Frankreich:Steinmeier: Frankreich und Deutschland müssen das Erbe der EU wahren

  • Der erste Staatsbesuch des neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier führt ihn traditionell nach Frankreich.
  • Dort spricht er mit Präsident François Hollande über den Zusammenhalt der Europäischen Union "in bewegten Zeiten".
  • Er betont vor allem die zentrale Rolle der beiden Länder in der Gemeinschaft nach dem Brexit.

Von Constanze von Bullion, Paris

Er muss sich jetzt noch einmal neu erfinden und hineinwachsen in die Rolle wie in eine fremde Haut. "Nichts ist wie immer und fast alles ist anders", wird er irgendwann unterwegs sagen. Es klingt, als sei da einer noch auf der Suche.

Donnerstag im Élysée-Palast in Paris, unter güldenem Stuck und monumentalen Kronleuchtern steht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier neben Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Der Gastgeber ist von routinierter Munterkeit, der Gast hat sein Ich-bin-doch-nur-der-Nachbar-Lächeln dabei. Sechs Wochen vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich ist Steinmeier zu seiner ersten Auslandsreise nach Paris gekommen.

Einen "Besuch in bewegten Zeiten" wird er die Visite nennen, er hat sie zu einem eiligen Arbeitsbesuch verknappt, ohne feierliches Rahmenprogramm. Vielleicht, weil Hollande nicht mehr lange im Amt ist. Womöglich aber auch, weil zu viel Brimborium so kurz vor der Wahl in Frankreich den Eindruck erwecken könnte, der Deutsche mische sich in innerfranzösische Angelegenheiten ein. Das könnte etwa der Rechtspopulistin Marine Le Pen Argumente liefern, die im Mai Präsidentin werden will.

Über dem Kontinent ziehen dunkle Wolken heran

Am Tag nachdem Großbritannien per Brief seinen Abschied aus der Europäischen Union eingeleitet hat, will das neue deutsche Staatsoberhaupt in Paris ein Zeichen für Europa setzen, fürs deutsch-französische Wir-machen-weiter. Zurück "hinter die vertrauten Butzenscheiben der Nation", das sei der falsche Weg, hatte Steinmeier schon nach seiner Vereidigung im Bundestag gesagt. Für die junge Generation sei Europa ohnehin längst ein "zweites Vaterland".

Das sollte optimistisch klingen. Beim Treffen in Paris aber können weder Gast noch Gastgeber verbergen, wie dunkel die Wolken sind, die sie über dem Kontinent aufziehen sehen, falls Marine Le Pen wirklich Präsidentin wird. Vor dem Mittagessen mit Hollande hat Steinmeier nachdenklich an den 13.

November 2015 erinnert. Damals saß er mit Hollande im Stade de France, die beiden sahen sich ein Fußball-Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland an. Dann krachte es draußen, und die Mobiltelefone lieferten im Minutentakt Schreckensmeldungen über die schweren Terroranschläge in Paris. "Vielleicht, lieber François Hollande", sagt Steinmeier am Donnerstag, "war es ja mehr als nur ein Zufall, dass Deutschland an diesem schicksalhaften Tag so eng an der Seite Frankreichs stehen durfte."

Brexit, USA, Russland und die Türkei - Themen ohne einfache Antworten

Zusammenhalten, auch wenn die Welt auseinanderzufliegen droht, das wird zur Botschaft dieses Besuchs. "Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union hat gestern ein Land den Austritt aus der Union beantragt", sagt Steinmeier. Populistische Kräfte wollten in Brüssel den Urheber aller Missstände erkennen. "Eine neue Faszination des Autoritären, genährt von der Sehnsucht nach einfachen Antworten in einer komplizierten Welt, ist tief nach Europa eingedrungen."

Nein, ein ganz anderer ist er noch nicht geworden, der Bundespräsident, der eben noch ein sozialdemokratischer Außenminister war. Als er später mit Hollande vor die Presse tritt, erzählt der Franzose, man habe über den Brexit gesprochen, über die USA, Russland, die Türkei, Syrien. Steinmeier und Hollande sind per Du, und es klingt ganz so, als sei an diesem Tag alles wie immer gewesen zwischen ihnen. Nur dass Steinmeier fürs operative Geschäft jetzt eben nicht mehr zuständig ist. In Paris rückt er den Fokus also sacht aufs große Ganze, den Zusammenhalt. "Auf Deutschland und Frankreich kommt eine noch größere Rolle zu, das Erbe der Europäischen Union zu wahren", sagt er. Wie diese Rolle aussehen könnte, will Steinmeier demnächst in Straßburg erforschen und bei den weniger begeisterten Europäern in Athen und Warschau. Und die Deutschen möchte er näher kennen lernen. Nach acht Jahren in der Welt, sagt Frank-Walter Steinmeier, sei das "auch eine Art Rückkehr" für ihn.

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