Frankreich in der Krise:Hollandes Wendungen

France's President Hollande is seen before appearing on France 2 television prime time news broadcast for an interview at their studios in Paris

Frankreich im Wandel? François Holland in einem Fernsehstudio im März vergangenen Jahres

(Foto: REUTERS)

Erfährt Frankreichs Politik endlich die Wende, die sie dringend braucht? Mit einer radikalen Neuausrichtung à la Schröder und Blair könnte Frankreichs Präsident Hollande sein Land jetzt reformieren - und dabei auch seine angebliche Liebschaft mit einer Schauspielerin vergessen machen.

Ein Kommentar von Christian Wernicke, Paris

Ein Wort geht um in Paris - das Wort von der Wende. Noch klingt es eher gespenstisch, und allen voran Frankreichs regierender Linken jagt das Getuschel von dem bevorstehenden tournant ihres Präsidenten gehörig Angst ein. Doch die Zeichen mehren sich, dass François Hollande nach 20 trüben Monaten im Amt einen Kurswechsel plant und seinem Volk Ungeheuerliches zumuten will: die Botschaft etwa, dass weniger Staat besser ist für die Republik. Oder die Offenbarung, dass diese einst große Nation sich nur durch harte Reformen aus ihrer Misere befreien kann. Die Wahrheit eben.

Es scheint, als wolle der Mann im Élysée endlich einen Kurs einschlagen, den andere Sozialdemokraten schon lange vor ihm beschritten haben. Hollande tastet sich heran an den "Dritten Weg" - also an jenen Pfad, den zunächst seine Gesinnungsgenossen in den Niederlanden und in Skandinavien sowie dann der Brite Tony Blair und der Deutsche Gerhard Schröder eingeschlagen haben.

"Missbrauch und Auswüchse"

Weniger Versorgungsstaat, mehr Markt; kein Kasino-Kapitalismus, aber mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung. In seinen Neujahrsgrüßen orakelte der Präsident, 2014 werde "ein Jahr schwerer Entscheidungen". Er geißelte den Steuerdruck als "zu hoch", warnte vor "Missbrauch und Auswüchsen" der Sozialsysteme, bot den Arbeitgebern einen "Pakt der Verantwortung" an, als Tauschgeschäft: niedrigere Abgaben und Arbeitskosten im Tausch gegen mehr Jobs.

Das klingt, als könne Europa noch diese Woche Zeuge einer Metamorphose werden - der Verschröderung oder Blairisierung des François Hollande. Am Dienstag nämlich muss der Präsident Farbe bekennen, dann stellt er sich Frankreichs Journalisten. Nur: Die präsidentielle Pressekonferenz, in Paris stets ein Stück Staatstheater, könnte auch zur Farce verkommen. Denn Hollandes Liebschaft mit einer Filmkomödiantin, am Freitag enthüllt, lenkt ab vom Ernst der Lage der Nation. Fragen nach den Eskapaden des Privatmenschen Hollande drohen den Auftritt des Staatsmannes zu überschatten. Schon geht bei Hofe die Sorge um, der Präsident könne seine Landsleute - statt an Blair oder Schröder - eher an einen anderen Dritt-Wegler von einst erinnern: an den affärenreichen Bill Clinton nämlich.

Aber vielleicht hilft die Affäre ja auch. Hollande muss, will er denn das Geraune um sein Nachtleben übertönen, sich am helllichten Dienstag nun bekennen. Sehr laut, und deutlicher, als es diesem Zauderer bisher lieb war. Sicher, der Sozialist hat bereits einige richtige Reformen auf den Weg gebracht. Er liberalisierte (ein wenig) das strikte Arbeitsrecht, er kürzte (kaum spürbar) den üppigen Staatshaushalt, beschnitt (ein bisschen wenigstens) ungedeckte Rentenansprüche.

Hollandes Salamitaktik zieht nicht mehr

Nur, Hollandes Regierungsstil krankte bisher an zwei Schwächen: Er wagte immer nur "Reförmchen", weil er den offenen Widerstand von Gewerkschaften und Parteilinken fürchtete. Und er traute sich nie auszusprechen, was letztlich Vision und Ziel all seiner Salamitaktik sei.

Diese "Methode Hollande" genügt nun nicht mehr. Denn sie wirkt unzureichend angesichts eines Staatsapparats, der mehr als die Hälfte (56 Prozent) aller Wirtschaftsleistung der Nation verschlingt und der sich - proportional berechnet - fast doppelt so viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst leistet wie die Bundesrepublik. Diese Methode lässt - subjektiv - den Präsidenten der Republik hilfloser aussehen, als er in Wahrheit ist. Hollande verkörpert mittlerweile für viele Franzosen das, was sie am meisten fürchten: die Unausweichlichkeit des Niedergangs ihrer Nation.

Frankreichs Sklerose

Befreien aus diesem doppelten Dilemma kann sich der Präsident nur selbst. Die Chance hat er. Schon andere französische Präsidenten haben vor ihm weitaus waghalsigere Wendemanöver unternommen. François Mitterrand zum Beispiel rief 1983 den sozialliberalen Technokraten und späteren EU-Visionär Jacques Delors herbei, um seine Präsidentschaft zu retten. Hollande kennt die Geschichte haargenau, Mitterrand und Delors zählen zu seinen Idolen und Ziehvätern. Delors' sozialliberalem Kurs war Hollande lange Jahre gefolgt. Erst im Präsidentschaftswahlkampf rückte er populistisch nach links, um so seine sozialistische Partei hinter sich zu einen. In den Versprechen vom Lenz 2012 verheddert er sich bis heute.

Die wertvollste Folge von Hollandes Schwäche und Frankreichs Sklerose ist vielleicht dies: Sechs von zehn Franzosen bekunden, der Staat müsse schrumpfen, um die Krise zu überwinden. Hollande sieht das genauso, insgeheim ist er längst von der Orthodoxie der Linken abgefallen. Würde er diese Wahrheit endlich aussprechen, er könnte seine Nation befreien. Und sich selbst obendrein.

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