Fremdenfeindlichkeit vor der WM:Zu Gast bei Freunden?

Der Zentralrat der Juden kritisiert, dass führende Politiker rechte Gewalt wegen der bevorstehenden Fußball-WM verharmlosen. In Berlin war zuvor ein türkischstämmiger Politiker zusammengeschlagen worden. Zudem planen Neonazis offenbar gezielt einen Aufmarsch während eines WM-Vorrundenspiels.

Kurz vor Beginn der Fußball-WM unter dem Motto "zu Gast bei Freunden" hat die Debatte über gewalttätige Fremdenfeindlichkeit in Deutschland neue Nahrung erhalten.

Fremdenfeindlichkeit vor der WM: Teilnehmer einer NPD-Kundgebung in Jena. Die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremer stieg dem Verfassungsschutzbericht zufolge 2005 an.

Teilnehmer einer NPD-Kundgebung in Jena. Die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremer stieg dem Verfassungsschutzbericht zufolge 2005 an.

(Foto: Foto: AP)

So wurde in Berlin der türkischstämmige Linkspartei-Politiker Giyasettin Sayan Opfer eines fremdenfeindlichen Überfalls. Mit Spannung wird am Montag der Verfassungsschutzbericht erwartet, den Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorlegen will.

Nach Informationen der Bild am Sonntag soll die Zahl der Neonazis und gewaltbereiten Rechtsextremisten 2005 in Deutschland zugenommen haben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz registrierte demnach einen Anstieg der Zahl der Neonazis von 3800 im Jahr 2004 auf 4100 im vergangenen Jahr.

Böse Absicht für das Spiel Iran gegen Angola

Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten sei von 10.000 auf 10.400 gestiegen. Neonazis wollen nach einem Spiegel-Bericht die Fußball-WM nutzen, um weltweit Aufmerksamkeit zu erregen.

Im Internet werde für einen Aufmarsch zum Spiel Iran gegen Angola am 21. Juni in Leipzig aufgerufen, wo die Rechtsextremisten ihre Sympathie für den iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad demonstrieren wollen. Ahmadinedschad leugnet den Holocaust und spricht Israel das Existenzrecht ab.

Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) rief zu entschiedenem Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auf. "Wir dürfen der braunen Soße nie mehr eine Chance geben, das müssen sich die demokratischen Parteien versprechen", sagte Müntefering am Samstag auf einem Landesparteitag der Berliner SPD.

"Keiner soll Angst haben müssen, weil er anders ist als andere. Das muss klar sein in dieser Gesellschaft", betonte der SPD-Politiker. Er warnte davor, dass es heute wie zu Zeiten des Aufstieges der Nationalsozialisten Leute gebe, die mit viel Geld deren System finanzierten.

"Das eigentlich Dramatische ist, dass es in Deutschland wieder Leute gibt, die in Anzug und Krawatte diesen rechtsradikalen Unsinn finanzieren." Auslöser der aktuellen Debatte über Fremdenfeindlichkeit war der frühere Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, der gesagt hatte:

"Ich würde keinem raten hinzugehen"

"Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen."

Später relativierte er, dass er Brandenburg, wo er selbst wohnt, nicht stigmatisieren wolle. Zunächst war Heye kritisiert worden, erhielt anschließend zunehmend Zuspruch für seinen Anstoß.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland warnte davor, Fremdenhass zu verharmlosen. Es sei unverantwortlich, wie führende Politiker versuchten, die Übergriffe auf ausländische Mitbürger klein zu reden, sagte Generalsekretär Stephan Kramer der Chemnitzer Freien Presse.

Es sei "erschreckend", dass sich die Politik mehr Sorgen um den Ruf Deutschlands vor der Fußball-Weltmeisterschaft mache als um den Schutz von Ausländern.

"Scheiß Türke"

Der Linkspartei-Politiker Sayan war nach Polizeiangaben am Freitagabend von zwei Tätern als "Scheiß Ausländer, Scheiß Türke" beschimpft und anschließend mit einer Flasche niedergeschlagen worden.

Der migrationspolitische Sprecher der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus wurde mit einer Gehirnerschütterung und Prellungen ins Krankenhaus gebracht. Die Schläger entkamen unerkannt.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) will sich mit Heye zum vorurteilsfreien Austausch treffen, sagte der Regierungschef in einem am Samstag vorab veröffentlichten Interview der Zeitschrift Super-Illu.

Heye habe sich mit seinem Verein "Gesicht zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland" große Verdienste für mehr Toleranz gerade in Brandenburg erworben.

Wowereit: Keine No-Go-Areas

Er habe zwar "Recht mit seiner Feststellung, dass es in Deutschland und besonders bei uns im Osten ein Problem mit Rechtsextremismus und rassistischer Gewalt gibt." Mit pauschalen Warnungen wecke man jedoch "nicht das dringend notwendige zivilgesellschaftliche Engagement."

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verurteilte den Angriff auf Sayan. Die Berliner SPD werde nicht zulassen, dass es so genannte No-Go-Areas oder rechtsfreie Räume gebe, sagte Wowereit beim Berliner Landesparteitag.

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