Frankreich: Le Pen:Papas letzter Kampf

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"Man wird mit uns rechnen müssen": Jean-Marie Le Pen führt seine rechtsextreme Partei in die Regionalwahl - danach soll seine Tochter übernehmen. Mit ähnlichen rassistischen Ansichten.

S. Ulrich, Paris

Er ist jetzt 81 Jahre alt, und alle raunen, dies sei sein letzter Wahlkampf. Seine jüngste Tochter Marine stehe bereit, ihn zu beerben. Doch der massige Mann mit der Hornbrille will von Abschied nichts hören. Er hasse "das Wort Rückzug, im zivilen wie im militärischen Bereich", sagt Jean-Marie Le Pen bei einer Kundgebung seines rechtsextremen Front National in Marseille. Im Kongresspalast der mediterranen Hafenstadt fährt der bretonische Fischersohn noch einmal sein rhetorisches Rüstzeug auf. Er attackiert seine geliebten Feindbilder, Islamisten, Einwanderer, Globalisierer. "Die Moscheen schießen wie Pilze aus dem Boden, und bald werden die Rufe des Muezzins durch unsere Straßen schallen", schockiert er seine Anhänger. Dann ruft er sie auf, das alte Frankreich zu verteidigen, "ein europäisches Volk weißer Rasse".

Ein halbes Jahrhundert ist Le Pen nun in der Politik, seit 38 Jahren führt er den von ihm gegründeten Front National - doch der alte Mann wirkt nicht müde. Bei den Regionalwahlen am Wochenende tritt er wieder an, als Listenführer in der Südregion Provence-Alpes-Côte d'Azur. Dort ist die Arbeitslosigkeit höher als im Landesdurchschnitt, dort leben viele Ruheständler, die nun, in der Krise, um ihre Renten fürchten. Ein guter Boden für Le Pen, das spürt er.

So reißt er die Arme in Siegerpose nach oben, dass sein hellblaues Einstecktüchlein fast aus der Sakkotasche rutscht. Mal lässt er den linken Zeigefinger wie einen Degen durch die Luft sausen, mal ballt er, von seiner eigenen Rede mitgerissen, die Fäuste. Er schilt den Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy als Großmaul, der viel rede und wenig handle. "Napoleon den ganz Kleinen" bespöttelt er ihn. Und er beschwört die Ahnen, die für die Freiheit Frankreichs gefallen seien.

Eineinhalb Stunden geht das so. Le Pens Anhänger sind begeistert. Manche halten ein provokantes Plakat hoch. Darauf sieht man eine verschleierte Frau neben einer Frankreichkarte in den Farben der algerischen Flagge. Aus dem Boden ragen Minarette, in Form von Raketen. "Nein zum Islamismus", steht darüber. Das Plakat macht Furore. Die algerische Regierung protestiert in Paris. Besseres könnte dem Front National nicht passieren. Die Partei erregt wieder Aufsehen.

Le Pen ist ein gewiefter Agitator, und seine Karriere beweist, dass Rechtsextreme mit einem solchen Anführer immer wieder Erfolge feiern können. Seit Gründung des Front National 1972 hat Le Pen ihn zur festen Kraft im Parteienspektrum Frankreichs gemacht, die das bürgerliche Lager ärgert, weil sie ihm Stimmen wegschnappt. Einen Triumph feierte Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2002. Da kam er bis in die Stichwahl. Bei den Regionalwahlen 2004 schaffte die Partei im Landesdurchschnitt fast 15 Prozent. Seitdem ging es jedoch bergab. Bei der Europawahl 2009 gab es nur 6,3 Prozent. Die Misserfolge schlugen sich in den Bilanzen nieder, die Partei hat hohe Schulden. Daher versucht sie derzeit, ihren feudalen Sitz in Saint-Cloud bei Paris zu versilbern.

Stimmenverluste wegen Sarkozy

Ein Grund für die Stimmenverluste in jüngster Zeit ist Sarkozy. Der Präsident und seine konservative UMP-Partei konzentrierten sich auf Themen wie nationale Identität, Einwanderung und innere Sicherheit und zogen viele Wähler des Front National an. Derzeit jedoch steckt Sarkozy im Stimmungstief. Gerade pointiert rechte Wähler finden, er tue zu wenig, um die Franzosen und die französische Wirtschaft vor dem Rest der Welt zu schützen. Zudem missfällt ihnen, dass Sarkozy auch Politiker der Linken mit wichtigen Posten betraut. Der Front National kann daher hoffen, eine Renaissance zu schaffen. Sein Ziel: Er möchte in etwa der Hälfte der 22 Regionen über die Zehn-Prozent-Hürde springen und in die zweite Wahlrunde einziehen.

In der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur wird das vermutlich gelingen. Dort kann Le Pen mit deutlich mehr Stimmen rechnen. Der Patriarch der Rechtsextremen möchte sich so einen starken Abgang verschaffen. Zugleich sollen Erfolge des Front National bei den bevorstehenden Regionalwahlen den Übergang in eine Post-Le-Pen-Ära erleichtern. Der Wechsel an der Spitze dürfte auf einem Parteitag im Herbst oder im Frühjahr darauf stattfinden. Le Pen wünscht, dass die Partei ein Familienunternehmen bleibt. Daher hat er seine Tochter Marine zur Nachfolgerin aufgebaut. Etlichen alten Parteigrößen missfällt diese dynastische Regie. Manche haben den Front National verlassen.

Auch Marine Le Pen braucht bei der Regionalwahl ein gutes Ergebnis, um ihre Partei von ihren Qualitäten zu überzeugen. Sie tritt in der Region Nord-Pas-de-Calais an. Dort bei den "Ch'tis", wie die Bewohner des äußersten Norden genannt werden, fühlt sie sich willkommen. "Le Nord" leidet unter der Krise der Industrie, viele Fabriken schließen, auch dies ein guter Boden für den Front National. Die 41 Jahre alte Rechtsanwältin Marine Le Pen tingelt im eisigen Wind dieses Spätwinters über die Märkte und von Fabrik zu Fabrik. Die blonde Frau ist robust - in Aussehen und Rhetorik, wie der Vater. Und sie kommt an. "Sie sind schöner als im Fernsehen", schmeichelt man ihr auf den Märkten.

Ins alte Schema zurückgefallen

Längst hat sie sich ein eigenes Profil neben dem Vater erkämpft. Auch versucht sie, die Partei zu "entteufeln". Der Front dürfe sich nicht als Sammelbecken rechter Nein-Sager sehen, er müsse eigene Vorschläge entwickeln, findet sie. Zeitweise versucht sie, den Schwerpunkt der Propaganda weg vom Thema Einwanderung und hin zu Wirtschaft, Renten, Arbeitsplätzen zu verlegen. Doch sie wäre keine Le Pen, wenn sie nicht ins alte Schema zurückfiele. Sarkozy hätte den Franzosen weniger Einwanderer und mehr Sicherheit versprochen, aber mehr Einwanderer und weniger Sicherheit gebracht, schimpft sie. Von den Regionalwahlen erwartet Marine Le Pen den Beweis, dass der Front National auferstehe. "Man wird wieder mit uns rechnen müssen", prophezeit sie. Sie verabscheut Rückzüge, ganz wie der Papa.

© SZ vom 11.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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