Frankreich:Macron wählt ein Ende mit Schrecken

A resident walks near a farm in 'La Vacherie' area in the zoned ZAD (Deferred Development Zone) in Notre-Dame-des-Landes

Nein zum Flughafenbau: Nach jahrzehntelangem Widerstand hat die französische Regierung den Bau eines neuen Großflughafens bei Nantes abgesagt.

(Foto: REUTERS)
  • Frankreichs Regierung kippt ein seit Jahrzehnten geplantes Projekt: Der Großflughafen bei Nantes soll doch nicht gebaut werden.
  • Der vorgesehene Baugrund wird seit fast zehn Jahren von Aktivisten besetzt. Die Sicherheitskräfte rechnen nun bei der geplanten Räumung mit gewalttätigem Widerstand.
  • Dass die wirtschaftlichen Interessen der Region zurückgestellt werden, bringt Regierung wie Präsident scharfe Kritik ein.

Von Lilith Volkert

Das Projekt, das Frankreichs Premierminister Edouard Philippe an diesem Mittwoch im Auftrag seines Präsidenten beerdigt, ist älter als die beiden Politiker. Seit 55 Jahren gibt es Pläne nahe der westfranzösischen Stadt Nantes einen Großflughafen zu bauen, ursprünglich für das Überschallflugzeug Concorde. Doch nach einer jahrzehntelangen erbitterten Diskussion ging es zuletzt um mehr als einen Flughafen. Es ging auch darum, was der Staat mit sich machen lässt.

Der Widerstand gegen das Projekt war rasch über das gewohnte Maß hinausgegangen und spaltete die ganze Region. Mehrere Präsidenten vertagten daher die Entscheidung darüber lieber. Präsident Macron und Premier Philippe versuchen nun, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Der Aéroport du Grand Ouest wird nicht gebaut.

Erstaunlicherweise begründet Premier Philippe diese Entscheidung ausschließlich mit dem Widerstand dagegen: "Ein solches Projekt kann nicht verwirklicht werden, wenn sich zwei fast gleich große Parteien unversöhnlich gegenüberstehen", sagte er. Und bemühte sich nicht einmal, Umweltschutz oder Klimaziele vorzuschieben. Diese Ehrlichkeit macht ihn äußerst angreifbar.

Denn viele kritisieren nun, Präsident und Regierung seien vor den zum Teil radikalen Flughafengegnern eingeknickt. Um die Jahrtausendwende hatten sich Globalisierungskritiker aus ganz Europa den örtlichen Bauern und Umweltschützern angeschlossen. Seit fast zehn Jahren halten Aktivisten den vorgesehenen Baugrund bei Notre-Dame-des-Landes besetzt. Ein Räumungsversuch der Polizei im Herbst scheiterte - eine bis heute traumatische Erfahrung für den Sicherheitsapparat.

Nun startet die Regierung einen zweiten Versuch. Premier Philippe machte klar, dass das besetzte Gebiet - etwa 1650 Hektar Wiesen, Wald und Felder - bis zum Frühjahr geräumt und an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden soll. Etwa 200 bis 300 Menschen jeden Alters leben auf dem Gelände, unter ihnen Bauern, Lehrer, Studenten und ehemalige Obdachlose.

Kritik der Aktivisten geht über Flughafenprojekt hinaus

Sie erproben dort eine alternative Lebensform, verwalten und versorgen sich selbst, bauen gemeinsam neue Häuser. Die Pariser Soziologieprofessorin Sylvaine Bulle spricht von einem "politischen und ökologischen Versuchslabor". Die Kritik der Aktivisten gehe weit über das Bauprojekt hinaus und ziele gleichermaßen auf den Kapitalismus und den Staat.

Die Besetzer und ihre Wortschöpfungen haben inzwischen Eingang in die französische Umgangssprache gefunden. Die ausgewiesene zone d'aménagement différé ("Bau-Erwartungsland", Abkürzung ZAD) wurde vor Jahren umbenannt in zone à défendre ("Verteidigungszone", ebenfalls ZAD abgekürzt). Auch andere militante Gegner ökologisch fragwürdiger Großprojekte werden inzwischen "Zadisten" genannt. Dass die Besetzer bei Nantes jetzt, da sie den Flughafen verhindert haben, freiwillig gehen werden, ist nicht zu erwarten.

Wichtigste Bewährungsprobe steht noch bevor

In den vergangenen Tagen sind bereits zahlreiche Sicherheitskräfte in der Region eingetroffen. Medien sprachen am Mittwoch von knapp tausend Polizisten, Gendarmen und Spezialkräften. Auch Wasserwerfer und schwere Räumfahrzeuge wurden bereitgestellt. Man fürchtet gewalttätige Zusammenstöße, bei denen es zu Verletzten und sogar Toten kommen könnte, vor allem falls sich Aktivisten aus dem In- und Ausland den Besetzern anschließen. Sicherheitskreise gehen von etwa 2000 gewaltbereiten Linksextremen in Frankreich aus. Insofern steht die wichtigste Bewährungsprobe noch bevor.

Einen Unglücksfall wie beim Staudamm Sivens will man um jeden Preis vermeiden. 2014 wurde der Student Rémi Fraisse tödlich verletzt, als er gegen den Bau des Staudamms bei Toulouse demonstrierte und ihn bei der Räumung die Blendgranate eines Polizisten traf. Daraufhin gab es gewaltsame Proteste autonomer Gruppen. Dass das Verfahren gegen den Polizisten Anfang Januar eingestellt wurde, trägt nicht zur Entspannung der Situation bei.

Lokalpolitiker sprechen von einer "sehr schlechten Entscheidung"

Unzufrieden sind auch Menschen in der Gegend um Nantes. Lokalpolitiker kritisieren die Absage des Flughafenbaus scharf. "Das ist eine sehr schlechte Entscheidung", sagte Philippe Grosvalet, der sozialistische Präsident des Départements Loire-Atlantique. Sie trete die wirtschaftlichen Interessen der Region, zahlreiche Gerichtsentscheidungen und eine Volksbefragung mit Füßen. Das werde "verheerende Folgen für die Demokratie" haben. Bei einem Referendum vor zwei Jahren sprachen sich 55 Prozent für den Bau aus, allerdings gab nur jeder Zweite seine Stimme ab.

Premier Philippe sicherte den Ausbau der Flughäfen von Nantes und Rennes sowie der Zugverbindungen nach Westfrankreich zu. Trotzdem wird ihm vorgeworfen, die Regierung habe keinen Plan B. Zum ersten Mal liefert Macrons Team der Opposition eine Angriffsfläche bei einem Thema, das einen Teil der Bevölkerung wirklich bewegt.

Gleichzeit befreit die Regierung sich aus einem Dilemma. Unabhängige Mediatoren hatten im Dezember ihren Bericht zum Fall Notre-Dame-des-Landes vorgelegt. Es gebe keine perfekte Lösung, hieß es darin diplomatisch, sowohl ein Neubau als auch die Erweiterung des bestehenden Flughafens seien möglich. Premier Philippe formulierte es so: Es gebe in diesem Fall nur schlechte Lösungen. Am Mittwoch fügte er fast erleichtert hinzu, nichts sei so schwer zu ertragen wie die Unsicherheit, und die sei nun vorbei.

Was die Flughafenplanung angeht, mag er recht haben. Dass sich die Lage auf dem Gelände um Notre-Dame-des-Landes in wenigen Tagen klärt, ist hingegen nicht gesagt. Für den 10. Februar haben die Zadisten eine Großdemo angekündigt. Eine Lokalzeitung berichtet, die zusätzlich angerückten Polizisten hätten ihre Unterkünfte bis zum 15. Februar reserviert.

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