Freihandel:Die EU - eine Projektionsfläche für alles Schlechte

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Der Autor sieht in Brüssel viel Positives: So sei die EU-Verwaltung keine intransparente Superbehörde, sondern durchsichtiger und effizienter als viele Nationalregierungen. (Foto: Julien Warnand/dpa)

Die Kritik an der Kommission beim Freihandelsabkommen Ceta ist unberechtigt. Es geht nun um eine Grundsatzfrage: Wollen wir Freihandel überhaupt noch?

Kommentar von Alexander Mühlauer

Die Debatte um Freihandelsabkommen steckt voller Halbwahrheiten. Die Kritiker der geplanten Verträge mit Kanada (Ceta) und den Vereinigten Staaten (TTIP) behaupten, dass damit die Demokratie in Europa ausgehebelt werde. Von einer Arroganz der Brüsseler Bürokraten ist die Rede, die den Willen der Bürger einfach ignoriere und möglichst schnell die Abkommen durchdrücken wolle. Da fegt ein Sturm der Entrüstung durchs Viertel, der sich immer stärker gegen Jean-Claude Juncker richtet. Dabei macht der Präsident der Europäischen Kommission lediglich seine Arbeit.

In der EU ist seine Behörde für die gemeinsame Handelspolitik zuständig. Die Mitgliedsstaaten haben es so entschieden. Sie haben sich ebenfalls bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel einstimmig dazu bekannt, die beiden Abkommen weiter anzustreben. Juncker hat die Staats- und Regierungschefs angesichts der öffentlichen Kritik gefragt, ob sie das überhaupt noch wollten - und er hat einen Abbruch der Verhandlungen angeboten. Das haben die Regierungschefs abgelehnt. Jetzt müssen die EU-Staaten allerdings auch akzeptieren, dass Juncker die 28 nationalen Parlamente nicht über Ceta abstimmen lassen will.

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Doch im Vorfeld der Entscheidung, die am Dienstagnachmittag fallen könnte, gibt es massiven Widerstand. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hält Junckers Entscheidung für "unglaublich töricht". Das "dumme Durchdrücken von Ceta" werde alle Verschwörungstheorien zu den geplanten Freihandelsabkommen "explodieren" lassen. Da hat er wohl recht. Er selbst ist daran nicht ganz unschuldig. Statt sich aus wahlkampftaktischen und innerparteilichen Gründen auf die Seite derer zu schlagen, die "Brüssel" ein Demokratiedefizit vorwerfen, sollte auch Gabriel anerkennen, dass es ein demokratisch gewähltes Europäisches Parlament gibt, das in jedem Fall über die Verträge abstimmt. In der EU tritt kein Handelsabkommen in Kraft, das nicht von den europäischen Volksvertretern gebilligt wurde.

Jetzt kann man natürlich fragen, was eigentlich gegen eine zusätzliche Entscheidung des Bundestags spricht? So wäre ja eine noch breitere demokratische Basis gelegt. Das stimmt, aber bei Handelsabkommen geht es zunächst um eine juristische Frage: Nur wenn Ceta auch nationale Kompetenzen betrifft, müssen die nationalen Parlamente aller EU-Staaten abstimmen. Unter Juristen gehen die Meinungen auseinander, ob der Vertrag mit Kanada ein solch "gemischtes Abkommen" darstellt. Juncker selbst ist das "schnurzegal". Er hätte nur gerne eindeutige Belege für die gemischte Vertragsnatur. Am Ende steht es ohnehin jedem Mitgliedsstaat frei, die Frage vom Europäischen Gerichtshof klären zu lassen.

Abstimmungen in allen EU-Staaten würden dazu führen, dass Ceta wohl niemals beschlossen wird. Von TTIP ganz zu schweigen. In Belgien hat sich bereits eines der vier Regionalparlamente auf ein "Nein" festgelegt. Das luxemburgische Parlament forderte die Regierung auf, Ceta erst mal nicht zuzustimmen. In den Niederlanden dürfte es zu einem Referendum kommen.

Wie schon bei der Volksabstimmung über das Handels- und Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, das die Niederländer abgelehnt haben, wird der eigentliche Inhalt des Handelsvertrags für die meisten Wähler keine Rolle spielen. Es ist wie beim Brexit-Referendum in Großbritannien: Die Chiffre EU wird zur Projektionsfläche für alles Schlechte - und gegen das Schlechte muss man natürlich sein.

Mit Kanada und den USA steht erheblich mehr auf dem Spiel

Gerade jetzt, nach dem Votum der Briten, geht es um eine Grundsatzfrage: Gilt Freihandel in der EU überhaupt noch als erstrebenswert? Der Binnenmarkt, also der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen, der keinen Zollschranken unterliegt, gehört zum Fundament der EU. Dieser Binnenmarkt muss verteidigt werden vor all jenen, die ihr Heil im Nationalstaat suchen und eine Rückabwicklung der europäischen Integration fordern. Mit der neuen Regierung in London wird es darum gehen, einen innereuropäischen Weg des freien Handels zu finden. Das allein wird schon schwer genug sein.

Mit Kanada und den USA steht erheblich mehr auf dem Spiel. Es geht um die Rolle Europas in der globalisierten Welt. Hier liegt der gute Grund, warum Handelspolitik in der Europäischen Union zur Sache der Gemeinschaft erklärt wurde: Handel ist international. Nicht TTIP oder Ceta sollte den Bürgern Angst machen, sondern die Wirtschaftsmacht der Volksrepublik China etwa. Um gegen die Marktmacht Chinas zu bestehen, muss Europa in seiner Handelspolitik zusammenstehen und auch neue Bündnisse schließen - ohne dabei europäische Standards und Werte zu verkaufen. Genau dafür braucht es "Brüssel".

© SZ vom 30.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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