Frauen als Nazi-Verbrecherinnen:Die vergessenen Rädchen

Frauen spielten im NS-System eine bisher unterschätzte Rolle. Zwei neue Bücher zeigen: Viele wussten, billigten und unterstützten Verbrechen gegen die Menschlichkeit - freiwillig.

L. Heid

Wenn zwei Bücher nahezu titel-, themen- und zeitgleich erscheinen, kann man vielleicht schon von einem historiographischen Trend sprechen. Marita Krauss als Herausgeberin eines Sammelbandes und Kathrin Kompisch mit ihrer monographischen Untersuchung beschäftigen sich mit Frauen im Nationalsozialismus, Frauen als Täterinnen wohlgemerkt.

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Weibliches und männliches Wachpersonal des KZ Auschwitz

(Foto: Foto: AP)

Allzu lange wurde ihre Verstrickung ins NS-Unrechtssystem ignoriert oder, schlimmer noch, marginalisiert. Mehr als 60 Jahre nach Schließung des Frauen-KZ Ravensbrück wirft die Geschichtsschreibung ihren fokussierten Blick auf die Täterinnen, die dem Nationalsozialismus in vielfältiger Weise gedient haben.

1942/43 gab es in Ravensbrück auch ein Ausbildungslager der Aufseherinnen. 3500 Frauen wurden hier geschult, um im Gefolge der SS Dienst zu tun, Opfer zu bewachen, zu quälen und zu töten.

Etwa zehn Prozent des Personals in den Konzentrationslagern bestand aus Frauen - bezahlt nach der Tarifordnung für Angestellte im öffentlichen Dienst.

Vornehmlich Historikerinnen haben im Kontext der Frauenbewegung auch die politische Rolle und Dimension der Frauen in der NS-Diktatur entdeckt. Das überkommene Bild von der "friedfertigen" Frau, das Margarete Mitscherlich noch 1985 zeichnete und wofür sie viel Beifall erhielt, lässt sich nicht länger aufrechterhalten.

Kompisch beschreibt die Täterinnen, wie sie tatsächlich waren - Frauen, die aus Überzeugung am Mordprozess teilhatten, aber keineswegs "von Natur aus" böse Psychopathinnen und damit entschuldbar waren.

Unterlassen als "bewusste Handlung"

Der oft wiederholten Behauptung, weibliche Tatbeteiligung habe mehr im Unterlassen als im aktiven Handeln bestanden, setzt Kompisch entgegen, dass angesichts des Wissens um die fatale Konsequenz dieses Verhaltens Unterlassen sehr wohl als "bewusste Handlung" anzusehen sei.

Frauen wussten, billigten und unterstützten Verbrechen gegen die Menschlichkeit - freiwillig: Im Schatten der Einsatztruppen tippten sie Berichte über Massenexekutionen, lenkten mordende Männer mit Hilfe von Alkohol und Späßen von ihrem "Geschäft" ab, bei der Gestapo protokollierten sie Folterverhöre, als Ärztinnen beteiligten sie sich an Menschenversuchen und wirkten aktiv an der Euthanasie mit.

Die vergessenen Rädchen

Frauen gelten dann als NS-Täterinnen, wenn sie ohne Unrechtsempfinden agierten und dadurch mit den menschenverachtenden Zielen des Nationalsozialismus konform gingen. Und das waren neben den prügelnden und mordenden KZ-Aufseherinnen in letzter Konsequenz auch die Fürsorgerinnen oder (braunen) Rot-Kreuz-Schwestern.

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Aufseherinnen in Bergen-Belsen nach der Befreiung des Konzentrationslagers im April 1945

(Foto: Foto: Imperial War Museum)

Und all die bislang wenig beachteten Sekretärinnen und Nachrichtenhelferinnen, kurz: die "vergessenen" Täterinnen - sie waren allesamt Rädchen im großen Getriebe des NS-Staates.

Frauen kamen in der Nachkriegsjustiz in aller Regel glimpflich davon. Die milden Urteile resultierten aus der richterlichen Annahme, Frauen seien eher als Statistinnen des Verbrechens zu werten.

Beide Studien belehren uns eines Besseren.Das Regime war auf Frauen angewiesen: Im kleinen Alltagskosmos mussten Frauen ihren "Mann stehen", sie wurden gebraucht, um das System zu stabilisieren. Ihre Partizipation war - scheinbar - mit einer kollektiven Aufwertung verbunden.

Hier liegt der Ursprung für die bis heute weiterwuchernden Mythen, die Frau und Mutter habe im Nationalsozialismus besondere Wertschätzung genossen. Dieser Einschätzung steht die völlige Abwertung der Frau als Einzelperson entgegen.

Ein Gefühl von Emanzipation

Die Aufgaben der Frauen im Kriegseinsatz und an der "Heimatfront", die Belohnungen für Loyalität und regimekonformes Verhalten, all das übertünchte die weiterwirkende Ungleichheit und gab vielen Frauen das Gefühl, auf dem Wege der Emanzipation vorangekommen zu sein.

Fotos lachender, flirtender, die Freizeit genießender SS-Helferinnen sind bekannt. Sie wirken als "normale" junge Frauen, nicht als mordende Bestien. Was unterschied diese Frauen, die im KZ töteten und folterten, von anderen Frauen?

Diese Frage stellten sich Marita Krauss und weitere elf Autorinnen, die sie zur Mitwirkung an ihrem Sammelband eingeladen hat.

Möglicherweise, so eine These, mussten aufstiegsorientierte Frauen besonders linientreu und dienstbar agieren, um bezüglich der Karrierechancen zu den Männern aufzuschließen, ohne an sie heranzureichen. Beide Bücher haben einen wichtigen Anstoß zur Täterinnenforschung gegeben.

KATHRIN KOMPISCH: Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2008. 277 Seiten, 22,90 Euro.

MARITA KRAUS (Hrsg.): Sie waren dabei. Mitläuferinnen, Nutznießerinnen, Täterinnen im Nationalsozialismus. (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte Bd. 8). Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 262 Seiten, 20 Euro.

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