Frankreichs Premier Ayrault in Berlin:Monsieur ist genervt

Die Beziehungen zwischen Paris und Berlin sind frostig. Frankreichs neuer Premierminister Jean-Marc Ayrault wehrt sich bei seinem Antrittsbesuch in der Hauptstadt gegen die Einmischung der Deutschen. Dabei ist beiden Seiten klar: Sie werden zueinanderfinden müssen in diesen stürmischen Zeiten.

Lutz Knappmann, Berlin

Jean-Marc Ayraults Ton lässt aufmerken - schon lange bevor sein Flugzeug im Berliner Nebel überhaupt gelandet ist. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte der neue französische Premier: "Es gibt in Deutschland ein Übermaß an Beunruhigung." Der Sozialist meint die Finanzkrise. Und weist Kritik aus Deutschland an seiner Politik scharf zurück. "Frankreich braucht keine Lektionen", donnert es von der Seine. "Unsere deutschen Freunde sollten eines verstehen: Unser Gesellschaftsmodell basiert auf der sozialen Gerechtigkeit."

Damit war der Boden bereitet für seinen Auftritt auf dem Führungstreffen Wirtschaft 2012 der Süddeutschen Zeitung. Der neue Premierminister ist genervt von der Einmischung Deutschlands in die französische Politik. Das Klima zwischen Berlin und Paris ist, vorsichtig formuliert, kühl. Ayraults Interview hat die Beziehungen sicher nicht kuscheliger gemacht.

"An erster Stelle steht Deutschland"

Im feinen Berliner Hotel Adlon gibt er vor mehreren Hundert Wirtschaftsvertretern sein Deutschland-Debüt als Regierungschef. Hier klingt er schon wieder versöhnlicher. Frankreich stehe ja nicht alleine da. "Es reiht sich ein in einen europäischen Rahmen und die deutsch-französische Partnerschaft." In deutscher Sprache sagt er: "Unser Land hat viele beachtliche Trümpfe, und es hat Freunde und Partner, auf die Verlass ist. An erster Stelle steht Deutschland."

Seit sechs Monaten ist Ayrault Frankreichs Premierminister. Seine und die deutsche Regierung müssen sich erst aneinander gewöhnen. Ayrault hat sich ein straffes Besuchsprogramm in Berlin vorgenommen. Nach seinem Auftritt beim Führungstreffen Wirtschaft der SZ trifft er Finanzminister Wolfgang Schäuble, besucht das Denkmal für die ermordeten Juden, isst mit deutschen Gewerkschaftern zu Mittag - und trifft schließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Es sind unruhige Zeiten für das Kennenlernen zweier politisch konträrer Regierungschefs. Schuldenkrise, Konjunkturabschwung, EU-Haushaltsstreit, die politische Agenda drängt zum Handeln. Ayrault weiß, wie genau in beiden Staaten jedes Indiz für den Zustand des deutsch-französischen Verhältnisses beobachtet wird.

Vor dem Machtwechsel in Frankreich hatten sich Kanzlerin Merkel und der damalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy als entschlossenes Team inszeniert, das im Kampf gegen die europäische Schuldenkrise den Takt vorgibt. Es war eine hart erarbeitete Beziehung der beiden Staatslenker, aber eine Beziehung eben, die Europas Anti-Krisen-Politik über Jahre geprägt hat. Davon kann seit dem Amtsantritt von Präsident und Sarkozy-Nachfolger François Hollande und von Premier Ayrault keine Rede sein.

Ayrault bemüht sich, Sorgen über Frankreichs wirtschaftliche Zukunft zu zerstreuen: "Die französische Wirtschaft wiederzubeleben, das ist die Priorität des Staatspräsidenten Hollande und auch meiner Regierung", sagt er vor dem SZ-Plenum. Arbeitslosigkeit und Staatsschulden müssten gesenkt werden. "Das ist unser Kompass." Frankreich solle wieder wettbewerbsfähig werden. Darin zumindest besteht große Einigkeit auf der deutsch-französischen Achse.

Schützenhilfe von der Konjunktur

Da hilft es dem Premier, dass das französische Statistikamt am Morgen für das dritte Quartal überraschend ein leichtes Wirtschaftswachstum meldet. 0,2 Prozent statt Nullwachstum. Ein "vielversprechenden Indikator" sei das, sagt Ayrault, aber "nicht ausreichend". Seine Regierung werde ihren "Kampf" für einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise unvermindert fortsetzen. Wie ungleich die Voraussetzungen sind. Das deutsche Amts-Pendant weist für das dritte Quartal auch 0,2 Prozent Wachstum aus - was hier eher als Alarmsignal empfunden werden dürfte.

Im Adlon zumindest sind sich Schäuble und Ayrault im Grundsatz durchaus einig, auch wenn Schäuble in seinem Beitrag auf die französische Politik nicht weiter eingeht. Mehr Europa statt weniger und eine gemeinsames Ziel vor Augen: Wachstum. Der Unterschied liegt in einem kleinen Detail: Schäuble spricht von "nachhaltigem" Wachstum. "Wir Europäer sind besser balanciert, wenn wir nachhaltiges Wachstum haben."

Es gehe nur gemeinsam voran, sagt Ayrault. Franzosen und Deutsche stünden zusammen vor einer beispiellosen Herausforderung. "Insofern kommt uns eine besondere Verantwortung zu." Das Blatt müsse gewendet werden. Es sei eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitiken nötig, mehr Zusammenarbeit in der Haushalts- und Steuerpolitik, eine europäische Finanztransaktionsteuer. "Wir brauchen nicht nur Europa, wir brauchen mehr Europa", sagte Ayrault. Und: "Wir müssen noch mehr miteinander sprechen."

Dazu hat er in Berlin ausreichend Gelegenheit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: