Frankreich:Versuch einer neuen Flüchtlingspolitik

Mehr Unterkünfte, rasche Ausweisungen: Paris gelobt, die oft unmenschlichen Zustände im Land zu ändern.

Von Christian Wernicke, Paris

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(Foto: Christophe Archambault/AFP)

Angesichts Tausender obdachloser Flüchtlinge im Land und einer völligen Überforderung seiner Asylbehörden hat Frankreichs Regierung eine Neuordnung seiner Politik gegenüber Migranten versprochen. Premierminister Édouard Philippe kündigte am Mittwoch eine Doppelstrategie an: "Mit mehr Humanität, aber auch mehr Strenge" wolle Paris unter anderem 7500 neue Unterkünfte für Asylbewerber schaffen, die Dauer seiner Asylverfahren drastisch verkürzen und abgelehnte Migranten sofort ausweisen. "Wir sind nicht auf der Höhe, auf der Frankreich sein sollte", räumte Philippe ein. Hilfsorganisationen hatten zuletzt wiederholt "unmenschliche Zustände" in Notlagern von Paris und Metz beklagt sowie der Polizei vorgehalten, Flüchtlinge in Calais "zu erniedrigen".

Regierungschef Philippe ging auf diese Vorwürfe am Mittwoch nur indirekt ein. Die Franzosen seien sich ihrer Tradition als Zuflucht für politisch Verfolgte bewusst, versicherte er: "Wir wollen vorbildlich sein." Philippe versprach Italien bei der Bewältigung der aktuellen Flüchtlingswelle mehr Unterstützung, zudem will Frankreich bis Mitte 2018 insgesamt 10 000 Menschen aus Notlagern im Nahen Osten und der Türkei aufnehmen. Anerkannte Flüchtlinge sollen künftig besser integriert werden und mehr Sprachunterricht erhalten. 2015 hatte Frankreich 85 000 Asylbewerber erfasst, 38 Prozent von ihnen wurden anerkannt.

Verschärfen will die Regierung ihren Kurs gegenüber Ausländern ohne Aufenthaltsrecht und abgelehnten Asylbewerbern. Im vergangenen Jahr seien mehr als 91 000 Illegale von der Polizei aufgegriffen worden, so Philippe, nur ein Drittel sei jedoch aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Nur 25 000 seien ausgereist, davon 13 000 per Abschiebung. Künftig würden Asylsuchende nach dem Scheitern ihres Antrags "unmittelbar ausgewiesen".

Präsident Emmanuel Macron hat mehrmals versichert, sein Land wolle mehr tun für politisch Verfolgte. Am Rande des EU-Gipfels in Brüssel am 23. Juni hatte er geäußert, die Aufnahme von Flüchtlingen sei "unsere Pflicht und unsere Ehre". Am gleichen Tag hatte Innenminister Gérard Collomb, ein politischer Ziehvater und Vertrauter Macrons, die Hafenstadt Calais besucht, wo bis zum Herbst vorigen Jahres mehr als 7000 Menschen im sogenannten "Dschungel" gelebt hatten. Collomb lehnte es nun strikt ab, für ungefähr 600 neue Migranten vorwiegend afrikanischer Herkunft ein Notlager in Calais einzurichten, da dies wie "ein Lockruf" wirke. Collomb riet freiwilligen Helfern, sie sollten "ihr Know-how anderswo" anwenden. Nach Angaben von humanitären und kirchlichen Gruppen verglich er die Migranten mit "Abszessen" und "Zysten".

Hilfsorganisationen kritisieren, Polizei und Gendarmerie behinderten in Calais sogar den Zugang zu Nahrung: Beamte hätten Flüchtlingen wiederholt den Weg zur täglichen Essensausgabe versperrt. Auch Frankreichs "Défenseur des droits", Jacques Toubon, eine Art Ombudsmann, hatte "die unmenschlichen Lebensbedingungen" angeprangert und den Behörden vorgehalten, sie betrieben "eine Art Treibjagd". Per Gerichtsbeschluss wurde der Staat zwar inzwischen dazu verurteilt, den Migranten Toiletten, Duschen sowie Zugang zu Wasser zur Verfügung zu stellen. Collomb legte jedoch Einspruch ein gegen das Urteil und zog vor den Staatsrat.

Einig sind sich Regierung und Hilfsgruppen darin, dass Frankreichs Asylverfahren mit durchschnittlich 14 Monaten zu lange dauern. Die Regierung will diese Frist auf sechs Monate verringern. Experten weisen allerdings darauf hin, dass Migranten oft bis zu drei Monate ausharren müssen, um überhaupt als Asylbewerber registriert zu werden. In Paris hatten zuletzt 2800 Migranten unter Brücken leben müssen, weil das städtische Auffanglager überfüllt war. In anderen französischen Metropolen fehlen derartige Unterkünfte völlig. In Metz leben derzeit mehr als 700 Menschen in einem Lager, das der Staat für 150 Personen auf einem Parkplatz angelegt hatte. Hilfsorganisationen nennen das Camp "einen humanitären Slum".

Premierminister Philippe kündigte am Mittwoch an, seine Regierung werde bis 2019 7500 zusätzliche Unterkünfte für Asylbewerber schaffen. Damit stünden im Land 83 000 Plätze bereit. Nach Schätzungen der protestantischen Organisation Cimade werden Unterkünfte für mindestens 110 000 Asylsuchende benötigt - schon 2017.

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