SPD-Politiker Franz Müntefering:Der Bilderbuch-Genosse

Franz Müntefering beendet seine sozialdemokratische Musterkarriere, weil er sich um seine schwerkranke Frau kümmern will. Der Vizekanzler hat Ähnliches schon mal durchgemacht.

Oliver Das Gupta

Sie habe ihren Tod kommen sehen, sagte Franz Müntefering. Wochenlang war er ständig bei ihr, zu Hause sollte sie sterben, nicht im Krankenhaus, wie der Vater kurz zuvor. Wochenlang habe sie letzte Gespräche geführt, sich von Freunden und Verwandten verabschiedet.

Ankepetra und Franz Müntefering bemi Bundespresseball 2005

Ankepetra und Franz Müntefering beim Bundespresseball 2005.

(Foto: Foto: ddp)

Ihren Bruder rief sie in Amerika an und sagte am Schluss, dass sei jetzt das letzte Telefonat. "Ich fand beeindruckend, wie sie es gemacht hat", bezeichnete Franz Müntefering Jahre später die Art, wie sich seine Mutter vom Leben verabschiedet hat.

Das war 1985, das war das Jahr, in dem Franz Müntefering beide Elternteile verlor. Das Einzelkind, das nach eigener Aussage nur einen echten Freund hatte (und der sei seit 30 Jahren tot) und bisweilen damit kokettierte ("Ich kenne meine eigene Distanziertheit") verlor seine engste Bezugsperson. Und bekam eine neue hinzu: Ankepetra, seit 1995 seine zweite Frau.

"Wir reden über alles miteinander", sagte Müntefering in einem Interview, "manchmal zu Hause auf dem Sofa oder bei einem langen Spaziergang". Ankepetra ist jemand, mit dem Müntefering "Pferde stehlen" könne, von dem sich der Spitzenpolitiker reinreden lässt. Eine, die ihn vor wichtigen Reden belehrt: "Lies bloß nicht vor!"

Nach außen hin blieb Müntefering stets der unnahbare Genosse aus dem Sauerland, einer, dem das öffentliche Kumpeln eines Gerhard Schröder nicht behagte und den vor seinem 50. Lebensjahr die wenigsten auf der Rechnung für höhere Ämter hatten.

Franz Müntefering legte dennoch - oder gerade deshalb - eine sozialdemokratische Bilderbuchkarriere hin: Der Spross einer Arbeiterfamilie aus dem Herzland der SPD, Nordrhein-Westfalen, ohne höhere Schulbildung, in der Partei aufgestiegen via Ochsentour, von Posten zu Posten.

1991 schließlich, nach 16 Jahren im Bundestag, war er im Parteivorstand angekommen. Danach ging es rasant bergauf: Franz Müntefering wird Minister in Nordrhein-Westfalen (für Arbeit und Soziales), schließlich Landesvorsitzender. Danach organisiert er als Bundesgeschäftsführer den Wahlsieg Schröders 1998, wird Bundesminister, erster SPD-Generalsekretär, schließlich Parteichef und Vizekanzler.

Müntefering ging dorthin, wo man ihn brauchte, genauer: wo die Partei den sauerländischen Selfmademan benötigte. Denn eines machte der Politiker stets deutlich: Die SPD steht für ihn an erster Stelle, nicht irgendein Spitzengenosse.

Als misstrauisch gilt er, Eitelkeit scheint ihm fremd zu sein, manchmal schwieg er ein Arbeitsessen lang und hörte einfach nur zu. Müntefering drängte nicht, und wenn er es doch tat, dann versteckte er seine Ambitionen meisterhaft. Stets ließ sich der "Schattenmann der Partei" (Tagesspiegel) bitten, bis er ganz oben angekommen war.

Sich selbst ersparte Müntefering dabei wenig, sein öffentlicher Zusammenbruch im letzten Bundestagswahlkampf ist bezeichnend. Auch als seine Frau Ankepetra 2002 an Krebs erkrankte, machte "Münte" weiter. Nur wenige Genossen haben es damals mitbekommen, wie angeschlagen er war. Doch 2002 stand die Bundestagswahl an, Rot-Grün konnte sie knapp gewinnen.

Schon damals munkelte man, Müntefering denke über seinen Rückzug nach. Er machte weiter bis zum heutigen Tage.

Mit der Erkrankung seiner Frau scheint sich für Franz Müntefering Geschichte zu wiederholen, es ist ein trauriges Déjà-vu. Über das Sterben seiner Mutter erzählte er einmal, wie "schrecklich" es für ihn gewesen sei. Den Moment ihres Todes und die Zeit danach, werde er nie vergessen.

Franz Müntefering sagte, das Jahr 1985 sei über seine Kräfte gegangen. Nun sucht er neue Kraft jenseits der Berliner Betriebsamkeit.

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