Frankreich:Lieferwagen rast in Weihnachtsmarkt

  • Frankreichs Präsident François Hollande ermahnt Polizei und Geheimdienste "zu äußerster Wachsamkeit". Premierminister Manuel Valls sagt, die Terrorgefahr im Land sei "so groß wie nie zuvor".
  • Grund sind drei brutale Attacken innerhalb von drei Tagen, in Nantes, Dijon und Tours. In einem Fall ist ein islamistischer Hintergrund erwiesen.
  • In einer Umfrage sagten 81 Prozent der befragten Franzosen, dass sie den Islam mit "etwas Negativem" verbinden.

Von Christian Wernicke, Paris

Drei brutale Attacken haben in Frankreich neue Angst vor islamistischen Anschlägen geschürt. Präsident François Hollande sah sich am Montag veranlasst, öffentlich Polizei und Geheimdienste "zu äußerster Wachsamkeit" zu ermahnen und seine Landsleute zu warnen, "nicht der Panik zu verfallen". Premierminister Manuel Valls erklärte, die Terrorgefahr im Land sei "so groß wie nie zuvor".

Der dritte Vorfall innerhalb von drei Tagen

Am Montagabend ereignete sich der dritte Vorfall ähnlicher Art innerhalb von nur drei Tagen: Ein Einzeltäter raste im westfranzösischen Nantes mit seinem Lieferwagen in eine Fußgängerzone und verletzte bis zu 17 Besucher eines Weihnachtsmarktes. Mindestens ein Opfer ist offenbar lebensgefährlich verletzt. Noch am Tatort versuchte der 37-jährige Amokfahrer, sich mit Messerstichen in die Brust selbst zu töten.

Die Behörden verweigerten zunächst Angaben zu seiner Person. Zeugen wollen gehört haben, dass der Täter "Allahu akbar" ("Gott ist groß") geschrien habe. Dies schürte sofort Mutmaßungen über einen terroristischen Hintergrund. Aus Polizeikreisen hieß es jedoch, es gebe keine Hinweise auf religiöse Motive oder islamistische Drahtzieher. Die zuständige Staatsanwaltschaft erklärte, man könne "nicht von einer terroristischen Tat sprechen".

Kein terroristischer Hintergrund in Dijon

Stunden zuvor hatten die Ermittlungen der Behörden in einem zweiten, ähnlichen Fall ebenfalls kurz für Entwarnung gesorgt: Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft in Dijon war ein Autofahrer, der am Sonntag in der ostfranzösischen Stadt 13 Menschen angefahren und einige schwer verletzt hatte, ein geistig verwirrter Mensch ohne politische Motive - und kein Terrorist. Klar hingegen scheint der islamistische Hintergrund in einem dritten Fall zu sein: Am Samstag war ein 20-jähriger Einzeltäter in eine Polizeiwache nahe Tours eingedrungen und hatte drei Polizisten mit einem Messer verletzt. Die Beamten erschossen den Angreifer.

Frankreich: Untersuchungen nach der Amokfahrt von Dijon: Dieser Fall hat offenbar keinen islamistischen Hintergrund, der Täter ist geistig verwirrt.

Untersuchungen nach der Amokfahrt von Dijon: Dieser Fall hat offenbar keinen islamistischen Hintergrund, der Täter ist geistig verwirrt.

(Foto: Arnaud Finistre/AFP)

Die Tat des Amokfahrers von Dijon hatte ganz Frankreich aufgeschreckt. Der 40-jährige Täter arabischer Herkunft überfuhr am Sonntagabend an mindestens drei Stellen in Dijon willentlich Passanten. Dabei soll er nach Zeugenangaben "Allahu akbar" gerufen und behauptet haben, er handle "für die Kinder von Palästina". Zudem habe er ein "typisch arabisches Gewand" getragen. Am Montag war spekuliert worden, der Mann habe Kontakte zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Marie-Christine Tarare, die ermittelnde Staatsanwältin in Dijon, dementierte diese Gerüchte: "Dies war keine terroristische Tat." Den Amokfahrer hätten weder politische noch religiöse Motive getrieben. Vielmehr kämpfe er seit Jahren mit psychischen Problemen. Auslöser für seinen Angriff, so die Staatsanwältin Tarare, sei offenbar eine Fernsehsendung über das Leiden tschetschenischer Kinder.

Sorge vor Terroranschlägen wächst

Die Sorge vor Terroranschlägen in Frankreich ist gewachsen, seitdem die französische Luftwaffe sich im Irak an Militäraktionen gegen den IS beteiligt. Nach Erkenntnissen des französischen Geheimdienstes sind mehr als 1100 Franzosen in Dschihad-Netzwerken verstrickt, mehr als 600 von ihnen als potenzielle Kämpfer. Im September war ein französischer Bergsteiger in Algerien entführt und von Islamisten ermordet worden. Im Internet haben IS-Kämpfer wiederholt Sympathisanten zu Gewaltaktionen in Frankreich aufgerufen und unter anderem Autos sowie Messer als Waffen empfohlen.

Was in Tours passierte

Diesem Muster folgte offenbar der Attentäter von Tours. Ein im afrikanischen Burundi geborener Franzose, der den Behörden bisher nur als Drogenhändler und Kleinkrimineller aufgefallen war, hatte am Samstag versucht, mehrere Polizisten niederzustechen. Bevor ein Beamter den Mann erschoss, soll der Täter ebenfalls "Allahu akbar" geschrien haben. Auf der Facebook-Seite des Mannes fanden die Behörden Bekenntnisse zum IS. Die Ermittler vermuten, der Täter sei von seinem jüngeren Bruder angestiftet worden. Diesen hatten die Behörden beobachtet, weil er mit Terroristen sympathisiert haben soll; er wurde am Montag in Burundi verhaftet.

Rechtsextreme werben mit Vorbehalten

Innenminister Bernard Cazeneuve hatte bereits am Wochenende verschärfte Kontrollen vor allen Polizeiwachen angeordnet. Bei einem Besuch in Dijon nannte der Minister dies eine psychologische Maßnahme zur Beruhigung der Landsleute: "Gegen die Angst zu kämpfen heißt, gegen den Terrorismus zu kämpfen!"

Aktuelles Lexikon: Allahu akbar

Ein ägyptischer Militärmarsch wiederholt rhythmisch die Beschwörung "Allahu akbar", was " Gott ist größer", oder "Gott ist der Größte" bedeutet. Immer wenn in vergangenen Jahrzehnten diese martialische Melodie im Radio erklang, wussten die Hörer, dass wieder eine Schlacht oder ein Krieg verloren war. Die Formel, arabisch Takbir genannt, wurde zum Leitmotiv arabischer Niederlagen. Sie soll den Gläubigen auch im Privatleben Trost bringen. Aber sie kann auch Sieg, Triumph oder ein Bekenntnis zur Macht des Islam ausdrücken. Als erster soll der Prophet Mohammed nach der siegreichen Schlacht bei Badr im März des Jahres 624 "Allahu akbar" gerufen haben, nachdem er den damals noch nicht bekehrten Stamm der Qureisch geschlagen hatte. In jüngerer Zeit wurde Allahu akbar zum Schlachtruf islamistischer Terroristen. Es wird zum letzten Wort von Selbstmordattentätern, bevor sie sich in die Luft sprengen. In diesen Tagen haben es auch Gewalttäter in Frankreich verwendet. Bei Bürgerkriegen rufen es islamische Extremisten oft vor dem Abfeuern jeder Mörsergranate. Westliche Fernsehzuschauer können dann wissen, dass es nicht die Regierungstruppen waren, die geschossen haben. Im Koran kommt der Ausdruck "Allahu akbar" drei Mal vor. Unter der Herrschaft des libyschen Diktators Gaddafi war ein Lied mit dem Refrain Allahu akbar die Nationalhymne. Rudolph Chimelli

Umfragen zeigen, dass die Angst vor dem Islam bei einer Mehrheit der Franzosen steigt. Eine Untersuchung aus dem Juni ergab, dass 81 Prozent der Befragten den Islam mit "etwas Negativem" verbinden.

Der rechtsextreme Front National wirbt mit Vorbehalten gegenüber Muslimen. Die genaue Zahl der in Frankreich lebenden Muslime ist nicht bekannt, da die laizistischen Gesetze diese Erhebung nicht erlauben. Schätzungen reichen von fünf bis acht Millionen Menschen.

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