Frankreich:Weckruf von links

Greens-European Free Alliance group press conference

"Wir haben etwas angestoßen": Daniel Cohn-Bendit ist ein Initiator der Urwahl-Idee.

(Foto: Mario Cruz/dpa)

Immer lauter wird nun die Urwahl des Kandidaten für die Präsidentschaft gefordert. Die Debatten sollen nicht den Rechten überlassen bleiben.

Von Christian Wernicke, Paris

Der Aufruf hat keine französische Revolution ausgelöst. Auch keine Revolte. Aber, so glaubt Co-Autor Daniel Cohn-Bendit, der Vorstoß für die Urwahl eines linken Kandidaten vor den nächsten Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 habe "für etwas Unruhe im Palast" gesorgt: "So viel weiß ich: François Hollande überlegt, was er machen soll", sagt der frühere Europaabgeordnete der Grünen und lächelt: "Wir haben etwas angestoßen."

Mehr als 66 000 Franzosen haben inzwischen im Internet einen Appell unterschrieben, der sich - zumindest auf den ersten Blick - gegen den Amtsinhaber im Élysée-Palast richtet. Zwar gehen Präsidentenberater, Minister oder offizielle Sprecher der regierenden Sozialisten (PS) wie selbstverständlich davon aus, dass François Hollande der gesetzte linke Bewerber für die (Wieder-)Wahl 2017 sei. Nur, Hollandes Popularität ist in allen Umfragen allenfalls eher mäßig bis miserabel. Und viele Anhänger der französischen Linken werfen dem Sozialdemokraten vor, er habe - nach rot-sozialistischen Tönen im Wahlkampf 2012 - einen allzu marktfreundlichen, ja "neoliberalen" oder sogar "rechten" Kurs eingeschlagen. Umfragen zeigen: 78 Prozent der linken Wähler wollen die Urwahl.

Also titelte die Zeitung Libération: "Für eine Vorwahl der Linken!" Eine bunte Gruppe linker Promis - neben Cohn-Bendit der Ökonom Thomas Piketty oder der Soziologe Michel Wieviorka - richteten eine Art Weckruf an Sozialisten, Grüne und Kommunisten: Ein Wettkampf der Kandidaten solle der Linken neue Ideen und neuen Elan einhauchen. Per demokratischer Urwahl müsse man sich auf einen Kandidaten wie auf ein Programm einigen. Andernfalls, so Cohn-Bendit im Gespräch, "überlassen wir die Debatte nur der Rechten", die sich im November per Urwahl zwischen Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und Ex-Premier Alain Juppé entscheidet. Und dass Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National, im April 2017 in die Stichwahl kommt - davon geht Cohn-Bendit aus: "Wenn die Linke so zerstritten und enttäuscht bleibt wie derzeit, scheitert Hollande im ersten Wahlgang." So wie PS-Kandidat Lionel Jospin, der 2002 gegen FN-Gründer Jean-Marie Le Pen ausschied.

Cohn-Bendit weiß, dass viele linke Franzosen seinen Aufruf vor allem aus Frust oder Wut über den Präsidenten unterzeichnen. "Aber das ist nicht mein Motiv", fügt der 70-jährige Polit-Veteran hinzu, "ich will Hollande eine neue Chance geben, sich auf der Linken zu legitimieren." Den Einwand von Élysée-Beratern, eine Vorwahl spalte das eigene Lager nur noch tiefer, lässt der Deutsch-Franzose nicht gelten: "Ohne Vorwahl droht Hollande, dass er nur die halbe Linke hinter sich hat." Präsidenten-Vertraute verlangten in ersten Gesprächen nun Garantien, dass sich alle Hollande-Gegner verpflichteten, den Vorwahl-Sieger zu unterstützen. Mit Ausnahme des linksradikalen Jean-Luc Mélenchon, glaubt Cohn-Bendit, könne das gelingen. Ob Hollande, der seit sich den jüngsten Attentaten als "Kriegs-Präsident" präsentiert, auf das Experiment eingeht? "Ich bezweifle es, leider", sagt Cohn-Bendit, "aber ich würde für ihn stimmen."

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