Frankreichs Präsident Hollande:Der Fluch der kleinen Fluchten

French President Francois Hollande press conference

Pressekonferenz von François Hollande: Zu hoher Steuerdruck, eine erdrückende Abgabenlast, elender Bürokratismus - Frankreichs Wirtschaft leidet. Und mit ihr leidet der Präsident, der bei den Franzosen denkbar unbeliebt ist

(Foto: dpa)

Frankreichs Wirtschaft leidet. Und mit ihr leidet das Staatsoberhaupt. François Hollande will jetzt alles besser machen: das Land kurieren und seine Präsidentschaft retten. Doch ausgerechnet jetzt belastet ihn eine Affäre, die nur mit ihm und nichts mit dem Staat zu tun hat.

Von Stefan Ulrich

In Frankreich galt lange die Theorie von den "zwei Körpern des Präsidenten". Da war der öffentliche Körper, mit dem der Staatschef das Land regierte. Über dessen Taten musste er Rechenschaft ablegen gegenüber Presse und Bürgern. Und dann war da der private Körper, der den Präsidenten als Ehemann, Vater oder Liebhaber betraf.

In diesem Bereich hatte die Öffentlichkeit nichts zu suchen. Die Presse musste schweigen, auch wenn sie etwas wusste. Gänzlich tabu war es, die Namen möglicher Eroberungen des Manns im Élysée preiszugeben. Natürlich hat tout Paris immer viel getuschelt. Doch davon drang nichts in die Gazetten.

Die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage lauert ein Fotograf nächtelang vor einem Liebesnest in der Nähe des Élysée-Palasts, um einen Mann mit Helm - mutmaßlich Präsident François Hollande - abzulichten, der per Motorrad zum Schäferstündchen bei einer Schauspielerin vorfährt. Die Fotos und die Affäre werden nicht nur in einem Klatschmagazin publiziert, sondern auch in der seriösen Presse und in der Politik diskutiert.

"Wir geben die französische Tradition auf"

Der Tabubruch freut die einen und schockiert die anderen. Dies sei ein Präzedenzfall, klagt die auf Presserecht spezialisierte Rechtsanwältin Delphine Meillet in der Zeitung Le Point. "Wir geben die französische Tradition auf, die das Privatleben respektiert, und nähern uns dem angelsächsischen System." Damit meint Meillet wohl jene aggressiven britischen Boulevardblätter, die vor keiner Peinlichkeit zurückschrecken, wenn es darum geht, das Leben Prominenter zu entblättern.

So weit ist es in Frankreich noch nicht. Dennoch bedeutet die in der Öffentlichkeit breitgetretene Affäre um Hollande eine Zäsur. Die Lehre von den zwei Körpern des Präsidenten wankt. Die beiden Sphären scheinen sich einfach nicht mehr scharf trennen zu lassen.

Zwar heißt es aus der Umgebung des Präsidenten, es gehe um eine Angelegenheit ausschließlich privater Natur. Doch das wird nicht nur von manchen Journalisten, sondern auch von Politikern angezweifelt. Der konservative Oppositionschef Jean-François Copé sagt, die vorgebliche Liaison Hollandes mit der Schauspielerin Julie Gayet sei desaströs für das Bild des Präsidentenamts.

Vielfältiges Liebesleben

Dabei hat Frankreich schon Zeiten erlebt, in denen es keinerlei Geheimnis war, dass die ersten Männer im Staat ein vielfältiges Liebesleben pflegten. König Heinrich IV., der "grüne Galan" genannt, verlor bei schönen Frauen Kopf und Geld. Ludwig XIV., der Sonnenkönig, machte die Mätresse am Hof zur Institution. Madame de Pompadour, die offizielle Mätresse von Ludwig XV., kaufte einst sogar den Élysée-Palast. Dort verschied einige Zeit später, im Jahr 1899, Präsident Félix Faure im Silbernen Salon. Er hatte sich bei einem Schäferstündchen mit einer Geliebten übernommen. Wohlmeinende Zeitungen schrieben am nächsten Tag, der Präsident sei "in den Armen seiner lieben Frau" gestorben.

Es musste erst ein General kommen, um dem Amt des Staatschefs ein züchtiges, ja geradezu sakrales Image zu verpassen. Charles de Gaulle gründete die Fünfte Republik und schuf ihr Präsidentenamt nach seinem Bilde. Der Präsident sollte die Nation verkörpern, der Privatmensch völlig hinter dem Staatsmann verschwinden. So geschah es. Madame de Gaulle, "Tante Yvonne", führte mit ihrem Mann ein für heutige Verhältnisse fast schon spartanisches Leben und mischte sich nur dezent in die Regierungsgeschäfte ein. Für Klatschblätter hatte das Ehepaar de Gaulle nichts zu bieten.

Schon unter Georges Pompidou begann die Trennlinie zwischen den beiden Körpern des Präsidenten, zwischen Amt und Privatleben, zu verschwimmen. Pompidou und seine Frau Claude präsentierten sich den Gazetten als mondänes, kunstsinniges Ehepaar. Es begann, was in Frankreich als "Peopolisation" bezeichnet wird, als Vereinnahmung von Personen des öffentlichen Lebens durch die Klatschpresse. Seitensprünge der Präsidenten blieben jedoch noch tabu. Dabei wusste ganz Paris, dass Valéry Giscard d'Estaing, François Mitterrand und Jacques Chirac wörtlich der Devise folgten: Cherchez la femme. Mitterrand unterhielt sogar heimlich eine Zweitfamilie - auf Staatskosten. Viele Jahre lang wagten die Journalisten nicht, darüber zu berichten.

"Das mit Carla ist etwas Ernstes"

Als Nicolas Sarkozy Präsident wurde, verhieß er eine "rupture", einen Bruch mit überkommener Politik und überkommenem Politikerverständnis. Er wollte auf altbackenes, präsidiales Gehabe verzichten und einen dynamischen Staatschef zum Anfassen geben. Dabei zelebrierte er sein Liebesleben teilweise tumultös in der Öffentlichkeit. Die Trennung von Ehefrau Cécilia. Die Eroberung Carla Brunis. Bei einer Pressekonferenz vor fast genau fünf Jahren im Élysée verkündete Sarkozy hochoffiziell: "Das mit Carla ist etwas Ernstes." Diesen Satz wurde er nicht mehr los. Er galt seinen Kritikern als Beleg dafür, der Präsident sei unreif, benehme sich wie ein Teenager und banalisiere das Amt.

Als dann im Mai 2011 der mögliche sozialistische Präsidentschaftskandidat Dominique Strauss-Kahn in New York unter dem Vorwurf versuchter Vergewaltigung festgenommen wurde, brachen in Frankreich die Dämme zwischen privatem und öffentlichem Leben. Hollande, ein Parteirivale Strauss-Kahns, nutzte den Überdruss seiner Landsleute an den Exzessen mancher Politiker, um im Wahlkampf zu versprechen, ein "normaler Präsident" zu werden. Das war gleichermaßen gegen Sarkozy und Strauss-Kahn gerichtet.

Hollande wollte den Franzosen ein Präsident ohne Allüren, Affären und Skandale sein. Zugleich inszenierte er sich als bescheiden, volksnah, als eine Art Jedermann im Élysée. Seine Lebensgefährtin Valérie Trierweiler sollte ihm dabei als Première Dame zur Seite stehen - immerhin mit eigenem Büro im Präsidentenpalast, Berater, Sekretärinnen und Chauffeur.

Jetzt hat auch Hollande seine Affäre. Der Körper des Privatmanns kommt dem Körper des Staatsmanns in die Quere. In Paris fragt man sich angesichts der mutmaßlichen Motorradausflüge: Ist Hollande naiv? Setzt er leichtfertig seine Sicherheit aufs Spiel? Wer ist derzeit die Erste Dame im Staate? Und sollte man die Rolle der Première Dame nicht gleich abschaffen?

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