Frankreich:Symphonie der schlechten Laune

Marine Le Pen hat es nicht geschafft, dem französischen Wahlkampf ihre Anti-Einwanderungsdebatte aufzudrücken. Nun will sie ihren Front National erneuern.

Von Nadia Pantel, Paris

Eine Frau, die gemäß einer Umfrage des Parisien weite Teile der Bevölkerung für aggressiv (71 Prozent), demagogisch (67 Prozent) und rassistisch (60 Prozent) halten, hat in Frankreichs wichtigster Wahl mehr als 10,6 Millionen Stimmen erhalten. Die internationale Presse jubelt, dass Marine Le Pen besiegt sei. Das stimmt insofern, als dass sie nicht zur Präsidentin gewählt wurde. Doch es ist insofern falsch, als dass Le Pen ihren rechtsextremen Front National zum bislang größten Erfolg seiner Geschichte geführt hat. Noch nie haben so viele Menschen - 33,9 Prozent der Wähler - für die Partei gestimmt. "Machen wir uns keine Illusionen, viele in der Bevölkerung haben richtig Lust auf die extreme Rechte", sagte der Historiker Nicolas Lebourg von der Beobachtungsstelle radikaler Politik am Morgen nach dem Wahltag.

Auch Einwanderer aus den früheren Kolonien sollen sich mit der Partei identifizieren können

Den Front National ärgert nun, dass die Partei nicht noch stärker vom wachsenden Nationalismus profitierte. Le Pen und ihr wichtigster Berater, Florian Philippot, kündigen nun an, die Partei zu erneuern und "auf die nächsthöhere Stufe ihrer politischen Kraft zu erheben". Konkret könnte das bedeuten, dass die Basis über einen neuen Namen abstimmen wird, wie Le Pen in der Sonntagnacht in Aussicht stellte. Philippot gab die grobe Kampfrichtung vor: "Die politische Spaltung verläuft zwischen Globalisierern und Vaterlandsfreunden." Also noch mehr Nationales für den Front.

Im Wahlkampf war es Le Pen nicht gelungen, ihre Dauertirade ins Zentrum zu rücken, dass Einwanderung automatisch zu islamistischem Terror führe. 2017 stritt Frankreich weniger über Integration als über soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit. Es war ein ökonomischer Wahlkampf, in dem Le Pen behauptete, "weder links noch rechts zu sein", sondern den "Willen des Volkes" zu vertreten. Sie präsentierte eine Mischung radikaler linker und rechter Ideen, ein klassisch national-sozialistisches Programm. Eine Anfettung des Sozialstaates auf Kosten von Einwanderern.

Frankreich: Le Pen blieb am Wahlabend nichts anderes übrig, als Macron zu gratulieren, den die Schloss-Bewohnerin stets als Mitglied des Establishments verunglimpfte.

Le Pen blieb am Wahlabend nichts anderes übrig, als Macron zu gratulieren, den die Schloss-Bewohnerin stets als Mitglied des Establishments verunglimpfte.

(Foto: Joael Saget/AFP)

Dem äußersten rechten Flügel der Partei ging das nicht weit genug. Es gehört zu den Kerngedanken des FN, dass Einwanderung nicht nur teuer ist (laut einer nicht belegten Rechnung von Marine Le Pen kosten Einwanderer den Staat jährlich zwischen 70 und 100 Milliarden Euro), sondern auch die Kultur und Gesellschaft Frankreichs zerstört. Noch vor der Stichwahl betonte Marion Maréchal-Le Pen, eine Nichte der Kandidatin und ein Jungstar der Partei, "sie bereue, dass überhaupt nicht über Einwanderung" gesprochen worden sei. "Das ist ein grundlegendes Thema, bei dem wir radikal andere Ansichten haben" als Macron.

Marine Le Pen steht nun vor der Herausforderung, eine Art vielfarbigen Rassismus auszubauen. Jeder, der gegen weitere Einwanderer ist, soll sich mit der laut Le Pen "führenden Partei Frankreichs" identifizieren können. Auch Einwanderer aus den ehemaligen französischen Kolonien, aus Marokko, Algerien oder Mali. Sie müssen dann nur die Ansicht teilen, dass alle ihre anderen Landsleute fortan zu Hause bleiben sollen, da davon auszugehen sei, dass sie sich nicht an französische Gesetze und Normen anpassen können.

Frankreich: Die enttäuschte Parteibasis des Front National soll nun wohl über eine Namensänderung und Neuausrichtung abstimmen.

Die enttäuschte Parteibasis des Front National soll nun wohl über eine Namensänderung und Neuausrichtung abstimmen.

(Foto: AFP)

Die angekündigte Erneuerung des FN dürfte wenig daran ändern, wen die Partei als potenzielle Wähler sieht. Der FN hat bei den Unzufriedenen die größten Chancen. Wer Le Pen wählt, ist vor allen Dingen dagegen. Gegen Ausländer, Politiker, Kriminelle, Terroristen, Wirtschaftsbosse, Muslime, Alt-68er und gegen Homosexuelle, die heiraten wollen. Außerdem gegen Steuern, Arbeitslosigkeit und Kopftuch. Es bleibt dann wenig übrig von der Gesellschaft, aber das wenige gehört dann "dem Volk". Oder wie Marine Le Pen sagt: "Das Vaterland gehört denen, die nichts anderes haben." Den Satz hat sie sich kontextfrei bei Frankreichs großem Sozialisten Jean Jaurès geborgt, verwendet ihn immer wieder. Jaurès hatte vor mehr als hundert Jahren den internationalen Kampf der Arbeiter im Sinn. Die daueralarmierte Le Pen macht daraus ein Statement zwischen Trotz und Depression: Alles wird immer schlimmer, aber immerhin sind wir Franzosen.

Es ist bemerkenswert, dass Le Pen es schafft, in ihrer Symphonie der schlechten Laune die Stimme der Unterdrückten zu übernehmen. Ihr wichtigstes Argument gegen Macron: Er repräsentiere das Establishment. Diesen Vorwurf bekam der ehemalige Banker auch vehement von links zu hören. Dabei verzichteten Macrons linke Gegner darauf zu betonen, dass dasselbe auch für die Le-Pen-Dynastie gilt.

Marine Le Pens faschistischer Vater Jean-Marie ist insofern Anti-Establishment, als dass Politik für ihn immer eine Prügelei war. Als Jugendlicher kloppte sich der heute 88-jährige FN-Gründer mit Kommunisten. 1958 behauptete er, politische Gegner hätten ihm ein Auge ausgeschlagen und trug fortan Augenklappe. 1997 schubste er die sozialistische Politikerin Annette Peulvast-Bergeal so heftig, dass er in Frankreich verurteilt wurde. Jean-Marie Le Pen verhält sich wie einer, den die Verachtung antreibt. Sollen ihn die Leute für einen Rüpel und Frauenhasser halten - er hält sie für schwach und feige.

Den Hang zur Gewalt hat Marine Le Pen vom Vater nicht übernommen, wohl aber sein Geld. Im Januar gab sie zu, dass Le Pen senior den Wahlkampf mit sechs Millionen Euro kofinanzierte. Establishment ist für die Le Pens ein Schimpfwort für jene, die sie als erfolgreich wahrnehmen. Dass sie selbst in einem napoleonischen Privatschloss leben, das wirkt wie aus dem Werbeheft eines Country-Klubs, empfinden sie nicht als Widerspruch.

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