Freigelassener US-Soldat Bergdahl:Befreiung wie in Hollywood

Für Präsident Obama ist es ein Coup: Nach fünf Jahren kommt die Taliban-Geisel Bowe Bergdahl frei - im Austausch für Guantánamo-Häftlinge. Wie gefährlich war das Unternehmen, warum sind die Republikaner wütend? Die wichtigsten Aspekte des Falles Bergdahl.

Von Christoph Behrens und Lena Schnabl

So geriet Bergdahl in Gefangenschaft: ominöse Ankündigungen

Sergeant Bowe Bergdahl war auf einem Außenposten der US-Armee im Südosten Afghanistans nahe der Grenze zu Pakistan im Einsatz. Am Morgen des 30. Juni 2009 soll sich Bergdahl von dem Stützpunkt entfernt haben. Zuvor soll er sich in E-Mails an seine Eltern kritisch über die US-Armee geäußert haben. Ob Bergdahl desertieren wollte, ist allerdings bis heute nicht geklärt. Seine Kameraden berichteten später, dass Bergdahl vorab einen Vorgesetzten gefragt habe: "Wenn ich die Basis verlasse, würde es Probleme bereiten, wenn ich meine Ausrüstung mitnehme?"

Er habe sein Tagebuch, seine Digitalkamera, Wasser und ein Messer eingepackt und das Camp verlassen. Dabei lief er wohl direkt Taliban-Kämpfern in die Arme, wenig später fingen die Amerikaner entsprechende Funksprüche ab. Am nächsten Morgen gab die US-Armee Bergdahl den Status DUSTWUN (duty status - whereabouts unknown). Seither hielten die Taliban Bergdahl gefangen. Später brüsteten sich das radikalislamische Netzwerk in Videos mit der Entführung des jungen Soldaten.

So lief der Austausch ab: Szenen wie aus Hollywood

Seit Jahren verhandelten die USA im Geheimen mit den Taliban über einen Gefangenenaustausch, doch die Gespräche scheiterten mehrfach. Den Durchbruch brachte das Emirat Katar, das sich als Vermittler betätigte. In den letzten Wochen gingen die Verhandlungen in eine heiße Phase über, US-Kommandeure nahmen dazu wohl direkten Kontakt mit Talibanführern auf, um Details des Treffens zu besprechen. "In so einer Operation gibt es immer Unsicherheit, immer Gefahr, man muss sich auf alle Eventualitäten vorbereiten", sagte Verteidigungsminister Chuck Hagel der Washington Post.

Doch im entscheidenden Moment ging alles glatt. Die Szene des Austauschs liest sich US-Medien zufolge wie aus einem Hollywoodstreifen. Dutzende Spezialkräfte warteten am Samstagmorgen mit Hubschraubern an einem von den Taliban bestimmten Ort nahe der afghanisch-pakistanischen Grenze. 18 Taliban lieferten Bergdahl am Treffpunkt ab, zahlreiche weitere Kämpfer hielten sich im Hintergrund. Dann rauschten die Helikopter mit Bergdahl an Bord davon.

Zeitgleich nahmen Vertreter des Emirats Katar im Gefangenenlager Guantánamo Bay auf Kuba fünf Taliban-Kämpfer in Empfang und flogen sie in den Wüstenstaat aus. Obama würdigte den Emir von Katar für seine Vermittlerrolle.

Das ist Bergdahl: Abenteurer aus Idaho

A billboard calling for the release of U.S. Army Sergeant Bowe Bergdahl near Spokane Washington

Aufatmen nach fünf langen Jahren: Der 2009 von Taliban gekidnappte US-Soldat Bowe Bergdahl kehrt nach Hause zurück.

(Foto: Jedd Green/Reuters)

Wie die fünfjährige Gefangenschaft den heute 28-Jährigen verändert hat, lässt sich kaum ermessen. Sein altes Leben war sehr beschaulich: Aufgewachsen in den Rocky Mountains, in dem 6000-Einwohner-Kaff Hailey in Idaho, hangelte sich Bergdahl zunächst von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob durch. Er jobbte auf dem Bau und machte Gartenarbeit, wohl hauptsächlich um abenteuerliche Reisen nach Südamerika oder Europa zu finanzieren. Er fuhr Ski, lernte fechten, tanzte Ballett, und ging gerne in die Wälder zum Schießen. Den Dienst an der Waffe sah er wohl als weiteres Abenteuer an. "Ich glaube nicht, dass er verstand, auf was er sich da einließ", sagte seine Schwester Sky Bergdahl der New York Times.

Parallelen zur US-Serie "Homeland"

Der Fall Bergdahl weckt Erinnerungen an die US-Serie Homeland. Sie beschreibt die Befreiung eines im Irakkrieg gekidnappten US-Soldaten aus der Gefangenschaft. Serien-Protagonist Nicholas Brody (gespielt von Damian Lewis) wurde acht Jahre von Al-Qaida-Terroristen gefangen gehalten und schließlich "umgedreht". Er sympathisiert mit seinen Entführern und plant einen Angriff auf die US-Regierung. Homeland ist eine Adaption, die Geschichte basiert auf der israelischen Serie Hatufim - In der Hand des Feindes und ging im Oktober 2011 in den USA auf Sendung.

Wenn die Fiktion von der Wirklichkeit überholt wird

Sgt. Bowe Bergdahl released from captivity in Afghanistan

Gezeichnet von der Gefangenschaft: 2010 führten die Taliban den jungen Soldaten in einem Video vor.

(Foto: dpa)

Wie Brody in der Serie landete auch Bergdahl nach seiner Befreiung zunächst in Deutschland, wo er medizinisch versorgt wurde. Gerüchte aus dem August 2010, dass Bergdahl den Taliban dabei geholfen haben soll, Bomben zu bauen, wies das Pentagon als Propaganda zurück.

Die Taliban verbreiteten angebliche Details aus der Gefangenschaft Bergdahls. Der Soldat habe während seiner Gefangenschaft eine Vorliebe für grünen Tee entwickelt und mit seinen Entführern Badminton gespielt. Er habe "vielen Kämpfern das Spiel beigebracht", sagte ein Kommandeur der Islamisten der Nachrichtenagentur AFP. Zum Islam sei Bergdahl jedoch nicht konvertiert, er habe weiterhin christliche Feste wie Ostern und Weihnachten gefeiert. Der Wahrheitsgehalt der Schilderungen ist jedoch unklar.

Die freigelassenen Taliban: ehemalige Kommandanten

Die freigelassenen Taliban waren Mitglieder der afghanischen Regierung, die 2001 von der US-Armee gestürzt wurde. Mohammad Fazl war Vize-Verteidigungsminister, Mullah Norullah Noori der Gouverneur der Provinz Balkh. Beide sollen Truppen kommandiert haben, die Tausende Schiiten töteten. Mohammed Nabi Omari ist ein hochrangiger Talibanführer, der eine enge Verbindung zu al-Qaida und dem Haqqani-Netzwerk, einer anderen terroristisch-islamistischen Organisation, haben soll. Khairullah Khairkhwa ist der frühere Innenminister und Abdul Haq Wasiq soll ein Geheimdienstmitarbeiter gewesen sein.

Sie wurden mit einer Militärmaschine nach Katar ausgeflogen. Barack Obama sagte, dass Katar Sicherheitsgarantien gegeben habe, um die USA vor Racheakten zu schützen. Die Islamisten hatten die Freilassung ihrer Glaubensbrüder zur Bedingung für Friedensgespräche gemacht und quittierten ihre Überstellung aus Guantanamo nach Katar "mit großer Freude".

Erfolg für Obama - aber zu welchem Preis?

Präsident Obama ließ sich den Erfolg nicht nehmen: Persönlich verkündete er die Freilassung Bergdahls im Rosengarten des Weißen Hauses, zeigte sich zusammen mit den Eltern des vermissten Soldaten. Eine günstige Gelegenheit für den Präsidenten, um von einer heiklen Diskussion um eine schlechte Gesundheitsversorgung von US-Veteranen abzulenken.

Doch die Freude hielt nicht lang. Nur wenig später schmähten führende Republikaner den Deal mit den Taliban: Er liefere Terroristen einen Anreiz, US-Soldaten zu entführen. "Diese Entscheidung wird das Leben amerikanischer Soldaten jahrelang gefährden", sagte der republikanische Abgeordnete Mike Rogers aus Michigan. Zudem habe er "wenig Vertrauen in die Sicherheitsgarantien im Hinblick auf die Bewegung und Aktivitäten der freigelassenen Talibanführer, und noch weniger Vertrauen in die Bereitschaft der Regierung, diese Garantien durchzusetzen". John McCain, republikanischer Senator aus Arizona und hartnäckiger Obama-Kritiker, bezeichnete die freigelassenen Häftlinge als "abgebrühte Terroristen, die das Blut von Amerikanern und zahllosen Afghanen an ihren Händen kleben haben".

Hinzu kommt, dass sich der Kongress von Obama übergangen fühlt. Laut Gesetz muss der Verteidigungsminister den Kongress 30 Tage vorher über eine geplante Freilassung inhaftierter Guantánamo-Häftlinge informieren. Präsident Obama hatte sich über diesen Passus mit Verweis auf seine "exekutiven Vollmachten" hinweggesetzt. Das Vorgehen "verletzt klar die Gesetze", kritisierten daher führende Republikaner. Verteidigungsminister Chuck Hagel verteidigte das schnelle Handeln hingegen als notwendig, da sich die Gesundheit Bergdahls rapide verschlechtert hätte.

Schwung für den Friedensprozess? Nicht unbedingt

Schon 2012 verhandelte die Obama-Regierung über einen Gefangenenaustausch mit den Taliban. Zu diesem Zeitpunkt spekulierte die New York Times, gefangene Kämpfer freizulassen, könnte eine "wesentliche vertrauensbildende Maßnahme" sein. Ohne einen solchen Gefangenenaustausch seien diese Friedensgespräche totgeweiht.

Ob sie nun wieder in Gang kommen, ist jedoch zweifelhaft. "Das ist die einzige Angelegenheit, die wir in den vergangenen Monaten mit den Taliban besprochen haben", sagte ein hochranginger US-Beamter der New York Times. Er hoffe nun, dass mit diesem kleinen Schritt die Chance steige, den Dialog auf andere Punkte zu erweitern. "Ob dieser Effekt eintritt, ist nicht ausgemacht."

Bergdahl war der einzige offiziell vermisste US-Soldat aus dem Krieg in Afghanistan. Die sterblichen Überreste eines Vermissten aus dem Irakkrieg, Ahmed Kousay Altaie, wurden im Februar 2012 gefunden. Er geriet im Oktober 2006 in Baghad in Gefangenschaft.

Mit Material der Agenturen dpa und AFP

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