Franz Müntefering:Der Oberorganisator

Franz Müntefering drängte sich nie vor, war aber stets zur Stelle, wenn die SPD und ihr Chef riefen.

Von Christoph Schwennicke

Es gab einen Tag im Leben des Franz Müntefering, da hätte er schon einmal werden können, was er jetzt wird.

Das war an jenem Nachmittag des 11. März 1999, als Oskar Lafontaine auf dem Höhepunkt seiner Auseinandersetzung mit Gerhard Schröder wutentbrannt von Bonn Richtung Saarbrücken abdampfte und sowohl seinen Job als Parteivorsitzender als auch als Finanzminister hinter sich ließ.

Müntefering war da gerade in Weimar unterwegs, und das Autotelefon klingelte ununterbrochen.

"Franz, Du musst das jetzt machen", forderten verschiedene SPDler, vor allem des linken Flügels, und bedrängten ihn, den Parteivorsitz zu übernehmen.

"Nein", wehrte der trockene Sauerländer ab: "Der Gerd muss das machen."

Mag sein, dass ihm die Avancen damals geschmeichelt haben, vielleicht war er innerlich sogar kurz in Versuchung. Anmerken ließ er sich davon nichts.

Und abends, bei der Krisensitzung im Kanzleramt, war er dann bei denen, die am intensivsten auf Schröder einredeten: "Gerd, Du musst das machen!"

Sein Entdecker war Scharping

Jetzt, fast fünf Jahre später, wird es der 64-Jährige doch. Es ist eine ziemlich atemberaubende Karriere, die dieser außergewöhnliche Mann aus Sundern da in seiner Partei hingelegt hat.

Drei Parteivorsitzenden hat er nun gedient, bevor er es selbst wird.

Als seinen Entdecker kann man den Vorsitzenden Rudolf Scharping bezeichnen, der Mitte der neunziger Jahre auf Müntefering, den damaligen Chef des mächtigen SPD-Verbandes Westliches Westfalen aufmerksam wurde und ihn als Bundesgeschäftsführer auserkor.

Kurz darauf, im Jahr 1996, wurde Lafontaine der Chef, und er tat gut daran, sich nicht von dem ererbten Scharping-Mann zu trennen.

Nach einem Intermezzo als Verkehrsminister - von dem vor allem der Vorschlag hängen geblieben ist, alte Menschen sollten einen Tauglichkeitstest am Steuer machen - wurde Müntefering wieder das, was er am besten kann: der Oberorganisator seiner Partei.

Bei seiner Rückkehr war er im September 1999 der erste Generalsekretär der SPD, eine Art Bundesgeschäftsführer de Luxe.

Und als die Wahl 2002 beinahe wider Erwarten gewonnen wurde, musste wieder Münte ran:

Fußballer, kein Tennisspieler

Kurz vor der Bundestagswahl musste Rudolf Scharping wegen Untragbarkeit aus dem Amt geschaffen werden, Fraktionschef Peter Struck übernahm, und Bayerns Ludwig Stiegler durfte für ein paar Wochen Fraktionschef spielen.

Nach der Wahl aber wurde Müntefering als Fraktionschef installiert, weil Gerhard Schröder aufgrund der knappe Mehrheitsverhältnisse in der teilweise widerspenstigen Fraktion nur einen einzigen für befähigt hielt, an dieser Ecke für Ordnung zu sorgen - Münte.

Das Phänomen dieses Mannes erklärt sich vor allem aus seiner scheinbaren Selbstlosigkeit: Er sei kein Tennisspieler, sondern ein Fußballer, hat Müntefering früher immer gesagt. Die eitlen Selbstdarsteller sind ihm ein Gräuel.

Wann immer große Personalentscheidungen anstanden, drängelte sich Müntefering nicht vor, sondern schob sich dezent in Position.

Als er 1998 in Gefahr geriet, in einer Fehde zwischen Lafontaine und Scharping um den Fraktionsvorsitz von Lafontaine instrumentalisiert zu werden, tat er etwas, was er sonst nie tut:

Er rief selbst bei einem Sender an und verkündete, er wolle frühmorgens ein Interview geben, das sich auch für die Journalisten lohne: Dort verkündete er dann, er stehe für das Amt des Fraktionsvorsitzenden nicht zur Verfügung. Später wurde er es dann doch. Siehe oben.

Kein oben, kein unten

Schröder und Müntefering - zwei, die ungleicher wohl kaum sein könnten. Die Herkunft aus einfachen Verhältnissen ist vielleicht das Einzige, was sie verbindet.

Als Müntefering der General des Kanzlers wurde, da hat er sich gewünscht, auf gleicher Augenhöhe mit Schröder zu agieren. "Keiner soll oben oder unten sein, keiner Herr oder Knecht", hat er seine Lebensmaxime einmal beschrieben.

Aber natürlich war Schröder oben und er unten, jedenfalls ein bisschen. Und Schröder hat ihn das bei aller Wertschätzung und persönlichen Sympathie ("Ich mach den Franz einfach gut leiden!") auch immer wieder einmal spüren lassen.

Machtmenschen wie Schröder spüren, wenn Gefahr droht, dass andere zu stark werden. Immer wieder hat er Müntefering deshalb kleine Demütigungen zuteil werden lassen.

Unvergesslich ist die gemeinsame Vorstellung des Wahlprogramms 2002, in dessen erster - und natürlich bekannt gewordener Fassung - der Abschlusssatz stand: "Deutschland wird Fußballweltmeister."

Was hat Schröder sich über diesen Satz lustig gemacht. Und alle Kundigen im Saal wussten: Der neben ihm stehende Müntefering hatte ihn dort reingeschrieben.

Ein unaufhaltsamer Aufstieg

Zuletzt aber konnte Schröder gegen den unaufhaltsamen Aufstieg des Mannes mit der antiquierten Frisur (die einst sogar Harald Schmidt in seiner Sendung ausgiebig beschäftigte) nichts mehr machen.

Je mehr Schröder in Ungnade fiel, umso mehr hielt sich die Partei an Müntefering fest.

Offenkundig seit dem Bochumer Parteitag im November, tatsächlich jedoch schon länger, hatte es Müntefering jederzeit in der Hand, gegen Schröder zu putschen.

Die SPD wäre ihm gefolgt. Dass er es nicht tat, hat mit der Loyalität des Franz Müntefering zu tun. Diese Loyalität darf man jedoch nicht missverstehen.

Seine erste Loyalität gilt der SPD, davon abgeleitet dem Parteivorsitzenden. Wenn er sich hätte entscheiden müssen zwischen SPD und Schröder, hätte er keinen Augenblick gezögert.

Es hätte solch ein Zeitpunkt kommen können, aber jetzt kommt alles anders. Schröder übergibt den Vorsitz an Müntefering in einem Akt finaler Verzweiflung.

Vorläufig soll das auf unerfindliche Weise seine erodierende Kanzlerschaft abstützen. Den Parteivorsitz hat sich Müntefering schon seit einiger Zeit zugetraut. Kanzler zu sein angeblich nicht. Aber man wächst ja mit den Aufgaben.

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