Frankreichs neuer Staatschef Hollande:Die Drolligkeit hat Methode

Er nimmt die Bahn wie jeder andere auch und kürzt sich sein Gehalt: Frankreichs neuer Präsident François Hollande gibt sich ostentativ bescheiden. Charmant finden das die Franzosen, die Opposition verhöhnt es als Attitüde. Für die Personenschützer ist Hollandes methodische Normalität jedenfalls ein Problem.

Stefan Ulrich, Paris

Von dem Dichter Paul Valéry stammt der Satz: "Macht ohne Missbrauch verliert an Reiz." François Hollande schickt sich an, das zu widerlegen. Frankreichs neuer Staatschef hatte im Wahlkampf versprochen, ein "normaler" Präsident zu werden. Bescheiden, nüchtern, seriös werde er regieren. Bislang hält er Wort. Die Franzosen finden das charmant. Die Frage ist, wie lange noch.

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Er wolle ein "normaler" Präsident sein: Frankreichs Staatschef François Hollande schüttelt Hände mit den Bürgern. Sein Vorgänger Sarkozy bevorzugte inszenierte Auftritte.

(Foto: AFP)

Schon bei Hollandes Amtsantritt Mitte Mai herrschte geradezu drollige Normalität. Der Präsident fuhr im strömenden Regen schutzlos die Champs-Élysées hinauf - nass wie irgendein Tropf. Bald darauf kürzte er sein Gehalt um dreißig Prozent. Vergangene Woche tauchte er in der Pariser Gare du Nord auf, um mit dem Zug inmitten gewöhnlicher Passagiere zum Schnupper-Gipfel nach Brüssel zu fahren. Sarkozy war stets mit zwei Flugzeugen zu den EU-Treffen gereist, mit einem Airbus A330 - Air Sarko One genannt - und einer Falcon 7X. Das kam teurer. Die Rückreise aus Brüssel trat Hollande tief in der Nacht im Pkw an, ohne Blaulicht und Sirenen. Der Fahrer musste sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten.

Faszinierend normal fanden das die Bürger. Diese Woche legte Hollande nach. Anstatt, wie früher Sarkozy, die Journalisten für eine Sondersendung in den Élysée-Palast zu zitieren, begab er sich als Gast der Abendnachrichten ins Fernsehstudio. Dort antwortete er ruhig und höflich, während sich Sarkozy bei Interviews gern genervt bis bissig gab.

Hinter Hollandes Normalität steckt Methode. Mit jeder Geste kritisiert er seinen Vorgänger. Sarkozy hatte ein Sicherheitsteam aus 93 Beamten. Hollande reduzierte sein Team an diesem Freitag auf weniger als 60. Sarkozy schützte reiche Bürger durch einen Steuerschild. Hollande deckelt die Vorstandsgehälter in Konzernen mit Staatsbeteiligung. Sarkozy hofierte Angela Merkel, Hollande behandelt sie distanziert. Sarkozy liebte den inszenierten Auftritt, Hollande bevorzugt das spontane Bad in der Menge. Er wolle den Franzosen "so nah wie möglich" sein, sagt er.

"Anti-Sarkozysmus"

Für die Personenschützer ist dieser Präsident "Tout-le-monde" ein Problem. Bereits im Wahlkampf wurde er von einer Frau mit einer weißen Substanz überschüttet - zum Glück war es nur Mehl. "Er muss verstehen, dass er nicht mehr wie ein Durchschnittsbürger herumlaufen kann", heißt es in Polizeikreisen. Auch dürfe er zu künftigen EU-Gipfeln nicht mehr per Bahn anreisen, da man den Präsidenten dann abpassen könne. Doch Hollande ist stur. Immerhin scheint er einzusehen, dass er nicht länger in seiner normalen Pariser Wohnung bleiben kann, die schwer zu sichern ist.

In diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten kommt die demonstrative Bescheidenheit des Präsidenten gut an. Allerdings darf er sie nicht übertreiben. Die Franzosen erwarteten bislang von ihren Präsidenten eine gewisse Erhabenheit. In Krisen wünschten sie sich einen beschützenden Patriarchen im Élysée, wie ihn Charles de Gaulle verkörperte. Es ist ungewiss, ob sie sich wirklich vom Präsidenten-Mythos verabschieden wollen.

Schon höhnt die Opposition, Hollande benehme sich nicht normal, sondern banal. Die ganze Attitüde sei purer "Anti-Sarkozysmus". Ex-Premier François Fillon prophezeit, der Präsident werde nicht lange normal sein, sein Amt sei das auch nicht. Wie also soll sich Hollande benehmen? Paul Valéry meinte sibyllinisch: "Nur durch das Extreme hat die Welt ihren Wert, nur durch das Durchschnittliche Bestand."

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