Frauen in Afghanistan:Burkafreie Zonen

Mehr als zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban hat sich die Situation für viele Frauen in Afghanistan verbessert. Doch was passiert nach dem Abzug der ausländischen Truppen? Viele Frauen befürchten, dass ihre hart erkämpften Rechte zur Verhandlungsmasse zwischen Regierung und Taliban verkommen könnten.

Tobias Matern, Charikar

Auf dem staubigen Gelände spielen die Mädchen Volleyball. Sie lachen, freuen sich über jeden Punkt, den sie gewinnen. Die Ausläufer des Hindukusch bilden dazu ein beeindruckendes Panorama, doch dafür haben die Schülerinnen jetzt keinen Blick. Sport zu treiben, das ist für sie etwas Besonderes, Außergewöhnliches. In ihren Dörfern, vor den Augen der Jungen und Männer, wäre das nicht so einfach möglich.

Afghan Women Attend Friday Prayers In Kabul

Eine afghanische Frau in einer Moschee in Kabul: In vielen ländlichen Gebieten dürfen Frauen nur zu Hause beten.

(Foto: Getty Images)

Aber hier in Charikar, der Hauptstadt der ostafghanischen Provinz Parwan, betreibt die Schweizer Hilfsorganisation RET ein Bildungszentrum. Es ist mehr als ein Ort, an dem Mädchen und Frauen lesen, schreiben, den Umgang mit dem Computer, Englisch und auch etwas zum Thema Menschenrechte lernen können. Es ist eine Art Refugium, um im männerdominierten Afghanistan Frauen und Mädchen eine Chance zu geben.

Seit drei Jahren gibt es das Zentrum, 240 Frauen und Mädchen haben hier eine Grundbildung erhalten. Sie kommen hierher, weil sich ihre Eltern daran stören, dass die Töchter an den staatlichen Schulen mit Jungen und männlichen Lehrern in Verbindung kommen würden, berichtet die Leiterin des Bildungszentrums, Asma Sadat. Gerade in den ländlichen Gegenden der Provinz werde gemischter Unterricht noch nicht von allen akzeptiert. An der von ihr geleiteten Einrichtung unterrichteten nur Frauen, auch eine Ärztin ist im Kollegium.

Chancen für Frauen haben sich verbessert

Die Familien kommen zunächst, um sich das Zentrum anzuschauen. Erst dann gestatten die meisten den Töchtern, es regelmäßig zu besuchen. Unter den Schülerinnen sind auch viele erwachsene Frauen. Sie hatten während der seit drei Jahrzehnten andauernden Konflikte in Afghanistan nie die Gelegenheit, auch nur das Alphabet zu lernen. Entweder waren sie auf der Flucht, oder ihre Männer stellten sich ihrem Wunsch entgegen, etwas zu lernen.

Mehr als zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban haben sich die Chancen für viele Frauen in Afghanistan verbessert, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Es gibt zahlreiche, von internationalen Organisationen bezahlte Projekte wie in Parwan. Aber mit dem sich abzeichnenden Abzug der Kampftruppen im Jahr 2014 wächst unter den Frauen die Furcht, dass die Finanzierung der Projekte in Gefahr sei - und damit auch der Fortschritt. Der ideologische Nährboden, der die Frauen auf die Rolle reduziert, die sie während des Taliban-Regimes hatten, ist nach wie vor vorhanden. Von Gleichberechtigung kann in Afghanistan keine Rede sein.

Der einflussreiche Religionsrat etwa hat kürzlich in Kabul ein umfangreiches Thesenpapier veröffentlicht und in einem Teil davon seine Sicht zur Rolle der Frau in der Gesellschaft beschrieben: Demnach sei sie dem Mann keineswegs ebenbürtig. Es müsse dringend darauf geachtet werden, Frauen in der Öffentlichkeit von fremden Männern fernzuhalten - etwa in der Schule, beim Einkaufen oder im Büro, heißt es.

Die Angelegenheit erhielt besondere Brisanz durch das Vorgehen von Präsident Hamid Karsai: Er veröffentlichte die Forderungen des Religionsrates auf seiner Internetseite - zumindest für einige Zeit.

Das wirkte wie eine offene Unterstützung der Thesen, womöglich war es aber auch nur eines von den vielen Manövern des Staatschefs. Schließlich will Karsai den Ausgleich mit den Taliban suchen und sie dazu bewegen, in seine Regierung einzutreten, wenn sie im Gegenzug die Waffen niederlegen. Aber die Islamisten zeigen ihm bislang die kalte Schulter. So umschmeichelt der Präsident sie an vielen Fronten.

"Ich habe jetzt viel mehr Mut"

Nicht wenige Frauen in Afghanistan sehen sich nicht erst seit Karsais jüngstem Manöver in ihrer Furcht bestätigt: Die hart erkämpften Rechte könnten zur Verhandlungsmasse verkommen, falls die Regierung und die Aufständischen eines Tages doch an einem Tisch für Friedensgespräche Platz nehmen, fürchten Parlamentarierinnen und Aktivistinnen.

Frauen in Afghanistan: Mehr als zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban haben sich die Chancen für viele Frauen in Afghanistan verbessert, am öffentlichen Leben teilzunehmen. So ist die Burka für manche Frau kein Muss mehr.

Mehr als zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban haben sich die Chancen für viele Frauen in Afghanistan verbessert, am öffentlichen Leben teilzunehmen. So ist die Burka für manche Frau kein Muss mehr.

(Foto: AFP)

Aktivistinnen werden immer wieder bedroht

Heather Barr von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zog kürzlich ein gemischtes Fazit der Lage der Frauen in Afghanistan: Obwohl sie nun zumindest theoretisch Zugang zum Bildungswesen hätten, besuchten mehr als die Hälfte der afghanischen Mädchen noch immer keine Schule. "Unterhalb der sich verändernden Oberfläche bleiben tiefgehende Probleme bestehen", sagt sie.

Während des Taliban-Regimes waren Frauen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Nun sitzen sie mit im Parlament, es gibt ein Ministerium für Frauenangelegenheiten, es gibt Fernsehmoderatorinnen. Aber konservative Grundmuster bleiben in der Gesellschaft verwurzelt. Aktivistinnen werden immer wieder bedroht. Zum Beispiel Nadera Geya.

Die Chefin der Behörde für Frauenangelegenheiten im nördlich gelegenen Kundus ist zunächst reserviert. Dann empfängt sie den Besucher doch zu einer längeren Unterhaltung in ihrem Büro in der Innenstadt der Provinzhauptstadt, in der die Bundeswehr eines ihrer zentralen Lager betreibt. Zu Beginn des Gesprächs betont Geya die zahlreichen Fortschritte: "Es ist viel vorangegangen für die afghanischen Frauen in den letzten Jahren, wir können tatsächlich einen Wandel beobachten", sagt sie. Der Einsatz der internationalen Gemeinschaft sei nicht umsonst gewesen, schließlich wüssten viele Afghaninnen heutzutage, "dass sie überhaupt Rechte haben".

Aber ihre exponierte Stellung sei auch gefährlich, berichtet Geya. Sie erhält einschüchternde Anrufe, zwei Männer seien auf einem Motorrad an ihr vorbeigefahren und hätten gedroht, sie zu ermorden. Nadera Geya nimmt Schlafmittel, um nachts zur Ruhe zu kommen. Aber sie will sich von den Drohungen nicht unterkriegen lassen. Zum Abschied sagt sie, natürlich werde sie weiter für die Rechte der Frauen kämpfen.

"Ich habe jetzt viel mehr Mut"

Das will auch Asma Sadat, Juristin und Leiterin des Lernzentrums in Charikar. Voller Eifer spricht sie über die Möglichkeiten, die eine solche Einrichtung mit sich bringe. Sie referiert über das Selbstvertrauen der Frauen, das massiv gestärkt werde, über Ansätze einer Selbstverwirklichung und das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Aber Sadat klammert auch nicht die vielen Hürden aus, die nach wie vor bestehen bleiben: "Es gibt in Afghanistan Frauenrechte, sie stehen in der Verfassung, aber das ist nur ein Papier", sagt Sadat. In der Gesellschaft definierten die Männer, was Frauen dürfen - und was nicht. "Das größte Problem ist, dass die meisten Frauen ihre Rechte noch nicht kennen", sagt sie.

Den Aktivistinnen stehe noch ein langer Kampf bevor.

Die Schulglocke läutet. Das Volleyballspiel ist beendet, aus dem Gebäude in Charikar kommen Mädchen und Frauen. Eine von ihnen ist 20 Jahre alt. Nie in ihrem Leben habe sie zuvor eine Schule besuchen können, sagt sie, immer musste sie zu Hause arbeiten. Aus den Medien erfuhr sie von dem Bildungszentrum in Charikar, ihre Familie besichtigte es und entschied: Sie darf am Unterricht teilnehmen. "Ich habe jetzt viel mehr Mut, allein nach draußen zu gehen, zum Beispiel auf den Basar", sagt die junge Frau. Ihre Klassenkameradinnen drängen an ihr vorbei. Viele von ihnen ziehen eine Burka über, bevor sie in ihre Dörfer zurückgehen.

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