Frankreich:Es wird vorgerückt

Frankreichs neuer Präsident bringt seine engsten Berater mit in den Élysée-Palast. So zieht nun der bisherige Botschafter in Berlin nach Paris - ein Zeichen für die kommende Außenpolitik.

Von Cerstin Gammelin und Christian Wernicke, Berlin/Paris

Frankreich: Philippe Étienne (rechts), hier in seiner Funktion als Frankreichs Botschafter in Berlin neben dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, begann seine diplomatische Karriere im ehemaligen Jugoslawien.

Philippe Étienne (rechts), hier in seiner Funktion als Frankreichs Botschafter in Berlin neben dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, begann seine diplomatische Karriere im ehemaligen Jugoslawien.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Viele Franzosen haben Alexis Kohler an diesem Montag zum ersten Mal wahrgenommen. Es war dieser unscheinbare Mann mit Kurzhaar und randloser Brille, der auf der Freitreppe des Élysée-Palastes stand, um seinen Landsleuten den Namen ihres neuen Regierungschef zu verraten: Edouard Philippe. Das Privileg, die Ernennung von Premiers und sonstigen Ministern zu verkünden, gehört zu den schmückenden Aufgaben eines jeden Generalsekretärs des Élysées. Diesen zentralen Posten in der Pariser Machtmaschinerie hat der 44-jährige Finanz- und Wirtschaftsexperte seit Sonntag inne. Kohler ist der wichtigste Beamte der Republik.

Kohler, so hat ein Vertrauter von Emmanuel Macron gewitzelt, sei "jener ältere Bruder, den Emmanuel nie hatte." Keinem anderen Menschen in seinem Stab vertraut der neue Präsident so bedingungslos.

Philippe Étienne sagt, er habe in Berlin ein Gefühl für die Sorgen der Länder bekommen

Kohler ist typisch für die jüngere Hälfte von Macrons persönlicher Beratergarde. Ähnlich wie Ismaël Emelien, der neue Sonderberater des Präsidenten, gehörte er zu der jungen, verschworenen Gemeinschaft, die Macron seit August 2014 als Wirtschaftsminister um sich geschart hatte. Die meisten der smarten, effizienten Leistungsträger verließen die Trutzburg des Ministeriums im Pariser Stadtteil Bercy, als Macron im Sommer 2016 sein Amt hinwarf und sich ganz En Marche verschrieb, der Bewegung, die ihn in den Élysée trug. Neben diese "jungen Wilden" rücken die "grauen Wölfe" vor: Bewährte Spitzenbeamte wie der Präfekt Patrice Strzoda, 64, der Kabinettschef wird. Oder erfahrene Diplomaten wie Philippe Étienne: Der 61-jährige Europaexperte, aktuell Frankreichs Botschafter in Berlin, wird Macrons diplomatischer Berater.

Der Elsässer Kohler ist der Protoyp des französischen Karrierebeamten: Sein Vater war "haut fonctionnaire", die Mutter Anwältin. Der Sohn aus gutem Straßburger Hause zieht nach Paris, absolviert beste Universitäten: Sciences Po, die beste Wirtschaftsschule im Land (Essec), schließlich die Kaderschmiede ENA. Mit diesem Rüstzeug zieht er im Jahr 2000 nach Bercy, ins Schatzamt der Republik. Belesen, brillant und belastbar verhandelt er über die Schulden Iraks, wacht über die Staatsbeteiligungen an strategisch wichtigen Firmen. Als die Linke 2012 gewinnt, geht Kohler ins Kabinett von Wirtschaftsminister Pierre Moscovici. Ab 2014 dient er Macron. "Er ist intelligenter als ich", soll dieser über seinen Adlatus gesagt haben.

Kohler ist Macrons Schattenmann. Er zieht es vor, im Hintergrund zu bleiben. Bei En Marche war der dreifache Familienvater zwar von Anfang an dabei. Aber er blieb unsichtbar, weil er als Finanzdirektor einer Schifffahrtsgesellschaft in Genf arbeitete. Virtuell aber, per E-Mail, SMS und Whatsapp, blieb Kohler immer nah dran. "Er ist vielleicht der Einzige, auf dessen Rat Macron wirklich hört", sagt ein Insider.

Seinen diplomatischen Chefberater Philippe Étienne nimmt Macron direkt vom Antrittsbesuch in Berlin mit nach Paris. Wenn der Präsident das Kanzleramt verlassen hat, soll der Diplomat mit ihm ins Flugzeug steigen. Dann beginnt der Job. Der aktuelle Botschafter Frankreichs in Deutschland hatte am Freitag überraschend das Angebot des neugewählten Präsidenten erhalten und sofort begeistert zugesagt. Europa und die Welt können nicht warten, heißt es am Montag in Berlin. Schon zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs der sieben mächtigsten westlichen Volkswirtschaften (G 7) Ende Mai wird er den Chef begleiten.

Étienne zählt im Stab Macrons zu den Veteranen. Mit seiner Berufung in das Amt des mächtigsten außenpolitischen Beraters bestätigt der neue Mann im Elysée, dass Europa und die Beziehungen zu Berlin im Zentrum seiner Außenpolitik stehen. Etienne diente lange Jahre als Chefdiplomat bei der Europäischen Union sowie in Bonn und Berlin. Er sagt, dass ihm diese Jahre nicht nur ein Netz an Kontakten, sondern auch ein Gefühl für die Sorgen und Sehnsüchte der Länder vermittelt haben.

Étienne gilt als Diplomat der alten französischen Schule. Sein Vater stammt aus Lyon, seine Mutter aus dem Elsass, er wurde in Paris geboren, absolvierte die Eliteuniversität École normale supérieure, legte sein Diplom in Wirtschaftswissenschaften ab. Dort lernte er auch François Hollande kennen, sie waren im selben Jahrgang. Als Hollande 2012 Präsident wurde, kreuzten sich dann auch die Wege von Macron und Étienne. Étienne war Frankreichs EU-Botschafter in Brüssel, Macron Wirtschaftsberater des Präsidenten. Die Karriere führte ihn über Belgrad, Bonn und Moskau nach Brüssel, Bukarest, zurück nach Brüssel und schließlich nach Berlin. Hilfreich ist auch, dass der Franzose viele Sprachen spricht: Russisch, Serbokroatisch, Deutsch, Spanisch, Englisch und Rumänisch. Auch Regierungsarbeit ist Etienne vertraut: er diente unter den Premierministern Alain Juppé und Bernard Kouchner.

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