Frankreich verärgert die Türkei:Schwieriger Umgang mit der Schuld

Frankreich verabschiedet ein neues Genozid-Gesetz, das auch die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern im Ersten Weltkrieg unter Strafe stellt - und erntet wütende Reaktionen aus der Türkei. Obwohl das Gesetz übertrieben ist: Ankara muss die historische Schuld anerkennen.

Stefan Ulrich, Paris

Im Ersten Weltkrieg wähnte sich das moribunde Osmanische Reich von inneren Feinden bedroht - den christlichen Armeniern. Die jungtürkische Regierung entfesselte eine Vernichtungskampagne gegen das Volk, das seit Jahrtausenden in Anatolien siedelte. Bis zu eineinhalb Millionen Armenier wurden bei Massakern niedergemetzelt oder auf Todesmärsche in die Wüste geschickt. "Aghet" - "Katastrophe" - nennen die Armenier diese Verbrechen. Die meisten Historiker sprechen von Völkermord.

Turkish demonstration in Paris.

Wütende, mit der Türkei sympathisierende Demonstranten vor der Nationalversammlung in Paris: Die Abgeordneten haben am Donnerstag ein Gesetz verabschiedet, dass das Leugnen des Völkermordes an den Armeniern im Osmansichen Reich unter Strafe stellt.

(Foto: dpa)

Dieser Genozid fällt in die Geburtsstunden der modernen Türkei. Das ist eine furchtbare Belastung. Die türkische Regierung könnte sie schultern, indem sie das Unrecht anerkennt, es aufrichtig bedauert und sich zumindest symbolisch an einer Wiedergutmachung versucht. Doch Ankara rechnet die Opferzahlen klein, vertuscht die Verantwortung der damals Regierenden und wütet gegen alle, die dies nicht hinnehmen wollen.

Viele Türken sind bereit für einen Beitritt zur Europäischen Union. Die Regierung von Tayyip Erdogan ist es nicht. Ihre maßlosen Drohungen gegen Frankreich, das die Leugnung von Völkermord unter Strafe stellt, lassen ahnen, was sie in der EU anrichten könnte. Sie würde die Union zur Geisel ihres Nationalismus machen. Ein Land, das seine Geschichte verdrängt, ist ein Sprengsatz.

Ein gesetzgeberischer Exzess aus Wahlkampftaktik

Die Türkei zu kritisieren, bedeutet nicht, Frankreich wegen seines Genozid-Gesetzes zu loben. Es vergiftet die Beziehung zu einem wichtigen Partner in einer Zeit, da Syrien brennt, Iran zündelt, Afghanistan wankt und Ankara dringend als Stabilitätsfaktor gebraucht wird. Nun sollen Menschenrechte nicht geopolitischem Kalkül weichen. Die Abgeordneten in Paris müssen sich aber fragen lassen, warum sie dieses Gesetz, über das seit zehn Jahren debattiert wird, jetzt verabschieden. Die Antwort: Es ist Wahlkampf. Konservative und Sozialisten werben um die Stimmen jener Franzosen, die aus Armenien stammen.

Frankreich hat den Völkermord an den Armeniern schon im Jahr 2001 per Gesetz anerkannt. Das ist gut und genug. Wenn es jetzt jeden, der diesen Genozid bezweifelt, mit Gefängnis bedroht, ist das ein Exzess. Frankreich war an diesem Völkermord nicht beteiligt. Es kennt keinen antiarmenischen Rassismus. Warum muss Paris dann so vehement eine historische Bewertung erzwingen, die die Geschichte anderer Nationen betrifft?

Die Freiheit der Meinung muss Vorrang haben - das gebieten Menschenrechte und Demokratieprinzip. Die Politik darf Geschichte nicht dekretieren. Wenn Deutschland die Leugnung des Holocaust bestraft, ist das die Ausnahme für den Extremfall. Die Shoah wurde von Hitler-Deutschland verübt, in Deutschland gibt es Antisemiten. Das Verhältnis Frankreichs zum Genozid an den Armeniern ist damit nicht vergleichbar. Frankreich sollte sein Gesetz zurückziehen - und die Türkei sollte sich endlich türkischer Verantwortung und Schuld stellen.

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