Republikaner:Frankreichs Konservative entsetzt über Merkels Flüchtlingspolitik

Nicolas Sarkozy, former French president and head of the conservative Les Republicains political party, delivers his speech at the party's headquarters in Paris

Nicolas Sarkozy, Ex-Präsident und Chef der Republikaner, möchte den Schengen-Vertrag aufkündigen und durch neue, deutlich strengere Regeln der Zuwanderung ersetzen.

(Foto: REUTERS)
  • Die französischen Republikaner halten das Versprechen Angela Merkels, alle syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen, für einen Fehler.
  • Die Partei wendet sich auch gegen eine verbindliche Flüchtlingsquote, die auch von Frankreichs Präsident Hollande unterstützt wird.
  • Die Republikaner fürchten, der rechtsextreme Front National könne von der Flüchtlingskrise profitieren.

Von Christian Wernicke, Paris

Pierre Lellouche ist überzeugter Europäer, und der konservative Abgeordnete der französischen Nationalversammlung nennt sich einen "Freund Deutschlands". Umso mehr entsetzt ihn, was seiner Meinung nach Angela Merkel auf dem Kontinent anrichtet: "Die Politik der Kanzlerin sprengt Europa", sagt der außenpolitische Sprecher von Frankreichs oppositionellen Republikanern, "Deutschland überfordert seine Partner. Auch Frankreich."

Die Idee, allen EU-Staaten nun Flüchtlingskontingente zuzuweisen, geht Lellouche zu weit: "Deutschland kann nicht per EU-Quote entscheiden, wie viele Migranten wir in Frankreich aufnehmen." Der 64-jährige Republikaner legt die Stirn in Falten, er sucht ein Beispiel, um den Deutschen die Brisanz ihrer Forderung nach europäischer Lastverteilung besser zu erklären: "Nach diesem Muster würde ich Herrn Tsipras in Athen raten, mal von Deutschland zu verlangen, per Quote einen Teil der griechischen Schulden zu übernehmen", argumentiert der frühere Staatssekretär für Europafragen.

Und Lellouche hat noch ein zweites Exempel: "Wenn Europas Kaiserin Quoten für Flüchtlinge verlangt, dann will ich bitte schön Quoten für Soldaten in Afrika." Die Forderung, deutsche Soldaten sollten an der Seite französischer Waffenbrüder mehr Verantwortung etwa im Anti-Terror-Kampf in der Sahelzone beweisen, verficht Lellouche seit Langem.

Merkel hat die französischen Republikaner entsetzt

Europas Flüchtlingskrise hat einen Keil zwischen zwei alte Erzfreunde getrieben. Frankreichs Konservative und die deutschen Christdemokraten gehören zur selben Parteifamilie, der Europäischen Volkspartei (EVP). Angela Merkel und Nicolas Sarkozy fungierten bis 2012 als EU-Doppel - als "Merkozy".

Nur, das Versprechen der Kanzlerin von Anfang September, Deutschland werde alle Kriegsflüchtlinge aus Syrien aufnehmen, hat die französischen Republikaner entsetzt. Dieser "Lockruf", so argumentiert etwa Bruno Le Maire, ein potenzieller Präsidentschaftskandidat, sei "ein doppelter Fehler" Merkels gewesen: "Erstens hat sie dies im Alleingang entschieden, und zweitens hat sie den Eindruck erweckt, Europa könne alle Flüchtlinge aus Syrien und Umgebung aufnehmen."

Ein Teil der republikanischen Kritik ist platte französische Innenpolitik: Weil François Hollande - bekanntlich Sozialist - Merkels Kurs samt EU-Quoten mitträgt, attackiert die Rechte gern den linken Präsidenten. Unter Hollande, so beklagt Le Maire, habe Frankreich keinerlei Einfluss mehr in Brüssel: "Es fehlt das Gegengewicht zu Deutschland." Der Präsident sei nur noch "ein braves Schaf, das Frau Merkel hinterhertrottet", lamentierte am Mittwoch Eric Ciotti, innenpolitischer Sprecher der Republikaner.

"Le Pen ist die große Profiteurin der großen Angst"

Zugleich fürchten die Republikaner, die Fernsehbilder der Flüchtlingsströme würden noch mehr französische Wähler in die Arme von Marine Le Pen, der Chefin des rechtsextremen Front National, treiben. "Marine Le Pen ist die große Profiteurin der großen Angst", glaubt auch Pierre Lellouche. Anders als Deutschland, dessen Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten wegen zu geringer Geburtenzahlen schrumpfen werde, habe Frankreich kein demografisches Problem: "Aber wir haben sieben Millionen Menschen, die Arbeit suchen, und acht Millionen Muslime im Land." Berlin müsse "diese Sensibilität" begreifen.

Bei einem Parteitag der Republikaner am Mittwoch in Paris verglich der Politologe Pascal Perrineau Umfragen aus Deutschland und Österreich mit Werten aus Frankreich: "Bei uns ist die Stimmung weitaus besorgter - und gereizt." Vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 hätten nur 49 Prozent der Landsleute bekundet, in Frankreich lebten zu viele Ausländer. Inzwischen, so Perrineau, sagten dies 69 Prozent - und 86 Prozent aller potenziellen Wähler der Republikaner.

Die Republikaner dürften auf die Krise mit einem Rechtsruck antworten

Die Angst vor den Folgen der Angst - sie umfängt inzwischen sogar manche Linke. Am Mittwoch ließ der sozialistische Abgeordnete Malik Boutih aufhorchen, ein früherer Kopf der Organisation "SOS Racisme". "Frau Merkel ist zu einer Verbündeten von Marine Le Pen geworden", schimpfte der PS-Abgeordnete. Ihr "unilateraler Lockruf" an Flüchtlinge sei "ein enormer Fehler" gewesen: "Das schürt nun in jedem Mitgliedsland politische Krisen - und allen voran bei uns."

Frankreichs Republikaner erscheinen gewillt, auf die Krise mit einem Rechtsruck zu antworten. Beim Parteitreff am Mittwoch forderten mehrere Redner etwa, die Europäische Menschenrechtskonvention aufzukündigen - um leichter Anträge nachziehender Verwandter auf Familienzusammenführung abwehren zu können.

Parteichef Sarkozy klang eher gemäßigt: Seine Warnung vor einem drohenden "Zerfall der französischen Gesellschaft" von voriger Woche wiederholte er nicht. Aber er erneuerte sein Verlangen, den Schengen-Vertrag aufzukündigen und durch neue, deutlich strengere Regeln der Zuwanderung zu ersetzen. De facto, so sprach Sarkozy grinsend, habe das ja auch Angela Merkel eingesehen, als sie am Wochenende deutsche Polizisten zurück an die Grenze schickte.

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