Freizeit:Ende der Museumsruhe

Galerien und Ausstellungen verbuchen Besucherrekorde. Weckt das Netz die Sehnsucht nach authentischen Dingen? Oder haben sich Museen geändert?

Von Catrin Lorch

Über viele Jahrhunderte galt ein Museum viel, wenn die Sammlung bedeutend war. Doch die Zeiten der Schatzhäuser sind vorbei, heute misst sich Bedeutung vor allem an Besucherzahlen. Dass diese seit Jahren unablässig steigen, ist einer der großen Trends der Gegenwart: Zwei Milliarden Menschen besuchen jährlich die Museen, weltweit. Mit der sprichwörtlichen Museumsruhe ist es vorbei. Deswegen veröffentlichen nicht nur Großausstellungen wie die Biennale in Venedig, die in diesen Tagen endet, stolz ihre Bilanz: Erstmals verzeichnet sie mehr als eine halbe Million Besucher. Auch Museen wie das Lenbachhaus in München vermelden Rekorde. Dort gab man nun bekannt, dass mindestens 400 000 Besucher das Haus im Jahr 2015 besucht haben, vielleicht werden es am Ende ein paar Tausend mehr; das hängt wohl noch vom Wetter ab und von den Feiertagen.

Auch das Frankfurter Städel wird mit Bestmarken aufwarten: Man rechne derzeit mit 660 000 verkauften Eintrittskarten, teilt die Pressestelle des von Bürgern gegründeten Museums auf Anfrage mit, ein Rekord, der das Städel womöglich an die Spitze in Deutschland setzt. Und sogar Häuser, in denen gerade gebaut oder renoviert wird, können sich vor dem Ansturm kaum retten. Die Hamburger Kunsthalle, die derzeit nur ein Drittel ihrer Fläche nutzen kann, verkaufte 300 000 Tickets.

"Sind Museen die neuen Kathedralen?", titelt die BBC auf ihrer Website in England und listet erfolgreiche Neubauten zwischen Paris, Los Angeles und Moskau auf. Ihre spektakulären, von Star-Architekten gestalteten Fassaden versprechen nicht länger - mit Goethe - das Wahre, Schöne und Gute, sondern auch Glamour und Erlebnis. Und es scheint, als kehrten die Neugierigen, die man so anlockt, als Dauergäste zurück. Sei es, weil das visuell geprägte digitale Zeitalter den Sehsinn entwickelt. Oder weil, im Gegenteil, die Simulationen des Internets den Hunger auf authentische Werke anregen; denn vor allem die Kunstmuseen erschließen sich ein neues Publikum.

Während Direktoren alten Stils hauptsächlich mit kunsthistorisch ordentlichen Ausstellungen um die immer gleichen Bildungsbürger konkurrierten, bezieht die erfolgreiche Generation ihrer Nachfolger die Überlegungen in alle Planungen mit ein, an wen sich ein Projekt richtet. Das Städel beispielsweise verweist mit Stolz vor allem auch auf "beispielhafte Vermittlungsinitiativen", die den Radius des Museums erweitern. Städel-Chef Max Hollein kooperiert nicht länger nur mit noblen Fördervereinen, sondern etwa auch mit dem Jugendamt.

"Interessanter als der Rekord ist, dass sich unser Publikum verändert", sagt Matthias Mühling, Direktor des Lenbachhauses. Seine Erhebung verzeichnet dreimal mehr Kinder und Jugendliche als in den Vorjahren. Mit Film- und Vortragsreihen wie "Facts & Fiction" zum Thema Katastrophenbilder ziehe man zudem nicht nur Bildungsbürger und wohlhabende Akademiker an. Das Museum zeigt sich vielmehr, so formuliert Mühling, "gesellschaftlich anschlussfähig". Es reflektiert Tagespolitik - nicht nur dann, wenn es zum Beispiel Flüchtlingen kostenlosen Eintritt gewährt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: