Frankreich:Wenn sich Wut entlädt

Das Land braucht Reform auch um den Preis, dass sich die Linke dem eigenen Untergang durch Suizid entzieht.

Von Christian Wernicke

Frankreich erleidet dieser Tage einen Bruderkampf. Linke Gewerkschafter ziehen mit tiefroten Fahnen über Pariser Boulevards, sie zünden Autoreifen vor Fabriktoren an und bestreiken sogar Atomkraftwerke - und alles nur, um gegen eine sozialistische Regierung zu Felde zu ziehen, die sie vor vier Jahren selbst gewählt hatten.

Den Anlass für Streiks und Streit liefert eine im Kern richtige Reform: Präsident Francois Hollande und seine Regierung wollen das starre Arbeitsrecht lockern. Frankreichs Arbeitnehmer würden damit keineswegs von einem Tag auf den anderen rechtlos, im Gegenteil: Sie sollen per Abstimmung in den Betrieben selbst entscheiden dürfen über die Arbeitszeiten und Überstunden. Geschwächt werden per Reform allenfalls die Ansprüche von Frankreichs altlinken Syndikaten: Die haben sich angewöhnt, ihre erbärmlich niedrigen Mitgliederzahlen (nur noch acht Prozent der Franzosen sind gewerkschaftlich organisiert) durch Geschrei zu kompensieren. Sie können blockieren, aber ihnen fehlt Kraft und Konzept zum Kompromiss.

Die Regierung hat ihre Reform miserabel erklärt. Und sie hat unterschätzt, welcher Frust und welche Wut sich auf der eigenen Linken aufgestaut hatte. All das entlädt sich nun. Dennoch, das Land braucht diese Reform, auch um den Preis, dass Frankreichs Linke sich dem eigenen Untergang gerade durch Suizid entzieht.

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