Frankreich:Macron schaut nach dem Rechten

Frankreich: Flüchtling trifft Präsident: Der Sudanese Ahmed Adam und Emmanuel Macron im Migrationszentrum von Croisilles, Nordfrankreich.

Flüchtling trifft Präsident: Der Sudanese Ahmed Adam und Emmanuel Macron im Migrationszentrum von Croisilles, Nordfrankreich.

(Foto: Michel Spingler/AP)

Der Staatspräsident macht beim Besuch eines Flüchtlingszentrums in Calais deutlich, dass er Chaos nicht mehr duldet. Hilfsorganisationen und Kritiker werfen ihm einen neuen, gnadenlos harten Kurs vor.

Von Tobias Zick

Calais, die Hafenstadt am Ärmelkanal, ist noch immer im weiteren Sinne ein Krisengebiet auf französischem Boden; entsprechend resolut war der Ton, den der Präsident bei seinem Besuch am Dienstag anschlug. "Die Beamten führen die Maßnahmen der Regierung aus", sagte Emmanuel Macron vor den versammelten Sicherheitskräften. "Diejenigen, die der Regierung irgend etwas vorzuhalten haben, sollen sich also an die Regierung wenden, nicht an die Beamten." Klare Worte des Rückhalts an die Polizisten, denen in jüngster Zeit von Menschenrechtlern wiederholt vorgeworfen wurde, sie gingen unverhältnismäßig hart gegen Migranten vor, auch gegen minderjährige. Macron zeigte sich klar als Law-and-Order-Politiker und dankte den Sicherheitskräften dafür, dass sie in Calais für die "Sicherheit unserer Bürger und den freien Warenverkehr sorgen".

Kurz zuvor hatte der Präsident in einem nahe gelegenen Aufnahmezentrum für Flüchtlinge klargestellt, man werde auf keinen Fall zulassen, dass in der Gegend ein neuer "Dschungel" entstehe. Im Oktober 2016 hatte die Polizei slumartige Flüchtlingscamps aufgelöst, den sprichwörtlichen Dschungel von Calais; mehr als 8000 Menschen hatten sich dort niedergelassen und hausten unter teils erbärmlichen Bedingungen, getragen von der Hoffnung, per Schiff oder durch den Tunnel ins nahe England zu gelangen. Von einem "Dschungel" kann in Calais heute keine Rede sein, die Lage hat sich "verbessert", aber "noch immer nicht stabilisiert", wie die Regierung einräumt. Zwischen 350 und 500 Migranten, überwiegend Äthiopier, Eritreer und Afghanen, leben dort derzeit, im Freien, notdürftig unterstützt von Hilfsorganisationen, denen Macron vorwarf, mitunter die "Illegalität" zu fördern. Die Essensausgabe werde künftig der Staat organisieren, kündigte der Präsident an. Die Fronten sind verhärtet; zwei lokale Hilfsorganisationen weigerten sich am Dienstag sogar, Macrons Einladung zum Treffen zu folgen.

Macrons Linie ist eine scharfe Trennung zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten

Die Flüchtlingspolitik ist inzwischen zu einem der Hauptkonfliktfelder in Macrons junger Präsidentschaft geworden. Im Wahlkampf hatte er noch klar für Menschlichkeit geworben, für ein "offenes Land", für eine Rückbesinnung auf Frankreichs Status als Wiege der Menschenrechte. Es war durchaus ein riskanter Kurs; das Land war zu der Zeit frisch traumatisiert und aufgewühlt von mehreren schweren islamistisch motivierten Terroranschlägen, doch am Ende ging Macrons Kalkül auf. Er konnte viele Wähler aus dem liberalen Spektrum für seine neue Bewegung En Marche gewinnen; Franzosen, denen die Parolen von "Identität" und einem "Stopp der Masseneinwanderung" zuwider waren, wie sie die rechtsextreme Konkurrenz um Marine Le Pen ventilierte. Während deren Front National auf der Welle der Terror- und Zukunftsangst ritt, pries Macron die Flüchtlingspolitik Angela Merkels: Mit ihrer Entscheidung zur Grenzöffnung habe die deutsche Kanzlerin "unsere kollektive Würde gerettet".

Im Juli, kurz nach seinem Amtsantritt, verkündete der junge Präsident, er wolle bis Ende des Jahres keine Menschen mehr "in den Straßen und in den Wäldern" sehen; man werde überall, wo es nötig ist, Notunterkünfte schaffen - eine humanistische Botschaft, aus der die Law-and-order-Komponente bereits deutlich herauszuhören war. Inzwischen werfen immer mehr Kritiker Macron vor, auf eine gnadenlos harte Linie umgeschwenkt zu sein. Der Migrationsexperte Patrick Weil etwa sagte kürzlich in einem Fernsehinterview, Macron twittere "tagsüber zu Menschenrechten und Flüchtlingen, und abends gibt er entgegengesetzte Anweisungen".

Der jüngste Konfliktstoff ist der Plan für ein neues Einwanderungs- und Asylgesetz: Die Regierung will unter anderem Asylverfahren stark beschleunigen, aber zugleich auch ermöglichen, dass Menschen ohne Ausweispapiere bis zu 90 Tage lang in Abschiebehaft gehalten werden können - doppelt so lang wie bisher. Selbst in Macrons eigener Partei regt sich Widerstand gegen die harte Linie: "Nicht alle Ausländer in Frankreich sind Terroristen", wetterte im Parlament die Abgeordnete Sonia Krimi, "und nicht alle Ausländer in Frankreich sind Sozialschmarotzer."

Gerade hat die Regierung neue Zahlen veröffentlicht, denen zufolge im Jahr 2017 etwa 100 000 Menschen Asyl in Frankreich beantragt haben, 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Viele davon stammen aus dem als sicher geltenden Albanien. Macrons Linie, das kristallisiert sich nun heraus, ist eine möglichst scharfe Trennung zwischen Flüchtlingen und sogenannten Wirtschaftsmigranten. Oder, wie er es in seiner Neujahrsansprache ausdrückte: Frankreich habe eine "moralische und politische Pflicht", denen Schutz zu gewähren, die vor Verfolgung fliehen. "Aber wir können nicht jeden willkommen heißen."

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