Frankreich nach der Herabstufung durch S&P:Bonjour Tristesse

Die Franzosen haben den Blues. Hundert Tage vor der Präsidentschaftswahl, dieser Kaiserkrönung der Republik, ist kaum Aufbruchstimmung zu spüren. Eigentlich läge es nahe, in gefährlicher See am Kapitän festzuhalten. Doch Nicolas Sarkozy macht es seinem Wahlvolk schwer. Die Bilanz des Präsidenten ist - nicht nur wegen der Herabstufung des Landes - allzu dürftig.

Stefan Ulrich

Die Zeitungen halten den Bürgern beim Frühstück vor, dass die deutschen Nachbarn mehr arbeiten, exportieren, verdienen und überhaupt besser dastehen, von der Kochkunst einmal abgesehen. Die Intellektuellen beklagen den Niedergang der republikanischen Schule und den Schwund der nationalen Souveränität. Die Baguette ist nicht mehr die gleiche wie früher. Und am Freitagabend stufte die Rating-Agentur Standard&Poor's auch noch Frankreichs Kreditwürdigkeit herab. Weder Präsident Nicolas Sarkozy noch dem Herausforderer François Hollande wird zugetraut, all das zum Besseren zu wenden.

Frankreich nach der Herabstufung durch S&P: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in Nöten: Sein Wahlvolk ist von seiner Leistung nicht zuletzt wegen der Herabstufung der Landesbonität durch eine Ratingagentur nicht mehr überzeugt.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in Nöten: Sein Wahlvolk ist von seiner Leistung nicht zuletzt wegen der Herabstufung der Landesbonität durch eine Ratingagentur nicht mehr überzeugt.

(Foto: AP)

Die Umfragen belegen es: In diesem Super-Wahljahr sind die Franzosen das pessimistischste Volk der Welt. Als "traurige Italiener" beschreiben sie sich selbst. Unzählige Bücher und Essays beweinen den déclin français, den französischen Niedergang.

Dies hat, wie fast alles in Frankreich, Tradition. Seit dem Erlöschen des Sonnenkönigs ist ständig vom déclin die Rede. Eigentlich müsste das Land längst ganz unten angekommen sein. Nur: Trotz der Niederlagen Napoleons I. gegen die Alliierten und Napoleons III. gegen die Preußen, trotz des furchtbaren Aderlasses im Ersten Weltkrieg und der Kapitulation gegenüber Nazi-Deutschland im Zweiten rangiert Frankreich bis heute in der Spitzengruppe der Nationen. Es führt, gemeinsam mit Deutschland, die Europäische Union, erfreut sich, anders als Deutschland, einer wachsenden Bevölkerung, und wird weltweit um seine kultivierte Lebensart beneidet. Falls Gott auf Erden leben wollte, würde er - Rating hin oder her - womöglich immer noch Frankreich wählen.

Warum dann solch eine Misanthropie? Gerade weil Frankreich ein derart hohes Bild von sich hat, leidet es so an sich selbst. Schon Flaubert bemerkte, seine Landsleute hielten sich für "das erste Volk des Universums"; und auf dem Sockel des Monuments Charles de Gaulles vor dem Grand Palais in Paris steht dessen Ausspruch: "Ein Pakt verbindet seit 2000 Jahren die Größe Frankreichs und die Freiheit der Welt."

Französische Zukunftsängste

Vor solchem Anspruch wirkt die Wirklichkeit medioker, und jedes Abgleiten aus der Spitze, wie jetzt bei der Kreditwürdigkeit, wird als fundamentale Bedrohung wahrgenommen. Tatsächlich erlebt Frankreich derzeit einen Umbruch. Der patriarchalische Sozialstaat, an den sich die Bürger gewöhnt haben, ist nicht mehr zu finanzieren. Errungenschaften wie die Rente mit 60 oder die 35-Stunden-Woche, an denen die Franzosen hängen, zerbröckeln unter dem Druck der Märkte. Die Souveränität des Staates, die der Sonnenkönig so glänzend repräsentierte, weicht einer geteilten Souveränität in Europa. Frankreich gedenkt seiner Grandeur und wird nostalgisch. Es leidet stärker unter den Umwälzungen der Globalisierung als andere Staaten wie etwa Deutschland.

Dennoch haben die meisten Franzosen akzeptiert, dass sich ihr Land ändern muss. Sie wissen nur noch nicht, wem sie die Kursänderungen anvertrauen sollen.

Eigentlich läge es nahe, in gefährlicher See am Kapitän festzuhalten. Doch dieser macht ihnen das schwer. Die Bilanz des Präsidenten ist allzu dürftig.

Sarkozy trat vor fünf Jahren mit dem Versprechen an, einen "Bruch" zu vollziehen mit der behäbigen Chirac-Zeit. Er versprach liberale Reformen, mehr Lohn für mehr Leistung und mehr Arbeitsplätze. Doch heute steht sein Land schlechter da als vor fünf Jahren. Die Franzosen haben weniger Arbeit, weniger Geld, mehr Schulden und mehr Zukunftsängste. Nicht nur die Krise, auch der Präsident trägt Verantwortung dafür. Sarkozy hat die Schulden-Problematik zu spät erkannt. Er hat die Reichen entlastet und versucht, die Wirtschaft mit staatlichen Schulden zu befeuern. Die Quittung erhält er jetzt. Frankreich wird künftig mehr Zinsen für seine Kredite bezahlen und daher noch mehr sparen müssen.

Sarkozy hat die Bürger auch mit seinen radikalen Politikschwenks verwirrt. Aus dem Liberalen wurde ein Verfechter des schützenden Staates. Aus dem Schuldenmacher ein Sparkommissar. Sarkozy entblätterte sein Privatleben in den Illustrierten, um es heute strikt abzuschirmen. Er gab sich mal als Einpeitscher der Nation und mal als verständnisvoller Vater. Vertrauenswürdig machte ihn das nicht. Viele Bürger fragen sich, was Sarkozy eigentlich will - außer der Macht.

Auch die Opposition hat Probleme

So müsste nun die Stunde der sozialistischen Opposition schlagen. Auch deren Kandidat Hollande überzeugt jedoch bislang nicht. Er hat noch nie einer Regierung angehört. Dieser Mangel an Erfahrung rächt sich. Hollande agiert ausweichend, wenn es um Themen wie die Euro-Rettung, die Rentenreform oder die Atomenergie geht. Er profitiert mehr von den Schwächen Sarkozys als von eigenen Stärken. In den Umfragen liegt er zwar vorn, aber sein Vorsprung schrumpft seit Wochen. Zugleich schießt sich Sarkozys Machtapparat brutal auf ihn ein. Das Präsidentenlager stellt Hollande als Gefahr für die Nation dar und hetzt, ein Sieg der Sozialisten wäre so verheerend wie ein Krieg. Das Trommelfeuer dürfte Spuren hinterlassen.

Menetekel für Europa

Von den Problemen Sarkozys und Hollandes könnten zwei andere Kandidaten profitieren. Da wäre zum einen die Rechtsradikale Marine Le Pen. Sie sammelt all jene Verbitterten auf, die die Schuld an der Krise dem Euro und Europa geben und die Nation mit Zäunen und Zöllen verteidigen möchten. Madame Le Pen werden derzeit um die 20 Prozent der Wählerstimmen prophezeit. Sie könnte es schaffen, wie 2002 ihr Vater, in die Stichwahl zu gelangen. Dies wäre ein Menetekel für Europa, das mit einem Erstarken chauvinistischer Parteien in vielen Staaten rechnen muss.

Doch auch der europafreundliche Zentrumspolitiker François Bayrou darf sich Hoffnungen machen. Der erfahrene Politiker gewinnt in den Umfragen ständig hinzu. Falls er es nicht in den zweiten Wahlgang schafft, könnte er mit seiner Empfehlung zumindest den Ausschlag geben und sich ein hohes Regierungsamt sichern. Sarkozys Gaullisten und Hollandes Sozialisten umwerben ihn.

Der Ausgang der Wahl ist völlig offen. Die Ungewissheit lastet auf ganz Europa. Für Deutschland ist Frankreich der strategische Partner Nummer eins. Alternativen sind nicht in Sicht. Großbritannien entfernt sich weiter von Europa. Russland ist eine Autokratie. Die USA unter Barack Obama zeigen höfliches Desinteresse am alten Kontinent, das unter einem republikanischen Präsidenten in gepflegte Abneigung ausarten könnte. Nur gemeinsam mit Frankreich kann Deutschland den Euro, die EU und die soziale Marktwirtschaft retten.

Der Druck der Märkte wird Frankreich und Deutschland nun noch mehr zusammenschweißen. Sarkozy hat versichert: "Frankreich ist ein großes Land mit weltweiter Berufung." Dabei soll es bleiben. Allons enfants.

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