Frankreich:Leben mit der Angst

Frankreich: Misstrauen: Eine Frau in der Brüsseler Gemeinde Schaerbeek, wo die Ermittler nach Verdächtigen fahnden.

Misstrauen: Eine Frau in der Brüsseler Gemeinde Schaerbeek, wo die Ermittler nach Verdächtigen fahnden.

(Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Neue Details über die verschiedenen islamistischen Attentäter von Paris legen vor allem eine Vermutung nahe: Die Bedrohung hat viele Gesichter.

Von Christian Wernicke, Paris

Einen Tag nach dem mutmaßlich terroristisch motivierten Angriff auf zwei Pariser Polizisten hat der zuständige Staatsanwalt von Paris vor weiteren Mordanschlägen in Frankreich gewarnt. "Es gibt keinen Grund, optimistisch zu sein angesichts dieser wachsenden Gefahr", sagte François Molins dem Radiosender France Inter. "Wir sehen uns einer Bedrohung ausgesetzt, die noch mehrere Jahre währen kann." Am Donnerstag hatten zwei Wachpolizisten vor einem Pariser Kommissariat einen Mann erschossen, der sie mit einem Hackmesser angegriffen haben soll. Eine scheinbare Sprengladung am Oberkörper des Angreifers stellte sich als Attrappe heraus. Staatsanwalt Molins sagte, nach seiner Einschätzung hatten Beamten in "legitimer Selbstverteidigung" geschossen.

Eine Spur der Ermittlungen weist auch nach Deutschland: Im Handy, das der aus Marokko oder Tunesien stammende Mann bei sich trug, fanden die Ermittler eine deutsche Sim-Karte. Die meisten Kurzmitteilungen auf dem Telefon waren in deutscher oder arabischer Sprache verfasst. Ungeklärt blieb zunächst die Identität des Angreifers. Die Fingerabdrücke des Toten stimmen zwar überein mit denen eines Mannes, der 2013 in Südfrankreich wegen Raubes verhaftet worden war. Damals sagte er, er heiße Salah Ali, stamme aus Marokko und habe sich in Italien und in Deutschland aufgehalten. Die Polizei hält jedoch mittlerweile eher einen anderen Hinweis auf die Identität des Täters für glaubwürdig: In der Kleidung des Erschossenen fanden die Beamten ein Papier, auf dem der Mann der IS-Terrormiliz und deren Chef Abu Bakr al-Baghdadi die Treue schwor und sich selbst als ein Tunesier namens Tarek Belkacem identifiziert hatte. Eine in Tunesien lebende Cousine will Belkacem auf einem von den Behörden verbreiteten Foto erkannt haben, meldet der Fernsehsender i-Tele.

Staatsanwalt Molins wies Mutmaßungen zurück, bei dem Täter habe es sich eher um einen Psychopathen als um einen geschulten Terroristen gehandelt: Der Angriff vom Donnerstag "illustriert den vielgestaltigen Charakter der Terrorbedrohung", sagte Molins. Mal seien die Angriffe "sehr gut organisiert wie am 13. November", dann wieder sei man mit Einzeltätern konfrontiert, die auch "psychisch unausgeglichen" sein könnten.

Die Staatsanwaltschaft in Brüssel veröffentlichte am Freitag neue Details ihrer Ermittlungen zu den belgischen Drahtziehern der Pariser Anschläge. Als Unterschlupf und Bombenfabrik diente den Attentätern offenbar eine Wohnung im Arbeiterviertel Schaerbeek, die ein mutmaßlicher Helfershelfer der Terroristen unter falschem Namen angemietet hatte. Dort habe man, so der zuständige Staatsanwalt Eric van der Sypt, bereits bei Durchsuchungen am 10. Dezember drei handgenähte Sprenggürtel und Spuren des Sprengstoffs Acetonperoxid (TATP) gefunden, den auch die Attentäter in Paris verwendet hatten. Zudem sei man in der Wohnung auf Fingerabdrücke von Salah Abdeslam, des mutmaßlichen "Logistikers" der Terrorgruppe, gestoßen.

Der 26-jährige Abdeslam gilt als "der zehnte Mann" der Attentate von Paris. Sechs der Terroristen hatten sich in der Horrornacht selbst in die Luft gesprengt, ein siebter war von der Polizei erschossen worden. Zwei weitere Mittäter starben fünf Tage später bei einer Polizeirazzia im Pariser Vorort Saint Denis. Abdeslam, so glauben die Ermittler, habe in der Schaerbeeker Wohnung den Sprengstoff angemischt und abgefüllt. Die nötigen Zünder kaufte er sehr wahrscheinlich später nahe Paris. Endgültig präpariert und "scharf gemacht" hatten die Terroristen ihre Sprenggürtel offenbar in von Abdeslam angemieteten Hotelzimmern bei Paris.

Abdeslam gilt als meistgesuchter Mann Europas. Der frühere Kleinkriminelle hatte am Abend des 13. Novembers wahrscheinlich jene drei Kamikaze-Täter chauffiert, die sich dann vor dem "Stade de France" während des Fußball-Länderspiels Frankreich-Deutschland in die Luft sprengten. Am Morgen nach den Anschlägen war Abdeslam nach Brüssel geflohen. Die Ermittler halten es für möglich, dass er sich in der Schaerbeeker Wohnung versteckt hielt. Es gibt Hinweise, dass Abdeslam sich dann nach Syrien durchschlug.

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