusammen ein Schweigen auf solch breiter Front? Es gibt kluge, und es gibt kritische Sinologen, man hört sie bloß kaum. Dabei sei es "so schwierig ja nicht, sich zu äußern", meint der Bochumer Sinologe Heiner Roetz. Er veranstaltete am Mittwoch eine Podiumsdiskussion zu Liu Xiaobo, die einzige von der deutschen Sinologie abgehaltene öffentliche Veranstaltung zum Thema (Spengler hielt die Laudation auf Liu Xiaobo, als der vom PEN-Zentrum kürzlich den Hermann-Kesten-Preis bekam, aber Spengler ist Nebenerwerbssinologe).

Freunde im Ausland

Der Münchner Professor Hans van Ess hat Kluges und Nachdenkliches geschrieben zur Instrumentalisierung des Konfuzius als neuem Schutzheiligen von Chinas KP. Wenn er sagt, er habe den Eindruck, dass Peking mittlerweile meine, "Sinologen im Ausland seien per se Freunde", dann ist die Sinologie selbst an diesem Eindruck vielleicht nicht unschuldig. Wenn es in den vergangenen Jahren Wortmeldungen der deutschen Chinawissenschaften gab - zum Streit um die China-Berichterstattung der Deutschen Welle oder zum Eklat auf der Frankfurter Buchmesse - dann hatten sie vor allem ein Ziel: Um Verständnis für Chinas Regierung zu werben, die sich "missverstanden" fühle und "tiefe Kränkung" empfinde (so Helwig Schmidt-Glintzer, der Vorsitzende der deutschen Vereinigung für Chinastudien, 2009 in Frankfurt).

Typisch ist der Beitrag des Sinologen und Ökonomen Carsten Herrmann-Pillath in dieser Woche in der FAZ, der mehrere Topoi der professionellen Chinaversteher wiederholt: Die Mahnung an die Europäer, "kulturelle Differenzen" zu berücksichtigen und dem anderen "nicht einseitig Standards" vorzugeben. Die Eröffnung, China sei "keine totalitäre Macht" mehr (was seit 25 Jahren schon keiner mehr behauptet). Die unvermeidliche Warnung vor dem "Gesichtsverlust", den man dem Gegenüber nicht zufügen dürfe (während Chinas Regierung ihrerseits in dieser Übung noch nie Skrupel kannte). Und die Hinweise auf die Fortschritte des Landes, wobei sich Herrmann-Pillath zu der These versteigt: "Wer Chinesisch spricht und die Fülle des in China zugänglichen westlichen Gedankenguts sieht, wird kaum einen Unterschied zu westlichen Demokratien erkennen." Der Autor leitet das "East-West Centre for Business Studies und Cultural Science" in Frankfurt. Gleich vier chinesische Universitäten haben ihm eine lebenslange Gastprofessur verliehen.

Friedensnobelpreis
:Was wurde aus bisherigen Preisträgern?

Der Friedensnobelpreis kann den Ausgezeichneten bei ihrer Arbeit helfen. Doch für manche wurde er zu einer Bürde, an der sie scheiterten.

Die chinesische Autorin Dai Qing, die seit dem Massaker vom Platz des Himmlischen Friedens 1989 Publikationsverbot im eigenen Land hat, beklagt schon seit längerem das "Einknicken der westlichen Sinologie". Sie verstehe vor allem jene Sinologen nicht, "die die Natur des Regimes schönreden", sagt sie in einem Telefonat aus Peking, wo sie im Moment unter Hausarrest steht: Jene, die Peking stets guten Willen unterstellen, wo doch oft die nackte Macht herrscht. Jene, die die Diktatur nicht mehr Diktatur nennen, sondern Euphemismen wie "Autoritarismus" vorziehen.

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:Wie einst der Dalai Lama

Vor der Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo werden Chinas Proteste immer wütender. Es ist nicht das erste Mal, dass die Entscheidung des Nobel-Komitees heftiger Kritik ausgesetzt ist. Umstrittene Preisträger im Überblick.

"Ich tippe mehr auf menschliche Schwäche denn auf fehlende Intelligenz", sagt Dai Qing: "Chinas Einfluss wächst rasant. China hat Geld. Als deutscher Wissenschaftler, der es sich mit dem Regime nicht verdirbt, kann man es sich hier gut gehen lassen: Forschungsgelder und Ehrendoktortitel, die gibt es hier im Überfluss. Dai Qing findet, die Europäer sollten aufpassen: "Die Machthaber hier wollen den anderen ihre Weltsicht aufdrücken und mit jedem Schönredner den es mehr gibt, schreiten sie einen Schritt voran."

Unter den Peking-Apologeten gebe es die Altlinken, meint der freie Autor Shi Ming, der seit 1987 in Köln lebt, es gebe die Kulturalisten und Relativierer und es gebe jene, die gerne als Berater für deutsche Politiker den Türöffner in China spielen wollten: "Da ist viel Opportunismus dabei." Einzelne Sinologen haben mittlerweile die Befürchtung, Teile ihrer Zunft könnten sich dem Regime andienen, wie der Berliner Sinologe Hans Kühner sagt: "Das hat eine neue Qualität. Es gibt eine große Gruppe in der deutschen Sinologie, die dabei ist, sich in Abhängigkeit zu begeben." Viele, meint er, hielten sich "systematisch zurück in allem, was in China Anstoß erregen könne".

Sein Ludwigshafener Kollege Jörg Rudolph glaubt bei manchen Kollegen "Servilität und freiwillige Unterwerfung" ausgemacht zu haben: "Die wollen Kooperation mit China, zur Feldforschung ins Land, da sitzt die Schere im Kopf." Rudolph findet, was Peking im eigenen Land anstellt, könnte den Deutschen ja vielleicht noch egal sein: "Aber wenn sie jetzt hier so aggressiv ihre Interessen vertreten, dass sich alle danach richten, dann ist das gefährlich."

Geschenkter Konfuzius

Der Argwohn der Kritiker richtet sich unter anderem auf die Konfuzius-Institute - das Gegenstück zum deutschen Goethe-Institut -, mit denen China seit ein paar Jahren die Welt beschenkt. Es gibt dort Sprachkurse und Kulturvorträge. "Klar, die Konfuzius-Institute vertreten die Soft Power Chinas", sagt der Erlanger Sinologe Michael Lackner, der selbst im Vorstand des örtlichen Institutes sitzt. Die Konstruktion der Konfuzius-Institute ist speziell: Sie wurden allesamt an Universitäten angesiedelt, die schon über Sinologiefakultäten verfügten. Die Deutschen stellen die Räume und den Direktor, der chinesische Staat finanziert die Institute und stellt den Vize.

Nicht alle finden das harmlos. "Natürlich ist das ein Versuch Chinas, Einfluss zu nehmen", glaubt Jörg Rudolph. Der Bochumer Heiner Roetz sagt, er wolle kein "chinesisches U-Boot" an seiner Universität. Michael Lackner aus Erlangen hingegen erklärt, er habe nicht den Eindruck, dass China Einfluss nehme. Kritik an Peking, findet er, gehöre tatsächlich nicht in die Konfuzius-Institute - "dort sollte man kein Glas zersplittern" -, aber in seiner zweiten Identität als Sinologe an der benachbarten Fakultät, "da gönne ich mir Freiheiten". Den "antizipatorischen Gehorsam" gegenüber Peking, den er bei manchen Kollegen beobachte, sagt er, werde er sich nie zueignen.

Die Kooperation mit China ist eine Gratwanderung, bei der man leicht abstürzen kann. Auch Sinologen, die in den Konfuzius-Instituten nichts Schlimmes sehen, waren verstört ob einer Pressemitteilung der Universität Göttingen vor einem Jahr. In einer "europaweit einmaligen Initiative", teilte die Universität euphorisch mit, richte man zwei neue Professuren an der Universität ein, eine davon für Gesellschaft und Wirtschaft des modernen China. Für den Direktor des Ostasiatischen Seminars, Axel Schneider, war das "eine wichtige und zeitgemäße Ergänzung, die uns in die Lage versetzt, die hochkomplexen Entwicklungen in China besser zu verstehen". Der Clou: Beide Professuren werden von der Volksrepublik China bezahlt. Die Universität schwärmt von "einmaligen Perspektiven zukünftiger deutsch-chinesischer Zusammenarbeit". Fragt sich nur, für wen.

Hinweis der Redaktion: Auf der Internetseite tv.radio-luma.net hat das chinesische PEN-Zentrum ein Video veröffentlicht, in dem Liu Xiaobo über seine Arbeit als Präsident der Organisation und die Bedeutung der Meinungsfreiheit in China berichtet.

© SZ vom 10.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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