Frankreich:Stiller Mann voller Wut

In Frankreich gesteht der Salafist Yassin Salhi, seinen Chef enthauptet zu haben. Allerdings weist er eine islamistische Tat weit von sich. Er habe sich an seinem Chef rächen wollen, sagt er. Dennoch lebt im ganzen Land die Terrorangst wieder auf.

Von Christian Wernicke, Paris

Niemand hat gewusst, dass Yassin Salhi zum Mörder werden würde. Geahnt jedoch haben es viele. Sie spürten, dass da etwas brodelte in diesem so schrecklich netten Nachbarn, dem biederen Ehemann und liebevollen Vater dreier Kinder. Dem Mann, der allzeit lächelte. Und der immer schwieg.

Zum Beispiel die frühere Nachbarin, die den 35 Jahre alten Muslim bereits vor 2013 wegen seines verdächtigten Gebarens bei der Polizei anzeigte. Oder der Arbeitskollege, der jetzt - nach der brutalen Enthauptung des gemeinsamen Chefs und dem Anschlag auf eine Gasfabrik nahe Lyon - bekundet, er habe Salhi schon immer "für einen Wolf im Schafspelz" gehalten. Ein Kampfsport-Trainer, mit dem Salhi zwei Jahre lang übte, nennt seinen Ex-Schützling "eine Zeitbombe; in meinem Innern wusste ich, dass er eines Tages explodieren würde". Und auch Frankreichs Geheimdienste hatten wiederholt Verdacht gehegt gegen diesen stillen, bärtigen Mann: Immer wieder, seit elf Jahren, war der tiefgläubige Salafist ins Visier der Fahnder geraten. Aber nie wurde er festgenommen.

Nun ist etwas geschehen, die Franzosen stehen unter Schock. In einer Blitzumfrage bekunden 85 Prozent, ihre Nation sei "einer hohen Terrorgefahr" ausgesetzt. Und der sozialistische Premierminister Manuel Valls warnte am Sonntag, der nächste islamistische Terroranschlag komme bestimmt: "Nicht ob, sondern wann" sei die Frage. Im Interview mit i-Tele und Le Monde äußert sich Valls geradezu finster über das, was droht: "Dieser Kampf wird lang", sagt der Regierungschef, "und wir dürfen diesen Krieg nicht verlieren. Denn im Grunde ist dies ein Krieg der Kulturen." So redete in Frankreich bisher nur die Rechte, allen voran Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. Und natürlich der Front National.

Yassin Salhi, ein Soldat im Kulturkrieg? Tatsächlich hat der Lieferwagenfahrer ja islamische Parolen und schwarze IS-Fahnen am Tatort zurückgelassen. Und Salhi hat seine Bluttat inzwischen gestanden. Im Verhör hat der tiefgläubige Muslim geschildert, wie er seinen Chef - den Transportunternehmer Hervé C., 54, - am Freitagmorgen mit einem Messer getötet und enthauptet hat. Zudem räumte er ein, dass er in dem Lager voller Gasflaschen mit Sauerstoff und Aceton eine Großexplosion hatte auslösen wollen. Und er bestätigt, was die Geheimdienste schon vor Jahren über ihn zusammengetragen hatten: Dass er 2004 in seinem Geburtsort Pontarlier nahe der Schweizer Grenze in den Bannkreis des "Großen Ali" geraten war, einem Islamisten, der sich später als Terrorist in Indonesien versuchte. Genau deshalb war von 2006 bis 2008 Salhis Telefon abgehört worden. Ohne Erfolg, weil ohne Beweise.

Attack at Air Products gas factory

Ermittlungen im engsten Umfeld: Nach dem Attentat in Frankreich wird eine unbekannte Frau in Saint-Priest von den Sicherheitsbehörden abgeführt.

(Foto: Richard Mouillaud/dpa)

Heute zählt sich Salhi zu den Salafisten, einer extrem konservativen Lesart des Islam. Auch das ist seit Langem aktenkundig. Nur, ansonsten widerspricht der Angeklagte energisch der Deutung durch Medien und Politik. Salhi bestreitet, von islamistischen Mächten gesteuert worden zu sein. Er sei kein Terrorist, beteuert er. Nach Informationen des TV-Kanals i-Tele präsentierte er stattdessen ein wirres Knäuel persönlicher Motive: Streitereien mit der Ehefrau, obendrein vorige Woche ein Konflikt mit seinem Chef (und späterem Opfer) über eine teure Lieferung, die Salhi versehentlich beschädigt hatte. Er habe sich an seinem Arbeitgeber rächen und anschließend selbst (per Explosion) töten wollen, sagt er. Die brutale Enthauptung, die IS-Symbole, selbst das Selfie mit dem Kopf des Opfers, das er an einen Kumpanen in Syrien schickte - all das ist laut i-Tele-Informationen aus Polizeikreisen nur Schimäre gewesen, "um alles als terroristische Tat zu kaschieren und einen Medien-Coup zu schaffen".

Daheim führte er Debatten über Gott, die Welt - und den Dschihad

Also alles nur ein krimineller Horror eines verwirrten Einzeltäters? Bis zum Sonntagabend haben die Ermittler jedenfalls keinerlei Hinweise auf Komplizen, Helfershelfer oder Drahtzieher. Auch fanden sich in Salhis Wohnung keine Waffen, kein Sprengstoff, keine radikale Propaganda. Während der Staatsanwalt Indizien sammelt, reden Zeugen mit Journalisten. In Saint-Priest, wo Salhi seit dem vorigen Winter in einem Appartement wohnte, finden sich wenig Spuren. Dort schätzte man den schüchternen Mann als Familienvater. Andere Nachbarn erzählen, Salhi sei "oft weg gewesen". Offenbar zog es Salhi regelmäßig nach Planoise, einem elenden Quartier am Rande des ostfranzösischen Besançon. Dort hat er jahrelang gelebt, dort hat er sich einen Bart wachsen lassen, maghrebinische Kleidung getragen - und jeden Mittwochabend daheim Debatten über Gott, die Welt und auch über den Dschihad geführt. Einer Nachbarin fiel zudem auf, dass Salhi wiederholt wochenlang verreiste - etwa nach Syrien? Die Frau warnte die Polizei - aber die Ermittlungen verliefen 2014 im Sande.

In Planoise fiel Salhi auch einem Kampfsport-Trainer auf, den Le Parisien interviewte. Der anonyme Zeuge beschreibt den Täter von Freitag als "doppelte Persönlichkeit - meist sehr sanft, dann brutal". Ja, Salhi habe viel über den Islam geredet - über die Liebe, den Frieden, den Glauben - "es artete nie aus!" Aber er sei extrem unausgeglichen gewesen. Im Training habe er sich von seinem Gegenüber regelmäßig "erst schlagen lassen, ohne zu reagieren - und nach einigen Minuten explodierte er voller Wut". Zwei Jahre lang ging das so, dann blieb er fort. "Er war gefährlich, für sich selbst wie für andere", sagt der Zeuge, "der hat sich nicht geschlagen, der führte Krieg". Ob nur für sich oder doch für andere? Das war am Sonntagabend unklar.

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