Der Aufruf hat keine französische Revolution ausgelöst. Auch keine Revolte. Aber, so glaubt Co-Autor Daniel Cohn-Bendit, der Vorstoß für die Urwahl eines linken Kandidaten vor den nächsten Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 habe "für etwas Unruhe im Palast" gesorgt: "So viel weiß ich: François Hollande überlegt, was er machen soll", sagt der frühere Europaabgeordnete der Grünen und lächelt: "Wir haben etwas angestoßen."
Mehr als 66 000 Franzosen haben inzwischen im Internet einen Appell unterschrieben, der sich - zumindest auf den ersten Blick - gegen den Amtsinhaber im Élysée-Palast richtet. Zwar gehen Präsidentenberater, Minister oder offizielle Sprecher der regierenden Sozialisten (PS) wie selbstverständlich davon aus, dass François Hollande der gesetzte linke Bewerber für die (Wieder-)Wahl 2017 sei. Nur, Hollandes Popularität ist in allen Umfragen allenfalls eher mäßig bis miserabel. Und viele Anhänger der französischen Linken werfen dem Sozialdemokraten vor, er habe - nach rot-sozialistischen Tönen im Wahlkampf 2012 - einen allzu marktfreundlichen, ja "neoliberalen" oder sogar "rechten" Kurs eingeschlagen. Umfragen zeigen: 78 Prozent der linken Wähler wollen die Urwahl.
Also titelte die Zeitung Libération: "Für eine Vorwahl der Linken!" Eine bunte Gruppe linker Promis - neben Cohn-Bendit der Ökonom Thomas Piketty oder der Soziologe Michel Wieviorka - richteten eine Art Weckruf an Sozialisten, Grüne und Kommunisten: Ein Wettkampf der Kandidaten solle der Linken neue Ideen und neuen Elan einhauchen. Per demokratischer Urwahl müsse man sich auf einen Kandidaten wie auf ein Programm einigen. Andernfalls, so Cohn-Bendit im Gespräch, "überlassen wir die Debatte nur der Rechten", die sich im November per Urwahl zwischen Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und Ex-Premier Alain Juppé entscheidet. Und dass Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National, im April 2017 in die Stichwahl kommt - davon geht Cohn-Bendit aus: "Wenn die Linke so zerstritten und enttäuscht bleibt wie derzeit, scheitert Hollande im ersten Wahlgang." So wie PS-Kandidat Lionel Jospin, der 2002 gegen FN-Gründer Jean-Marie Le Pen ausschied.
Cohn-Bendit weiß, dass viele linke Franzosen seinen Aufruf vor allem aus Frust oder Wut über den Präsidenten unterzeichnen. "Aber das ist nicht mein Motiv", fügt der 70-jährige Polit-Veteran hinzu, "ich will Hollande eine neue Chance geben, sich auf der Linken zu legitimieren." Den Einwand von Élysée-Beratern, eine Vorwahl spalte das eigene Lager nur noch tiefer, lässt der Deutsch-Franzose nicht gelten: "Ohne Vorwahl droht Hollande, dass er nur die halbe Linke hinter sich hat." Präsidenten-Vertraute verlangten in ersten Gesprächen nun Garantien, dass sich alle Hollande-Gegner verpflichteten, den Vorwahl-Sieger zu unterstützen. Mit Ausnahme des linksradikalen Jean-Luc Mélenchon, glaubt Cohn-Bendit, könne das gelingen. Ob Hollande, der seit sich den jüngsten Attentaten als "Kriegs-Präsident" präsentiert, auf das Experiment eingeht? "Ich bezweifle es, leider", sagt Cohn-Bendit, "aber ich würde für ihn stimmen."