Frankreich:Im Namen der Rose

Der Niedergang der Sozialisten in Frankreich ist symptomatisch für den Zustand der Parteienfamilie in ganz Europa. Aber Vorsicht: Eine moderne Sozialdemokratie wird mehr denn je gebraucht werden, wenn die Wüteriche und EU-Zerstörer durchschaut sind.

Von Stefan Ulrich

Wer den Niedergang der Linken verstehen will, dem bietet der französische Parti socialiste einen Crashkurs. Es ist keine fünf Jahre her, da stand die Partei mit der Rose in voller Blüte. Ob in den Großstädten, Regionen, dem Parlament oder im Élysée-Palast - überall regierten Sozialisten. Sie hatten alle Macht, ein florierendes, stolzes, rot grundiertes, also soziales Frankreich zu schaffen. Und heute? Da streiten sieben Zwerge bei Urwahlen ihrer Partei um das verlorene Erbe des Noch-Präsidenten François Hollande. Die roten Rosen sind in der kalten Verachtung der Franzosen erfroren. Der Partei droht bei den Wahlen im Frühjahr ein Debakel, das ihre Existenz bedroht.

Der Schuldige scheint gefunden zu sein: der unbewegte Mann im Élysée. Hollande hat mit einem Stoizismus, der an Phlegma grenzt, seine Jahre an der Macht verstreichen lassen. Erst wollte er sich von einem Wirtschaftsaufschwung treiben lassen, der nicht kam. Dann quälte er sich zu ein paar Reförmchen, zu zaghaft, zu spät.

Das konnte nicht gutgehen in einem Land, in dem alles auf den Präsidenten ausgerichtet ist. Dieses System braucht einen Charles de Gaulle oder François Mitterrand an der Spitze, um zu funktionieren, eine Persönlichkeit, die weiß, was sie mit der Macht will. Lahmt der Präsident, lähmt das ganz Frankreich.

Die Linke ist tief gefallen - könnte aber bald wieder auferstehen

Dennoch wäre es unfair, alle Schuld am Niedergang der Sozialisten Hollande zuzuschreiben. Die Roten erleben auch in anderen Ländern schwarze Zeiten. Die SPD taumelt der 20-Prozent-Marke entgegen. Die Labour Party Großbritanniens muss zusehen, wie die Konservativen das Land ins Abseits treiben. Der Partito Democratico in Italien hat seinen Premier Matteo Renzi verloren und könnte bald von der Fünf-Sterne-Bewegung entmachtet werden.

Dabei wirken die Zeiten ideal für eine Sozialdemokratie, die dem Schutz der Schwachen dienen will. Doch die Benachteiligten - und die, die sich so fühlen - laufen der gemäßigten Linken davon, sehr oft, um ins Lager der Rechtspopulisten zu rennen. Hier erhoffen sie sich Schutz und Verständnis. Das beflügelt in Frankreich den Front National von Marine Le Pen.

Der Grund? Im Lauf des 20. Jahrhunderts gaben weite Teile der Linken realistischerweise das Ziel auf, den Kapitalismus abzuschaffen. Nun wollten sie ihn nur noch zähmen. Viele Menschen finden jedoch, dass in Wahrheit der Kapitalismus die Sozialdemokratie gezähmt hat. Deren Regenten - ob sie nun Blair, Schröder oder Hollande hießen - schafften es nicht ausreichend, die soziale Marktwirtschaft in Globalisierungszeiten zu verteidigen. Parteien, die rote Blumen mit sich führen, wird das besonders übel genommen.

Der Misserfolg lässt die Risse in der Linken aufklaffen. Reformer, die das System - und dazu gehört die EU - verbessern wollen, stehen Radikale gegenüber, die es umstürzen möchten. Im Parti socialiste tobt der Streit besonders heftig, was Hollandes Amtszeit vergiftete. So paradox es klingt: Will die Partei wieder erstarken, muss sie sich aufspalten, in eine sozialdemokratische und eine radikale Linke. Fürs Erste erscheint beiden die Opposition gewiss.

Wenn es die Sozialdemokratie, in Frankreich und anderswo, jedoch schafft, in der Niederlage einen europafreundlichen, marktwirtschaftlichen und zugleich sozialreformerischen Kurs zu steuern, kann sie wieder auferstehen. Die Ära der Nationalisten und Rassisten, der Trumps, Le Pens, Höckes und Farages wird vorübergehen, sobald ihre Anhänger merken, wie teuer sie deren Wüten kommt. Dann wird die Sozialdemokratie für den Wiederaufbau gebraucht. Dann kann sie in Frankreich den Élysée zurückerobern - womöglich unter einem jungen, charismatischen Reformer namens Emmanuel Macron, der diesmal noch als unabhängiger Kandidat antritt.

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