Fridays for Future:Den Planeten retten, sofort

Aachen school children participate in Fridays for Future demonstation

Mit Transparenten und Megafon: Mehrere Tausend junge Menschen ziehen durch Aachen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren.

(Foto: Thilo Schmuelgen/Reuters)
  • Die internationale Demo in der Kaiserstadt Aachen ist die größte Einzelaktion der inzwischen mehr als 500 deutschen Ortsgruppen von "Fridays for Future".
  • 60 Kilometer weiter beginnt Freitagmittag ein anderer Protest: Aktivisten von "Ende Gelände" brechen aus ihrem Camp in Viersen auf, um in den Tagebau Garzweiler einzudringen.

Von Christian Wernicke, Aachen

Die Ostfriesen sind da, und sie haben ihren Galgenhumor mitgebracht. "Ostfriesland 2100" steht auf dem großen Plakat, das eine Landkarte zeigt, auf der das blaue Meer an ihrer Heimat nagt. "Eure Fehler müssen wir ausbaden", haben Mischa Lauterbach und Jan-Ubbo Brinkmann, die beiden Gymnasiasten aus Leer, dazugeschrieben. Unten rechts steht, wie hoch ihre Stadt liegt: "0-1 Meter" über Normalnull. Deshalb nehmen sie den Klimawandel und den Ausstoß von CO₂, etwa aus Kohlekraftwerken, sehr persönlich.

Mit einem Bus sind sie am frühen Freitagmorgen die 350 Kilometer nach Aachen gefahren, zum ersten internationalen Klimastreiktag der Bewegung. 40 Mitglieder der "Fridays for Future"-Ortsgruppe in Leer haben sich aufgerafft, das Reisegeld hat ihnen ein Windkraft- und Solarunternehmen gespendet. Der lange Demonstrationszug gerät auf dem Weg zum Tivoli-Stadion immer wieder ins Stocken, aber das trübt ihre Stimmung nicht. Dann ist eben Zeit für Gymnastik: Strecken, wenn das Megafon "Hoch mit dem Klimaschutz!" dröhnt, tief in die Knie gehen, wenn es "Runter mit der Kohle!" ruft.

Seit einem halben Jahr sind die jungen Ostfriesen bei den Streikenden dabei, daheim haben sie zwei Demos auf die Beine gestellt, Aachen ist ihre dritte. Es sei "irgendwie selbstverständlich, dass wir hier sind", sagt Mischa. Die junge Klimabewegung organisiert sich noch, sie wächst und wuchert. Die internationale Demo in der Kaiserstadt Aachen ist die größte Einzelaktion der inzwischen mehr als 500 deutschen Ortsgruppen. Viele Plakate sind auf Englisch, etwa die Pappe mit dem blauen Planeten im großen O: "Make Our World Great Again!" Aus mindestens 16 Nationen sind die Klimamarschierer angereist, die Veranstalter schätzen ihre Zahl auf 40 000, Beobachter sprechen von 20 000. Vorn schieben zwei Mädchen einen kleinen Galgen über den Asphalt, am Strick hängt ein Eisbär-Teddy.

Emma Barthels, die 15-jährige Schülerin, ist eine der Jüngsten aus Leer. Ihr Plakat zeigt das Foto eines Schimpansen, der sich scheinbar entnervt an den Kopf fasst: "Kohleausstieg 2038" steht daneben. "Das wäre viel zu spät", glaubt Emma, die mit dem Zug für einen Tag vom Evangelischen Kirchentag in Dortmund nach Aachen gekommen ist. Dass es schneller nicht geht, ohne die Stromversorgung zu gefährden, will sie nicht glauben. "Und es ist eh wichtiger, den Planeten zu retten", sagt der Junge neben ihr. Sie nickt. Ärztin will sie mal werden, "oder Krankenschwester, falls die Noten nicht reichen", um dann mitzuhelfen bei Ärzte ohne Grenzen.

60 Kilometer weiter beginnt Freitagmittag ein anderer Protest: Aktivisten von "Ende Gelände" brechen aus ihrem Camp in Viersen auf, um am Abend die Gleise zum Kohlekraftwerk Neurath zu besetzen. Gegen Mittag sperrte die Polizei den Bahnhof Viersen, ließ niemanden zur Freitagsdemo nach Aachen. Auch in Aachen ist nicht jede Aktion gern gesehen. Dass ein Elternpaar seine Kinder, sieben und zehn Jahre alt, behelmt und alpin gerüstet mit einem Plakat ("Eure Gier kostet unsere Zukunft") an einer zehn Meter hohen Fußgängerbrücke hängen lässt, empört nicht nur die herbeigerufenen Polizisten. "Papa, darf ich mich abseilen", fragt das Mädchen.

Sie darf, nach 20 Minuten. In den Tagen vor den Aachener Protesten hatten die Behörden eher ungewollt dazu beigetragen, die Demonstranten zu einen. Die Aachener Polizei ermahnte die meist jüngeren Teilnehmer der Freitagsdemos davor, sich ja nicht auf Aktionen mit den militanteren (und oft älteren) Aktivisten von "Ende Gelände" (EG) einzulassen, die wiederholt in den Tagebau eingedrungen waren und etwa Bagger, Förderbänder und Eisenbahnschienen besetzt hatten. Da drohe "eine Strafbarkeitsfalle", hatte Polizeipräsident Dirk Weinspach gewarnt. Zum Beleg hatte die Polizei in einem Schreiben an die FFF-Organisatoren auf "sechs Straftäter" verwiesen, die von Gerichten zur Zahlung von 2,1 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt worden seien. Das Problem: Das Verfahren läuft noch, kein Gericht hat bisher geurteilt.

Den Berliner Kohlekompromiss lehnen die Veranstalter ab

Nun schließen die Klimakämpfer ihre Reihen. Im Vorfeld der Aktionen am Freitag und Samstag erklärten Sprecherinnen von FFF und EG, man lasse sich nicht spalten und sei solidarisch. Kategorisch erteilen beide Gruppen dem Kohlekompromiss eine Absage, der einen Ausstieg aus der Braunkohle bis 2038 verheißt: Weil der Stopp allen Kohleabbaus "jetzt und sofort" kommen müsse, so die EG-Sprecherin Kathrin Henneberger, werde man an diesem Wochenende "den Tagebau fluten mit unseren Körpern". Carla Reemtsma, die 21-jährige Studentin und FFF-Sprecherin für die geplante Samstagsdemo vor dem von Baggern bedrohten Dorf Keyenberg, klingt ähnlich: "In der Kohlekommission war die Stimme junger Menschen nicht vertreten", beklagt sie. "Dieser Kompromiss verhindert jede Chance, die Pariser Klimaziele einzuhalten."

Auch die Ostfriesen werden, nach einer Nacht im Zelt, am Samstag wieder losziehen. Die meisten gehen nach Keyenberg, zur FFF-Demo. Aber drei, vielleicht auch fünf wollen bei Ende Gelände mitmachen. Für sie ist das ein nächster, logischer Schritt.

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