Fremdenfeindlichkeit in Sachsen:In der Wiederholungsschleife

Freital, Heidenau, Meißen, Clausnitz, Bautzen: Es gibt Exzesse, auf die Exzesse folgt Empörung, auf Empörung folgt Verbitterung - es folgt der nächste Exzess, mit dem wieder alles von vorne beginnt. Warum immer wieder Sachsen?

Einen Tag nach den erschütternden Bildern aus Clausnitz, wo ein grölender Mob eine Flüchtlingsunterkunft blockiert und Menschen zum Weinen bringt, ist der Hass weitergezogen. Nach Bautzen. Dort brennt eine Flüchtlingsunterkunft. Schaulustige jubeln und behindern die Löscharbeiten.

Die Ereignisse sind im kollektiven Kurzzeitgedächtnis mit einem Video aus Clausnitz vom Donnerstagabend dokumentiert. Zu sehen ist ein Bus mit der Aufschrift "Reisegenuss". Darin sind weinende Menschen, davor ein grölender Mob. Zu sehen ist ein Junge, den die Polizei im Klammergriff aus dem Bus rupft.

Uwe Reißmann, der Polizeipräsident von Chemnitz, bezeichnet die Aktion bei einer Presskonferenz zwei Tage später als "notwendig". "An dem Einsatz gibt es nichts zu rütteln", verliest er. Er ist zornig, empfindet die Kritik als maßlos und versteht sie eigentlich überhaupt nicht.

In der Wiederholungsschleife

Im Netz trifft er damit auf noch mehr Zorn. Er wird als uneinsichtig und schnurrbärtig wahrgenommen. Auf die Polizei und Thomas Hetze konzentriert sich der Zorn der Menschen im Internet. Hetze ist AfD-Mitglied und Leiter des Heims in dem kleinen sächsischen Ort. Er, so wird insinuiert, habe den Mob vor den drei Wohnblöcken organisiert. Hetze sieht sich diffamiert. Ja, er sei gegen die Asylpolitik der Bunderegierung, aber er wolle mit seinem Engagement im Konkreten einen Beitrag zum Gelingen leisten. Zornig sind auch die Bewohner von Clausnitz und angereiste Demonstranten, die gegen die Asylfeinde demonstrieren.

Es scheint wie eine Wiederholungsschleife. Freital, Heidenau, Meißen, Clausnitz, Bautzen: Es gibt Exzesse, auf die Exzesse folgt Empörung, auf Empörung folgt Verbitterung - es folgt der nächste Exzess, mit dem wieder alles von vorne beginnt. Die Fragen, die sich immer wieder stellen, sind: Warum immer wieder Sachsen? Wo führt das hin? Und was, bitte, lässt sich denn gescheiter Weise gegen solche beeindruckend hässlichen Ausbrüche von Gewalt tun? - Inzwischen ist eine gefühlte Nationalbibliothek an Studien und Erklärungsansätzen zusammengekommen.

Zur Routine der Erklärungsversuche ist längst auch eine Routine in der Bewertung von jeweils Geschehenem gekommen. Ganz schnell waren an diesem Wochenende die Grünen. Katrin Göring-Eckardt verortete von Berlin aus eine Mitschuld bei Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Aus solch gelernten Routinen spricht auch die reine Hilflosigkeit vor dem Mob. Die Superpointe ist, dass es nur eine kleine Gruppe von Menschen gibt, die in diesem etablierten Missklang eine zumindest äußerliche Gelassenheit zeigt: es ist die Gruppe der Menschen, die durch die Hölle einer monatelangen Flucht gingen, bevor sie eines Abends in einem Bus saßen, um in Sachsen vor 100 Deutschen stecken zu bleiben, die im Chor etwas brüllen, was sie, die Flüchtlinge, nicht verstehen: "Wir sind das Volk".

Clausnitz als Himmel

Die Flüchtlinge bringen es im Gespräch mit der SZ fertig, während sie von den Tränen und der Angst dieses Abends berichten, Clausnitz als "Himmel" und die Menschen dort als "Engel" zu bezeichnen. So tut es zumindest die Afghanin Sadia Azizi, die am Tag nach dem Vorfall mit ihrem Freund in den Ort einkaufen ging, und berichtet, man habe ihnen sogar geholfen. "Vielleicht haben die Menschen Angst", sagt sie. Sie wolle mit den Bewohnern von Clausnitz reden, sie davon überzeugen, dass sie und die anderen Flüchtlinge keine schlechten Menschen sind.

Doch selbst die Menschen, die es gut meinen mit den Flüchtlingen, sind wütend, sprechen von mieser Informationspolitik. Sie seien nicht rechtzeitig über die Ankunft der Flüchtlinge informiert gewesen. In ihrem Zorn können sie sich in Rage reden, um dann festzustellen: Die neuen Nachbarn, die Flüchtlinge, sind doch eigentlich "ziemlich nett."

Zur der ganzen Absurdität kommt noch hinzu, das sich ein Ort namens Claußnitz Anfeindungen im Internet ausgesetzt sieht, obwohl der mit dem Clausnitz der pöbelnden Menge nichts gemein hat, außer dass sie beide in Sachsen liegen und ähnliche Ortsnamen haben.

Das wäre beinahe Stoff für eine rabenschwarze Verwechslungskomödie, gäbe es da nicht die bedrohliche Frage: Wo soll das hinführen? Und was ist zu tun? Zumindest auf die zweite Frage gäbe es eine einfache Antwort.

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