Frankreich:Per Casting zum Retter

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Unterstützt den Überraschungskandidaten Peillon: die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo.

(Foto: THIERRY ROGE/AFP)

Die französischen Sozialisten suchen unter acht Bewerbern einen Kandidaten aus, der die kriselnde Partei zur Präsidentschaft führen soll. Ein heftiger Bruderkampf steht bevor.

Von Christian Wernicke, Paris

Nun sind es acht. Sieben Herren und eine Frau, die alle schwören, ein und dasselbe zu sein: jener eine und einzige Held, um den sich Frankreichs zerzankte Linke sammeln und scharen werde. Sie alle geben vor, zum ersehnten Erretter zu werden, der die Sozialisten von ihrem Trampelpfad in den Untergang abbringen und zu neuen Ufern führen kann. Binnen sechs Wochen will die Partei jemanden finden, der sie aus Siechtum befreit: Dann nämlich, am 29. Januar, kürt die regierende Linke ihren Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahl.

Der achte Mann heißt Vincent Peillon. Eigentlich, so bezeugen Freunde, hatte sich dieser 56 Jahre alte Schöngeist innerlich längst von der Politik verabschiedet. Der Europaabgeordnete lehrte Philosophie in der Schweiz, schrieb Krimis. Er ward selten gesehen im EU-Parlament. Am Sonntagabend, vier Tage vor Meldeschluss, tauchte er wieder auf. In den Abendnachrichten kündigte der Sozialist an, er wolle das tun, wozu Amtsinhaber François Hollande der Mut fehlte: "Ich werde die Bilanz des Präsidenten verteidigen", sprach Peillon, "denn ich glaube, dass die Franzosen schon sehr bald seine Person und Bilanz wieder schätzen werden."

Ein giftiges Gerücht: Peillon will nicht gewinnen, er soll nur einen anderen Kandidaten zerstören

Keine leichte Mission. Laut Umfrage bescheinigen acht von zehn Franzosen (und 51 Prozent aller Hollande-Wähler von 2012) dem Sozialisten im Élysée eine "schlechte Präsidentschaft". Obendrein nährte Peillons Treueschwur gegenüber dem Amtsinhaber ein giftiges Gerücht: Peillon, so hieß es aus den Reihen des bisherigen Vorwahl-Favoriten Manuel Valls, sei von verbitterten Hollande-Anhängern zur Kandidatur getrieben worden. "Dieser Kandidat will nicht gewinnen. Er soll nur einen anderen Bewerber zerstören", raunte ein Freund des bisherigen Premiers. Es gäbe da Spuren bis tief in den Élysée.

Der Palast dementierte prompt. "Im Gegenteil, der Präsident hat sogar versucht, Peillon zu stoppen", beteuert ein Vertrauter. Wie zum Beweis wird nachgereicht, dass Hollande seinen früheren Erziehungsminister Peillon schon vor Jahren als "eine Schlange" identifiziert habe: "Der verrät dich am Ende immer." Dennoch, zu den ersten Unterstützern des achten Mannes zählen etliche Sozialisten, die bisher getreue Hollandisten waren. Es sind Parteifreunde, die Valls nicht verzeihen, dass er Hollande "den letzten Messerstoß versetzt" und in den Rückzug getrieben habe. Und Genossen, die über "Valls den Brutus" twittern: Bloß nicht Valls.

Peillons wichtigste Unterstützerin ist bisher Anne Hidalgo, die einflussreiche Bürgermeisterin von Paris. Hidalgo nennt sich selbst "eine Sozialdemokratin". Sie gibt all jenen Sozialisten eine Stimme, die in den vergangenen vier Jahren zwar nicht offen gegen den eigenen Präsidenten rebellierten, die gleichwohl enttäuscht sind von dessen marktorientiertem Reformkurs. "Der Dritte Weg von Tony Blair begann vor 30 Jahren, Gerhard Schröder war Anfang der Nullerjahre. Das sollte Frankreich jetzt nicht mit Jahrzehnten Verspätung nachmachen", schimpft Hidalgo im Gespräch. Valls ist ihr zu rechts, "zu sozialliberal". Und der rote Nationalist Arnaud Montebourg, wahrscheinlich Valls' gefährlichster Widersacher, ist ihr zu links. Peillon passt zwischen beide, verkörpert überaus mittelmäßig die Mitte der Linken.

Zum Helden, zum Retter taugt Peillon nicht. Denn die Aufgabe, vor der jeder per Urwahl gekrönter Präsidentschaftskandidat der Sozialisten im Januar stehen wird, ist gigantisch. "Die Partei hat kein Projekt mehr, keine Ideen, keine Strategie", diagnostiziert Jean Glavany, der einst Parteigrößen wie François Mitterrand und Lionel Jospin zuarbeitete. Glavany bekennt sich zu Valls, dem rechtesten Bewerber unter den Linken. "Aber die Neubegründung der Linken wird mehrere Jahre brauchen." Der Politologe Gérard Le Gall wähnt seinen Parti Socialiste (PS) gar "an einem historischen Scheidepunkt". Erstmals seit fast 40 Jahren nämlich drohe im Frühjahr, dass die Sozialisten "ihre Vorherrschaft verlieren" und nicht länger die stärkste Kraft der französischen Linken sein werden.

Denn den PS-Genossen droht nicht nur ein fünfwöchiger interner Bruderkampf um die Spitzenkandidatur. Anschließend erwarten jeden Sieger der Vorwahl zwei weitere Widersacher. Der radikale Jean-Luc Mélenchon, einst Sozialist und heute verbalradikaler Rot-Frontler, sammelt am linken Rand zehntausendfach enttäuschte Sozialisten ein. Und in der Mitte lauert Emmanuel Macron, bis Sommer noch Wirtschaftsminister unter Hollande. Beide Konkurrenten lehnen es ab, sich einzureihen bei der Vorwahl der Sozialisten. Und beide ergattern in Umfragen um die 14 Prozent Zustimmung. Mehr als alle PS-Anwärter, mehr auch als Valls (13). Gemeinsam ist allen dreien nur das kollektive Scheitern: Weil sie sich gegenseitig die Stimmen stehlen, käme derzeit kein Linker in die Stichwahl um das Präsidentenamt.

Obendrein ist Macron im Aufwind. Voriges Wochenende gelang ihm der Coup, fast 15 000 Anhänger in eine Messehalle am Stadtrand von Paris zu locken. Macron präsentierte sich als "Kandidat der Arbeit", entwarf sozialliberale Reformen, riskierte sogar eine Liebeserklärung an Europa. Das Publikum, viele junge Wähler, schwenkte Hand in Hand Trikolore und EU-Fahne. Den Zustand der regierenden Linken illustriert der Vergleich mit einem Parteitreff, bei dem eine Woche zuvor der PS seine Vorwahl einläutete: Nur knapp 3000 Sozialisten, ein Fünftel von Macrons Menschenschar, hockten in einem halbdunklen Saal und applaudierten faden Reden.

So geraten die Sozialisten in den Schatten. Ihre Vorwahl dürfte sich zum Duell verdichten zwischen dem rechten Valls und dem linken Montebourg. Aber im Vergleich zu Macron, dem begeisterten Sozialliberalen, und zu Mélenchon, dem Radikal-Sozialisten, verblassen beide PS-Aspiranten zu Kopien. Versuche, in der Pariser Bürgermeisterin eine Retterin zu finden, scheiterten: Anne Hidalgo winkte ab für die Wahl 2017. Jeder in Paris weiß: Sie spekuliert auf das nächste Mal. Auf 2022.

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